Zirkus heute: Trapezturnen gegen die Zeit
40 JŻhre Żlt ist ©er einst in Wien gegrün©ete Zirkus Roncalli – seiner Juãil´umstournee sieht mŻn ©Żs ãei Żllem Witz un© Eifer Żn. Un© ©och verkün©et ein Kin© mitten©rin: »Ich will für immer hierãleiãen«: ein Besuch Żuf ©em RŻthŻusplŻtz.
Der Clown schlägt die Weste auseinander, seine Brust sieht aus wie die eines Roboters: „Ist das kein Mensch?!“, fragt ein gerade noch verzücktes Kind tief erschrocken. Ein Hauch von Stephen King trübt den Zauber. Doch schon hat der Clown ein kleines, knallrotes, glitzerndes Herz in der Hand – und gibt es dem Gegenstand seiner Liebe: einem – ja, was? Das rostfärbige Ding ähnelt einem Roboterhündchen aus dem vorvorigen Jahrhundert.
Diese Liebeserklärung an ein rostiges Ding aus alten Zeiten, mit einem Herzchen in der Art, wie man es um 50 Cent zu kaufen kriegt – diese Liebeserklärung sagt eigentlich alles über den Zirkus Roncalli. Erklärt, warum es ihn nach 40 Jahren immer noch gibt, warum Erwachsene mit, aber auch ohne Kinder hingehen und jede Nummer ausnahmslos eifrig bejohlen. Als würden sie damit auch jeden kleinsten Zweifel ersticken wollen: Wir klatschen, also gibt es euch. Wir klatschen gegen die Zeit an, die euch überrollt. In Filmen ist alles möglich. „Den Zauber, den die Romantik des Zirkuslebens auf die Jugend ausübte, hat sie noch bis auf den heutigen Tag behalten. Allerdings ist man in seinen Ansprüchen verwöhnter geworden, man verlangt immer wieder Neues, Sensationelles“: Diese Bemerkung findet man schon in einer Ausgabe der deutschen Zeitschrift „Gartenlaube“aus dem Jahr 1880. Wie viel mehr gilt das für heute, da man im Film mit technischen Effekten die Figuren so gut wie alles machen lassen kann . . . Was der Mensch im realen Raum mit seinem Körper anstellen kann, hat technische Grenzen.
Auch wenn die sympathische, teilweise angegraute Roncalli-Garde mit ihrer Altertümlichkeit und der Bescheidenheit ihrer Mittel bewusst kokettiert, auch wenn die vorgeführte Kunst liebenswert und witzig inszeniert wird – man schöpft doch spürbar aus einem sich erschöpfenden, alten Arsenal. Trotzdem hat es natürlich etwas Beglückendes, Befreiendes, wenn die zwei grandiosen Trapezkünstler hoch oben ihre schwerelosen Paartänze vollführen. Oder wenn ein junger Mann in seinem riesigen Reifen über die Bühne rollt. Da gibt es einen jungen Stimmkünstler, einen tollen Jongleur und eine nixenhaft glitzernde, wunderschöne Artistin, die aussieht, als wäre sie einem DisneyFilm entsprungen. Da gibt es den komischen Holländer, der tut, als könnte er nicht zaubern, um dann doch das Publikum auszutricksen; die wunderbaren älteren, Klezmer wie Rock ’n’ Roll spielenden Musiker; und den Pferdedompteur mit seiner typisch zirkushaften Provinz-Grandezza. Und natürlich gibt es den Clown, der die Kinder immer noch am meisten begeistert.
»Ist es schon Żus?«, frŻgt ©Żs M´©chen mehrmŻls ´ngstlich – un© Żtmet ãeim Nein Żuf.
Zirkusse brauchen heute viele Ideen, viel Geld, um die hohen Ansprüche zu erfüllen – wohlgemerkt, die Ansprüche der Erwachsenen. Man könnte meinen, auch die mit Filmen und Tabletspielen gefütterten Kinder sind kaum noch zu beeindrucken. Wenn aber das zehnjährige Mädchen neben einem sich immer wieder ängstlich herdreht und fragt: „Ist es jetzt aus?!“, jedes Mal beruhigt aufatmet, wenn man es des Gegenteils versichert – dann beginnt man wieder an den Zirkus zu glauben. Vollends, wenn das Kind, hin- und hergerissen zwischen der Freude am Moment und der Angst vor dem Ende, mitten in der Vorstellung verkündet: „Ich will für immer hierbleiben.“