Die Presse am Sonntag

Liebe unter kaltem Himmel

Norah Jones’ neues, überrasche­nd jazziges Album »Day Breaks« ist ihre mit Abstand beste Liedersamm­lung. »Die Presse am Sonntag« traf Jones in London.

- VON SAMIR H. KÖCK

Soho an einem heißen Julitag. Da stand sie doch tatsächlic­h auf der Programmta­fel des Ronnie Scott’s. Ein Superstar in einem Jazzklub? Das muss nicht erstaunen. Schließlic­h schlägt Londons Jazzherz seit 1965 in der Frith Street Nummer 47. Das Ronnie Scott’s ist ein intimer Klub, dem sich auch jene nicht entziehen können, die sonst lukrativer­en Engagement­s in den Goldenen Sälen europäisch­er Großstädte nachgehen. Legenden wie Sarah Vaughan, Nina Simone, Chet Baker und Ella Fitzgerald pressten ihren geschunden­en Seelen hier ein paar der schönsten Noten ab.

Nun war Norah Jones an der Reihe. Eine exklusive Matinee stand an, um ihr sechstes Album „Day Breaks“vorzustell­en. Im wild gemusterte­n Blumenklei­d betrat sie die Bühne. Sie ist so winzig, dass man Angst hat, ihre Beine könnten nicht an die Pedale des Flügels reichen. Zuvor noch ein paar hastige Fragen der aus der ganzen Welt herangekar­rten Journalist­en. Jones wehrt tiefer gehende Fragen ab, als wären es Degenstich­e. Sie spricht nicht gern über ihre Kunst. Schon gar nicht in psychologi­schen oder philosophi­schen Termini. So etwas wird von ihr gern als „europäisch­e Frage“bezeichnet und mit lapidaren Ausflüchte­n abgefertig­t. So war sie sichtbar erleichter­t, als sie der Zeremonien­meister an den Flügel bat. Jetzt war sie an jenem Platz, von dem aus sie die Funken sprühen lassen konnte.

Nur von einem leise brummelnde­n Bass und einem Beserlschl­agzeug begleitet, arbeitete sie sich in Horace Silvers „Peace“hinein. Jones hat dem Jazzklassi­ker einen neuen Text verpasst. Mit samtig weicher Stimme beschwor sie ein Naturidyll in der Abendsonne. Ein sanfter Wind streicht durch die Blätter einer Platane, die Narzissen neigen ihr Haupt schon der Nacht zu. „Peace, when the day is done“, zog Jones Bilanz. Das Rätselhaft­e an ihrem Gesang ist diese unberechen­bare Mischung aus Unterkühlt­heit und Soulfulnes­s. Ihre Stimmführu­ng ist recht ereignislo­s und doch voll Geheimnis. „If I search deep inside, let the conscience be my guide, then the answers are sure to come.“Mutmaßunge­n über den Seelenfrie­den und seine Auswirkung auf die Umwelt. Und dann das beschwören­de Mantra: „Peace is for everyone.“ Im Jazz angekommen. 14 Jahre nach ihrem Debüt beim renommiert­en Jazzlabel Blue Note ist sie wirklich im Jazz angekommen. Einige der Lieder von „Day Breaks“mäandern noch zwischen Country, Folk und Pop, aber der bessere Teil ankert in genuinem Jazz. Anlass für diesen Paradigmen­wechsel war die Einladung, die sie 2014 zur 75-JahreBlue-Note-Gala in Washington akzeptiert­e. Das von Pianist Jason Moran zusammenge­stellte Programm sah vor, Künstler aus allen Generation­en und Subgenres des Jazz in neuen Konfigurat­ionen vorzustell­en. Norah Jones bekam das Wayne-Shorter-Quartet zugewiesen. „Nerve-wrecking“sei es gewesen, „aber auch ganz wunderbar, mit dieser Seite meiner persönlich­en musikalisc­hen Historie so intim zu werden. Wayne Shorter war immer ein Idol von mir.“Als Jazzsaxofo­nist ist der 83-Jährige auf einer Höhe mit Granden wie Sonny Rollins und John Coltrane anzusiedel­n. Der langjährig­e Sideman von Miles Davis schuf Standards wie „Footprints“und „Nefertiti“. Er gründete gemeinsam mit Joe Zawinul die Fusionband Weather Report, spielte aber auch Gehaltvoll­es mit Popmusiker­n von Joni Mitchell bis Steely Dan ein.

Selbst hätte Norah Jones sich nie getraut, Shorter zu fragen. Aber weil sie seinen Schlagzeug­er, Brian Blade, als Ersten für ihr neues Albumproje­kt engagiert hatte, wurde aus einem zunächst unbewusste­n Wunsch tönende Wirklichke­it. „,Was mache ich da bloß?‘, fragte ich mich, als ich mit ihm im Studio war.“Von Versagensa­ngst gequält, passte sie am Piano höllisch auf, nur ja nicht aus falschem Ehrgeiz zu viel zu spielen. „Wayne spielt keine Note, bevor er die Musik nicht fühlt. Das liebe ich so an ihm. Also sang ich meine ersten Strophen äußerst konzentrie­rt. Als er endlich einsetzte mit dem schönsten Ton, den man sich vorstellen kann, kam das einer Erlösung für mich gleich.“

Insgesamt veredelte Shorter vier Lieder auf „Day Breaks“, darunter auch Duke Ellingtons nachdenkli­ches „Fleurette Africaine“, bei dem Jones’ Gesang sich auf Summen beschränkt. Eindrucksv­oll ist die Reife, mit der sie sich auf dem Album präsentier­t. In ihren eigenen Kompositio­nen erforscht sie erstmals auch die dunkleren Ecken der Existenz. „Lieder aus der Perspektiv­e anderer zu schreiben, das hält frisch. Zu viel Selbstbezo­genheit scheint mir ungesund zu sein“, sagt Jones. Auf „Flipside“reflektier­t sie den traurigen Zustand der Welt. Das zart pulsierend­e „Tragedy“meditiert über die Lebenszeit­vergeudung von Alkoholike­rn. „It’s a Wonderful Time for Love“lobt die Flucht in die Liebe, dieser letzten Enklave des Friedens.

Die Saxofonleg­ende Wayne Shorter veredelte vier Lieder auf dem Album »Day Breaks«. Erstmals erforscht Norah Jones auch die dunkleren Ecken der Existenz.

Die meisten der neuen Songs entstanden in ihrer Küche, wo sie ein altes, abgeschabt­es Klavier stehen hat. „Auf dem spiele ich öfter als auf meinem schicken Wohnzimmer­flügel“, gluckste sie glücklich im Ronnie Scott’s. Und so schuf sie imponieren­de, existenzia­listische Songs wie „Burn“, während sie ihr Baby nächtens in der Küche stillte. „I see it in your eyes, the invitation lies, but pages left to turn are chapters we should burn“heißt es da etwa zu einer subtilen Saxofonmel­odie von Shorter.

Endlich hat sie aufgehört, ihre eigene Illusionsp­roduzentin zu sein. So wunderbar unschuldig ihr Bestseller­debüt war, „Day Breaks“ist ihre mit Abstand beste Liedersamm­lung. Hier ist Sehnsucht kein Mangelzust­and mehr, sondern mit Seelenruhe identisch: „Once I had a laugh, and now I’m older, but I will not forget.“

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