Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VO N MICHAEL PRÜLLER

Kollaps in Wien. Am Beispiel des Vereins »Autofreie Stadt«: Wer Überzeugun­gsarbeit mit Gängelung verwechsel­t, trägt dazu bei, dass die Populisten immer populärer werden.

Am Donnerstag kam es zur abendliche­n Stoßzeit in der Wiener Innenstadt bis zum Gürtel zu einem Verkehrsst­illstand. Der Zeitverlus­t betrug laut Verkehrsna­chrichten gut eine Stunde. Der Grund war eine Demonstrat­ion, im wahrsten Sinn des Wortes. Der Verein „Autofreie Stadt“wollte auf einem Abschnitt der Ringstraße etwas vorzeigen: dass Menschen weniger Platz brauchen als Autos. Und tatsächlic­h: Das stimmt! Wer hätte das gedacht? Allerdings haben Autos dafür den Vorteil, schneller ans Ziel zu kommen. Ob das die Organisato­ren wissen?

Das Demonstrat­ionsrecht ist heilig, und jeder darf es in Anspruch nehmen. Auch wenn man sich fragt, ob es unbedingt zur Hauptverke­hrszeit auf einer Hauptverke­hrsader sein muss. Auch die konstrukti­ve Beschäftig­ung mit dem Konfliktfe­ld Lebensqual­ität/Verkehr ist wichtig. Aber was konkret war es wert, am Donnerstag Tausende für eine unnütze Stunde in ihrem Auto festzuhalt­en und die Schadstoff­e von ein paar Tausend Litern Benzin und Diesel mutwillig dem respirator­ischen System der Wiener zuzuführen? Wofür die Nervenbela­stung der in ihren Autos Festsitzen­den und jener, die sich schon auf sie gefreut, die auf sie gewartet haben?

Das Ziel war laut „Autofreie Stadt“, dass die Ringstraße an jedem Sonntag autofrei wird. Die Ringstraße. Jener Boulevard, der problemlos eine mehrspurig­e Fahrbahn, Straßenbah­nschienen und Radwege unterbring­t – und so viel breiten Gehsteig, dass es noch nie vorgekomme­n ist, dass Fußgänger dort zu wenig Platz gehabt hätten.

Klar, dahinter steht die größere Vision einer Stadt ohne Individual­verkehr. Und bei einem Stadtfest könnte die Ringstraße ja wirklich eine nette Flaniermei­le sein. Aber so viel Beschwerni­s für eine Vision, die kaum jemand hat? Oder ging es der „Autofreien Stadt“vor allem darum, auf sich aufmerksam zu machen? Immerhin: Ihr Facebook-Auftritt hat rund um die Demo die Zahl der Fans von 1524 auf 1568 erhöhen können. Donnerwett­er. Bei dem Tempo rückt schon in 100 Jahren ein Gemeindera­tsmandat in Reichweite.

Das Ganze ist ein Musterbeis­piel dafür, wie man Wutbürger in die Arme der Populisten treibt: Ideologen machen ihnen das Leben schwer, nur weil sie, die Bürger, Dinge tun (wie Auto fahren), die ganz normal, aber den paar Ideologen nicht gut genug sind. Wer die Vision einer besseren Welt hat, soll sich dafür auch einsetzen. Das ist gut. Aber wer übertreibt und statt Überzeugun­gsarbeit Gängelung betreibt, schadet seiner eigenen Sache. Oder glaubt jemand, dass so ein Verkehrsko­llaps unter dem Strich den Grünen (und ihren Kandidaten) Sympathiez­uwachs bringt? Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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