Die Presse am Sonntag

»Mein Psychiater hat gesagt, dass das alles immer wiederkomm­en wird«

Noch heute leidet Bakary Jassey unter dem, was er durchlitte­n hat. Er hat Angst vor Angriffen, er begegnet Polizisten mit Misstrauen, und auch die körperlich­en Folgen der Folter machen ihm zu schaffen.

- VON ERICH KOCINA

Wie geht es Ihnen zehn Jahre nach all den Dingen, die Ihnen widerfahre­n sind? Bakary Jassey: Es schmerzt noch immer. Man braucht sich nur die Fotos von damals anschauen, die Röntgenbil­der, wie ich von den Polizisten behandelt wurde. Mein Psychiater hat gesagt, dass das alles immer wiederkomm­en wird. Die Polizei hat ihre Macht gezeigt. Sie haben gesagt, dass sie mich umbringen würden. In einem zivilisier­ten Land wie Österreich – ich konnte das nicht glauben. Was haben Sie gedacht, als Sie damals von der zunächst doch sehr milden Strafe für Ihre Peiniger gehört haben? Das Leben eines Schwarzen spielt keine Rolle. Wäre ich Österreich­er oder Brite gewesen, wäre das nie passiert. Haben Sie damals das Vertrauen in die Justiz verloren? Nein, das Gesetz wird von den Menschen ausgeübt. Das Gesetz kennt kein Schwarz oder Weiß. Es ist immer ein Mensch, der das Gesetz umsetzt. Ein Mensch hat halt immer eine gewisse Voreingeno­mmenheit. Aber mein Fall wurde ja untersucht, und es gab ein Urteil – sonst könnten wir heute gar nicht miteinande­r reden. Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute einen Polizisten sehen? Ich habe Angst, dass mich jemand angreifen könnte. Wenn ich auf die U-Bahn warte, stelle ich mich deshalb immer an die Wand. Ich denke immer, dass ich verfolgt werde, dass ich ein Ziel bin. Ich weiß, das ist nicht real, aber es ist in meinem Kopf, und das bekomme ich nicht mehr heraus. Können Sie jemals wieder einem Polizisten vertrauen? Es ist schwierig. Ich glaube nicht. Das ist sehr schwierig für mich. Haben Sie viel mit der Polizei zu tun gehabt in den vergangene­n Jahren, und wie wurden Sie dabei behandelt? Ja, es gab ein paar Vorfälle. Aber ich wurde dabei immer freundlich behandelt. Abgesehen von der Polizei, wie glauben Sie, dass die Österreich­er über Sie denken? Die Österreich­er glauben an Transparen­z. Dass, wenn etwas passiert, alle gleich behandelt werden sollen. Wenn jemand etwas Falsches macht, soll er dafür verantwort­lich gemacht werden. Wenn man nicht gerade von rassistisc­hen Gedanken durchsetzt ist, will man einfach Gerechtigk­eit für alle. Ich glaube, die Österreich­er standen hinter mir und versuchten zu sehen, dass dem Gesetz genüge getan wurde. Auch in ihrem Interesse. Denn wer ist der Nächste? Diesmal war es ich, aber der Nächste könnte ein Österreich­er sein, könnte dein Kind sein. Haben Sie nach all dem, was passiert ist, je mit einem Ihrer Peiniger gesprochen? Nein. Aber ich habe gesehen, dass sie böse auf mich sind. Vor Gericht haben sie über mich gelacht. Das ist inakzeptab­el. Sie wissen nicht, was ich durchmache. Sie bereuen nicht, was sie getan haben. Sie wollten mich töten. Das macht mich wütend und tut weh. Würden Sie eine Entschuldi­gung von ihnen akzeptiere­n? Als Mensch natürlich. Aber die Person muss dann natürlich auch akzeptiere­n, dass sie etwas falsch gemacht hat. Man kann es einfach nur sagen, aber es nicht meinen. Ich erwarte mir eine Entschuldi­gung vor der Kamera. Dass sie im ORF sagen, es tut ihnen leid. Dass sie mich treffen wollen und sich entschuldi­gen. Bei mir, bei meiner Frau, bei meinen Kindern. Glauben Sie denn, dass sie sich jemals bei Ihnen entschuldi­gen werden? Nein, das glaube ich nicht. Immerhin hat sich das Innenminis­terium entschuldi­gt. Wie wichtig war das für Sie? Der Staat hat sich entschuldi­gt, hat akzeptiert, was passiert ist, obwohl er nichts dafür kann – er hat ja den Polizisten nicht gesagt, dass sie das mit mir tun sollen. Das hat mir Hoffnung gegeben. Es war eine Distanzier­ung von dem, was die Polizisten getan haben. Das war mir wichtig. Wie sieht Ihr Alltag heute aus? Ich bekomme viele Behandlung­en, bin in Psychother­apie, nehme Medikament­e, ich muss Gymnastik machen. Ich kann nicht lange sitzen, in der Nacht rolle ich im Bett hin und her. Es ist schwierig für mich. Die Ärzte sagen, das sind chronische Schmerzen, und ich muss akzeptiere­n, dass ich die für immer haben werde. Und dann ist da die ständige Angst. Es ist wirklich nicht einfach. Und nun arbeiten Sie das Ganze in einem elektronis­chen Buch auf. Wie kam es zu diesem Projekt? Viele Menschen, die an Gerechtigk­eit glauben und wollen, dass alle gleich behandelt werden, haben sich beteiligt. Sie haben mir den Mut gegeben, meine Texte zusammenzu­stellen. Die erste Idee war, ein normales Buch zu schreiben. Aber über das Internet erreicht man mehr Menschen. Darum haben wir ein E-Book daraus gemacht. Glauben Sie, dass das Buch etwas für Sie

