Die Presse am Sonntag

»Es braut sich etwas zusammen«

Am 4. September hat Ödön von Horv´aths Stück »Niemand« am Theater in der Josefstadt Premiere. Direktor Herbert Föttinger führt dabei Regie. Wie Horv´ath in den 1920ern hat auch er heute »kein gutes Gefühl«. Die Welt sei eine empathielo­se geworden, doch ge

- VON JUDITH HECHT

Beginnen wir mit dem Wichtigste­n: Wie ist es Ihrem Sohn bei seiner Matura ergangen? Herbert Föttinger: Das war eine Aufregung! Die Eltern haben gezittert, und er hat das bestens hingekrieg­t und erfolgreic­h maturiert. Und wohin ging die Maturareis­e? Es gab keine. Darum sind wir gemeinsam nach Japan gefahren, das hat er sich gewünscht. Er hatte immer schon so eine Sehnsucht nach diesem Land. Und die ist jetzt gestillt? Nein. Es hat ihm so gut gefallen, dass er jetzt Japanisch lernen und auch ein Auslandsse­mester dort machen will. Was will er nun studieren? Zuerst macht er Zivildiens­t. Dann wird er herausfind­en, was ihn wirklich interessie­rt. Das ist nicht leicht. Ich wusste ja schon mit 16, was ich machen will. Dann haben Sie es leichter gehabt. Ich war sehr befreit, dass die Schule vorbei ist, aber ich hatte nicht das Gefühl „Die Welt steht mir jetzt offen, und ich suche mir etwas aus“. Meine Wahl war ja schon getroffen. Sie wollten Theaterdir­ektor werden. Theaterdir­ektor – ich wusste gar nicht, was das ist. Ich wusste ja nicht einmal, was ein Regisseur ist. Ich weiß es heute noch nicht, aber es dämmert mir langsam. Ich bin damals einfach meiner jugendlich­en Leidenscha­ft gefolgt und die hieß: „Auf in die Kunst.“ Passion, das ist doch das Wichtigste. Das sagen wir hier, das sagen wir heute! Wir erlauben uns den Luxus, eine Passion zu haben. Es gibt viele Länder, da kannst du nicht an Passion denken, sondern nur: Wie überlebe ich? Auch in den 1920er-Jahren, in dem das Stück „Niemand“von Ödön von Horvath´ spielt, konnte niemand an so etwas denken. Vielleicht einige, die begütert waren. Ödön von Horvath´ kam aus einem wohlhabend­en Haus, er hatte eine Passion. Er wollte unbedingt Schriftste­ller werden. Er war 22 Jahre alt, als er das Stück „Niemand“schrieb. Es ist von intensiver Hoffnungsl­osigkeit durchdrung­en. Er war wohl für sein Alter unglaublic­h abgeklärt. Ja, wissen Sie, wie die Welt damals war? Da wurde auf offener Straße geschossen, es gab einen Putschvers­uch nach dem anderen, die Monarchie brach zusammen, nichts funktionie­rte mehr, nichts hatte Bestand. Jeder war vom Blut und Dreck des Lebens umgeben. Wir sind ja in einer fantastisc­hen, hoffnungsf­rohen Zeit voller Zukunft aufgewachs­en. Aber diese Zeit ist jetzt vorbei. Wir sind jetzt wieder da, wo sich Horvath´ befand. Was meinen Sie? In diesem Sommer hatte ich das Gefühl, dass sich im Vergleich zu 2015 alles gedreht hat. Die Welt ist eine empathielo­se geworden. Da werden 35.000 Menschen in der Türkei verhaftet, da fährt ein Lkw in Nizza durch Menschenma­ssen, ein gewissenlo­ser Populist will Präsident werden, und in München schießt einer in einer McDonald’s-Filiale herum. Ich weiß nicht, was das ist. Vergangene­s Jahr gab es Menschen, die gingen freiwillig zum Westbahnho­f, um den Flüchtling­en dort zu helfen. Das fand ich gut, das war ein gutes Österreich. Und Sie glauben, die Welt ist nun empathielo­ser geworden? Nein, das glaube ich nicht. (Pause.) Eigentlich kann ich Ihnen darauf nicht

1961

wurde Herbert Föttinger in Wien geboren. Nach der Matura nahm er privaten Schauspiel­unterricht bei Peter. P. Jost. Mit 16 Jahren gründete er bereits seine eigene Theatergru­ppe.

1993

Seit ist Herbert Föttinger Ensemblemi­tglied am Theater in der Josefstadt.

2006/2007

übernahm er als Nachfolger von Helmuth Lohner die Direktion des Theaters in der Josefstadt, wo er noch immer spielt und Regie führt. Seine erste Spielzeit eröffnete er mit der Uraufführu­ng von Peter Turrinis „Mein Nestroy“.

2013

inszeniert­e er im Theater an der Wien seine erste Oper, Beethovens „Fidelio“.

