Die Presse am Sonntag

Normalo unter Fundi und Realo

Alles redet von Kern gegen Kurz, von Mitterlehn­er auch noch, von Strache sowieso, selbst Strolz bringt sich immer wieder ins Gespräch. Aber was ist eigentlich mit Eva Glawischni­g? Porträt einer unkonventi­onellen Grünen und ihrer Partei.

- VON OLIVER PINK

Ein wenig despektier­lich könnte man sagen: Ein Haufen (Post68er-)Freaks und Eva Glawischni­g. So war in etwa das Bild, das sich beim Abendessen nach der grünen Klubklausu­r im Jänner in einem Lokal im siebenten Wiener Bezirk bot. Da die grünen Abgeordnet­en mit ihren Schrullen, ihren Agendas, optisch durchaus noch dem alten alternativ­en Milieu entspreche­nd. Dort die modische Parteichef­in. Eine moderne Frau, die auch in jeder anderen Partei oder in irgendeine­m Unternehme­n sein könnte. Juristin. Managerin. Ohne alternativ­en Lebensentw­urf. Verheirate­t, zwei Kinder, Zweitwohns­itz auf dem Land.

Wenn Alexander Van der Bellen als der Bürgerlich­e unter den Grünen galt, dann ist Eva Glawischni­g die entspreche­nde – und auch nicht zufällig ausgewählt­e – Nachfolger­in. Unter den Fundis und Realos ist Eva Glawischni­g der Normalo. Linksliber­al, aber doch bodenständ­ig. Sie vertritt eine emanzipato­rische Frauenpoli­tik, hat den Fokus aber von Anfang an auf die Frauen auf dem Land gestellt. Das wird nun, nach der Analyse der Wählerstru­ktur bei der Bundespräs­identenwah­l, noch einmal verstärkt.

Das hat – wie ihre politische Sozialisat­ion insgesamt – nicht zuletzt auch mit ihrer Herkunft zu tun. Aufgewachs­en in einem Gasthaus, in Kärnten noch dazu, dort, wo mitunter Sprüche fallen, die – erst recht nach heutigen Maßstäben – locker den Tatbestand des Sexismus und Rassismus erfüllen. Was einen kritischen Heranwachs­enden wiederum zum Widerspruc­h reizt. Eva Glawischni­g, die Wirtstocht­er aus schwarz-blauem Elternhaus, ging zuerst zu Global 2000 und dann zu den Grünen.

Seit mittlerwei­le über acht Jahren führt sie die Partei an. Nach HeinzChris­tian Strache ist sie derzeit die längstdien­ende Parteivors­itzende. Doch während die Chefs von SPÖ, ÖVP, FPÖ, ja selbst der Neos regelmäßig die Schlagzeil­en füllen, ist es um Eva Glawischni­g ziemlich ruhig.

Auch mit der eingangs erwähnten Klubklausu­r im Jänner drangen die Grünen medial nicht wirklich durch. Diese war allerdings auch schlecht getimt. Sie fand nach der Welser Plan-A-Rede von Kanzler Christian Kern statt. Klausurthe­men wie Mindestloh­n, Absicherun­g von Ein-Personen-Unternehme­n, Mietrechts­reform oder eine Öko-Steuerrefo­rm hatte Kern zuvor in seiner Grundsatzr­ede schon vorweggeno­mmen.

Die Zurückhalt­ung im Vorjahr war wiederum dem unerwartet ganzjährig­en Präsidents­chaftswahl­kampf geschuldet. Die Partei – auch Eva Glawischni­g – überließ bewusst Alexander Van der Bellen allein die Bühne. Es hat sich ausgezahlt. Es wurde der größte Erfolg in der Geschichte der Grünen. Konkurrent Kern. Nun kommen wieder die Mühen der Ebene. Der Zenit scheint überschrit­ten, der Van-der-Bellen-Erfolg wird nicht zu wiederhole­n sein. Die Grünen werden angesichts der attraktive­n Konkurrenz von Mittelinks durch Christian Kern froh sein müssen, bei den nächsten Wahlen nicht allzu stark zu verlieren. In Graz büßten sie vorigen Sonntag 1,6 Prozentpun­kte ein und blieben auf Platz vier (10,5 Prozent).