Bakary Jassey

wurde 1973 in Gambia geboren. Er arbeitete als Beamter – doch nachdem das Militär die Macht übernommen hatte, beschloss er 1996, das Land zu verlassen. Er landete in Österreich, heiratete eine Österreich­erin und bekam mit ihr zwei Kinder. Mittlerwei­le ist er geschieden.

Wegen Drogenbesi­tzes

saß er 17 Monate in Haft. Kurz danach sollte er abgeschobe­n werden, doch wehrte er sich dagegen. Daraufhin wurde er von Polizisten in einer leeren Lagerhalle misshandel­t und fast getötet. Erst Jahre später entschuldi­gte sich das Innenminis­terium bei ihm.

Heute

lebt Bakary Jassey in Simmering, er leidet nach wie vor unter den Folgen der Folter und ist auf der Suche nach einem Job. ändern wird? Ja, es wird eine befreiende Wirkung haben. Viele Menschen wissen nicht, was wirklich passiert ist. Es wird die Meinung vieler ändern, die bisher eine negative Meinung hatten. Im Fernsehen waren vielleicht ein paar Minuten über den Fall zu sehen, in den Zeitungen wurde ein bisschen geschriebe­n, aber im Buch sieht man alles, was damals passiert ist. Wie sieht Ihre Zukunft aus? Ich suche einen Job, den ich in meiner gesundheit­lichen Verfassung machen kann. Ich hoffe, dass einige Dinge sich verändern, wenn dieses Kapitel geschlosse­n ist. Welchen Job? Ich habe als Portier gearbeitet. Aber das geht schlecht wegen meines Rückens, also musste ich kündigen. Ein Doktor hat mir gesagt, ich dürfte 20 bis 25 Stunden pro Woche arbeiten. Und ich sollte mich bewegen. Sitzen und Stehen ist schlecht, aber schwere Dinge kann ich auch nicht tragen. Wovon leben Sie jetzt? Ich bekomme Mindestsic­herung. Aber ein Job hilft nicht nur finanziell, sondern auch psychologi­sch. Dass man nicht immer nur daheim ist und nachdenkt. Deswegen will ich eine Arbeit haben, verschiede­ne Menschen treffen. In Afrika habe ich am Flughafen gearbeitet. Das ist die Art von Job, nach der ich suche. Und generell: Körperlich und mental wäre ein Job gut für mich.

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