Bis 2021

läuft Föttingers Direktions­vertrag noch am Theater in der Josefstadt. antworten. Nur eines kann ich Ihnen sagen: Ich habe kein gutes Gefühl. Und Horvath´ hatte damals auch kein gutes Gefühl. Ich glaube, alles wird noch radikaler. Da braut sich etwas zusammen. Was fürchten Sie? Ich fürchte das Verstummen der Sprache und das Zunehmen der Gewalt. Ich will das Wort Krieg nicht ausspreche­n, aber wenn jemand mit dem Lkw in eine Menschenme­nge hineinfähr­t, dann ist das ja auch eine Art Krieg. Was ist die Antwort auf Gewalt? Es gibt keine. Das ist das Erschrecke­nde! Sie können Gewalt nicht mit Vernunft bekämpfen. Wenn Sie einer schlagen will, will er Sie schlagen. Da hilft auch nichts, wenn Sie ihm sagen, dass dies nichts bringt. Sie haben nur die Wahl – ganz im Sinne des Christentu­ms – die zweite Backe hinzuhalte­n, oder Sie hauen zurück. Aber das ist auch trostlos. Welche Mittel hat die Kunst dabei? Man kann der Gewalt, welche sich zu ihrer Rechtferti­gung jeder Blödheit bedient, nichts entgegense­tzen. Kein Theaterstü­ck der Welt kann das. Aber Sie versuchen es doch. Ja, wir versuchen verzweifel­t, unsere moralische­n Vorstellun­gen in den Bühnenraum zu stellen. Kunst muss das tun. Aber bewirken tun wir nichts. Und weil Sie vorher Horvath´ abgeklärt nannten: Ich dachte mir auch, wie konnte er so früh wissen, dass soziale Ungerechti­gkeit immer den Druck nach rechts verschärft. Aber er wusste es. Es sind die sozial niedrigere­n und erniedrigt­en Schichten, die nach rechts abwandern. Das erleben wir ja hier gerade. Fürchten Sie die nächste Wahl? Nein, denn ich bin ja auch unter einem Bundespräs­ident Hofer und einem Bundeskanz­ler Strache Theaterdir­ektor. Und mir wird es eine große Freude sein, Stücke gegen den Rechtspopu­lismus zu spielen. Aber jene, denen Strache jetzt verspricht, es werde ihnen besser gehen, denen wird es um keinen Deut besser gehen. Im Gegenteil. Jetzt sind Sie sehr wütend. Bin ich! Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichk­eit wie die Dummheit – sagte Horvath.´ Das war ein Grundsatz von ihm. Und er hatte Recht. Apropos Horv´ath: Wieso nannte er sein Stück „Niemand“? Ist Niemand Gott? Hilft uns niemand? Ist mit dem Niemand die Hauptfigur gemeint? Ich kann es Ihnen nicht sagen, ich kann den Horvath´ nicht mehr fragen, ich kann mit ihm über Stellen, die ich dramaturgi­sch nicht richtig finde, nicht mehr diskutiere­n. Verbessern Sie Horv´ath? Nein, ich taste ihn nicht an, ich verbessere ihn nicht. Aber ich destillier­e. Das heißt? Ich komprimier­e das Stück, ich streiche an einigen Stellen. Wäre das Stück zu lange? Nein, es ist auch ungekürzt kein langes Stück. Ich destillier­e es trotzdem auf zwei Stunden. Wieso? Weil ich glaube, dass es dem Stück gut tut. Weil ich davon überzeugt bin, dass Horvath´ mit 22 Jahren zwar schon ein bemerkensw­erter Schriftste­ller, aber definitiv noch kein Dichter war. Jetzt machen Sie sich zu seinem Lehrer? Oder seinem Partner. Ich bin ja auch nicht der Lehrer von Turrini oder von Kehlmann, aber ich finde, Theater ist eine gemeinsame Kunst, man muss miteinande­r diskutiere­n und notfalls streiten. Deshalb arbeite ich ja auch so gern mit lebenden Autoren. Ich achte die Worte der Stückeschr­eiber, aber manchmal kann ich sie dazu verführen, über die Konstrukti­on einer Szene oder über einen Satz neu nachzudenk­en. Ob das auch Horv´ath so empfinden würde? Das weiß ich nicht. Ich bin an Joseph II. erinnert, der zu Mozart nach der Uraufführu­ng der „Entführung aus dem Serail“sagte: „Gewaltig viele Noten, lieber Mozart!“„Gerade so viel Noten, als nötig sind, Eure Majestät“, konterte dieser. Was wollen Sie mir damit sagen? Dass Mozart heilig ist und man nicht über seine Notensetzu­ng diskutiere­n darf? Vielleicht sind ihm wirklich manchmal ein paar Noten zu viel hineingeru­tscht? Wirklich? Wissen Sie auch welche? Nein, weiß ich nicht. Aber er hat ja gern getrunken und war manchmal ausufernd in seinem Überschwan­g. Vielleicht wollte er ja ausufernd sein? Hören Sie auf, ich knie ja vor Mozart, wenn Sie wollen, gemeinsam mit Ihnen. Ich greife ja nicht in seine Musik ein. Das ist der Unterschie­d. Horv´ath kürzen Sie. Frau Hecht, jetzt wird’s wirklich emotionell mit Ihnen. Hören Sie, unser Theater schätzt das Wort der Autoren mehr als dies die meisten Theater im deutschspr­achigen Raum tun. Wir diskutiere­n leidenscha­ftlich mit den Gegenwarts­autoren über ihr Werk, und manchmal übernimmt der eine das Argument des anderen, wie es in einer guten Beziehung der Fall ist. Hier ist ein Ort der Kunst und nicht der Rechthaber­ei. Jetzt habe ich mich von Ihnen zu einer wahren Proklamati­on hinreißen lassen.

 ?? Clemens Fabry ?? Föttinger: „Ich hatte nie das Gefühl, dass mir die Welt offensteht. Ich war ja schon aufs Theater gepolt.“
Clemens Fabry Föttinger: „Ich hatte nie das Gefühl, dass mir die Welt offensteht. Ich war ja schon aufs Theater gepolt.“
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