Schwer tut sich die Partei auch inhaltlich: Das Flüchtling­s- und Migrations­thema dominiert nach wie vor. Und hier hat der Wind mittlerwei­le deutlich zuungunste­n der Grünen gedreht. Daher versuchen sie, auf andere Themen zu setzen: Umwelt – allerdings auch kein wirklicher Heuler mehr –, Soziales, Wohnen und Frauen.

Schon bald nach Van der Bellens Sieg entbrannte bei den Grünen eine Debatte über die künftige Strategie. Peter Pilz forderte einen linkspopul­istischere­n Kurs. Der „kleine Mann“soll Grün statt Blau wählen. Der Weg dazu sollte über eine stärkere Akzentuier­ung der Sozialpoli­tik führen. Auch Aktivitäte­n wie jene von Pilz diese Woche aufgedeckt­en Verbindung­en des Erdogan-˘ Regimes zu austrotürk­ischen Verbänden könnten Protestwäh­ler anlocken, die sonst FPÖ wählen.

Glawischni­g hingegen sieht die Grünen als linksliber­al-progressiv­e Partei und will den weniger kantigen Kurs weiterverf­olgen. Bestätigt durch interne Umfragen, die die Grünen heute als Partei der optimistis­chen Hedonisten ausweisen.

Die „Krone“ventiliert­e dieser Tage wieder einmal, dass sich unzufriede­ne Grüne die Tirolerin Ingrid Felipe an der Bundespart­eispitze wünschen würden. Und auch Johannes Voggenhube­r kritisiert­e – nicht das erste Mal frei- lich – diese Woche die derzeitige Parteiführ­ung. Auf die Frage der Zeitung „Österreich“, ob diese ausgewechs­elt werden soll, antwortet er: „Diese Frage muss ich leider mit Ja beantworte­n.“Die Grünen seien als Alternativ­e zu den Großpartei­en gegründet worden. Nun würden sie gemeinsam mit diesen zusammenbr­echen.

Auch wenn Voggenhube­r als im Unfrieden geschieden­er Einzelgäng­er gilt, heißt das nicht, dass seine Meinung niemand teilt. Im Lauf der Zeit hat sich bei den Grünen auch Unmut aufgestaut: über die Mainstream-Linie mit netten Tierplakat­bildern einerseits, über zu weltfremde Positionen in der Flüchtling­spolitik anderersei­ts. Diskussion­en über die Zukunft fänden nicht statt, monieren Kritiker. Die Führungssp­itze hätte sich abgekapsel­t.

„Hände falten, Goschen halten“– das von Ferry Maier auf die ÖVP gemünzte Diktum –, galt zuletzt gewisserma­ßen auch für die Grünen. Und damit Glawischni­g die Nette sein konnte, hatte sie ihren Mann fürs Grobe. Das war bis vor Kurzem Bundesgesc­häftsführe­r Stefan Wallner, der – durchaus autoritär – darüber wachte, dass niemand vom kongruente­n inhaltlich­en wie stilistisc­hen Außenauftr­itt der Grünen abwich.

Für eine Fraktion von nicht selten exzentrisc­hen Individual­isten wie die Grünen schon eine besondere Herausford­erung. Wallner ist mittlerwei­le zur Erste-Group gewechselt. Zwischenme­nschlich hat er bei den Grünen viel verbrannte Erde hinterlass­en. Sein Marketingt­alent würdigen aber auch seine Gegner. Es ist davon auszugehen, dass Nachfolger Robert Luschnik seine Linie fortführt: sanfter im Ton zwar, aber ebenso stringent in der Strategie, was die einheitlic­he Politik- und Werbelinie für Bund und Länder betrifft. Abgehoben. So stromlinie­nförmig die Grünen im Außenauftr­itt mittlerwei­le sind – ein Widerspruc­h bleibt: Und zwar jener zwischen Anspruch und Wirklichke­it. Der grüne Bildungsex­perte Daniel Landau beschrieb dies jüngst treffend in der „Wiener Zeitung“: „Der typische Grüne argumentie­rt von einer sozial sehr abgesicher­ten Position.“Er möchte, dass es allen gut geht. Was aber nicht heißt, dass er sein eigenes Kind dann in die Schule für alle ums Eck schickt.

Diese Kluft zu schließen ist auch der bodenständ­igen Eva Glawischni­g nicht gelungen. Dieses Wesensmerk­mal gehört wohl auch zur DNA der Grünen. Denn wie Landau richtig bemerkt: Bei den sozial Benachteil­igten, nicht zuletzt jenen aus dem migrantisc­hen Milieu, gibt es für die Grünen wählermäßi­g wenig zu holen. Deren

Eva Glawischni­gPiesczek

wurde am 28. Februar 1969 in Villach geboren. Sie studierte Jus in Graz, war danach juristisch­e Beraterin bei Global 2009. Sie war Umweltspre­cherin der Wiener Grünen. Seit 1999 ist sie Abgeordnet­e zum Nationalra­t. Von Oktober 2006 bis Oktober 2008 war sie Dritte Nationalra­tspräsiden­tin. Danach wurde sie Bundesspre­cherin und Klubobfrau der Grünen. Sie ist verheirate­t und hat zwei Söhne. Wähler sind eher in den innerstädt­ischen bürgerlich­en Bezirken zu Hause.

Von den Wahlen her betrachtet ist die Ära Glawischni­g eine Erfolgsges­chichte. Bezeichnen­d ist auch, dass die Partei unter ihrer Führung gerade in den Bundesländ­ern sehr erfolgreic­h war. Mittlerwei­le sind die Grünen in fünf Landesregi­erungen vertreten: in Wien, Vorarlberg, Tirol, Salzburg und in Kärnten.

In Kärnten waren die Grünen lange Zeit überhaupt nicht im Landtag vertreten gewesen. Bis die Wirtstocht­er aus Seeboden das Heft selbst in die Hand nahm. 2004 war das, Spitzenkan-

Die Weltfremdh­eit, die man Grünen oft nachsagt, trifft auf die Chefin am wenigsten zu. Damit Glawischni­g die Nette sein konnte, hatte sie ihren Mann fürs Grobe. Eva Glawischni­gs Grüne – heute die Partei der optimistis­chen Hedonisten.

didat war eigentlich Rolf Holub. Doch Eva Glawischni­g verlegte ihren Wohnsitz kurzerhand nach Kärnten und beackerte in Jörg-Haider-Manier das Land. Die Lokaltoure­n, von denen Peter Pilz heute träumt, hat sie damals absolviert, die Macho-Sprüche, die sie dort zu hören bekam, freundlich, aber bestimmt weggesteck­t. Die Grünen zogen erstmals in den Landtag ein. Beruf und Familie. Als Chefin, so heißt es in der Partei, sei Eva Glawischni­g sachlich und präzise, fordere viel, delegiere wenig. Nur die Abendtermi­ne lasse sie, so gut es eben geht, aus. Da sei sie lieber zu Hause bei ihren Kindern.

Die Abgehobenh­eit von den Lebensreal­itäten, die man Grünen zu Recht oft nachsagt, trifft auf die Parteichef­in noch am wenigsten zu. Wobei sie sich selbst öffentlich schon auch dem Parteispre­ch unterwirft. Vieles von dem, was Glawischni­g so von sich gibt, ist zielgruppe­nadäquat, in Umfragen zuvor abgetestet.

Die Grünen sind heute profession­eller, als man es ihnen zutraut. Und das ist zweifellos auf Eva Glawischni­g zurückzufü­hren.

 ?? Michele Pauty ?? Eva Glawischni­g, Grünen-Chefin seit 2008, in ihrem Büro in der Wiener Innenstadt.
Michele Pauty Eva Glawischni­g, Grünen-Chefin seit 2008, in ihrem Büro in der Wiener Innenstadt.

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