»Wir müssen diesen Gedächtnisschwund bekämpfen«
Michael S. Barr war einer der Architekten des Dodd-Frank Act. Er fürchtet unter Trump eine Rückkehr zur Lage vor dem Finanzkrach.
Nach dem Crash 2008/2009 war man sich einig: „Too Big to Fail“darf es nicht mehr geben, keine Bank darf so groß werden, dass ihr Konkurs das Finanzsystem gefährdet. Doch die sechs größten US-Banken beherrschen heute einen größeren Marktanteil als damals. Hat Dodd-Frank sie gezähmt? Michael S. Barr: Ich denke, das neue regulatorische System in den USA und weltweit hat dabei geholfen, das Finanzsystem sicherer zu machen. Es gibt jetzt größere Kapitalpolster in den Banken, signifikant stärkere Beschränkungen für das Eingehen von Risiken, es gibt Stresstests, um zu prüfen, ob Finanzfirmen im Stande sind, Schocks des Finanzsystems zu widerstehen. In den USA haben wir neue Werkzeuge, um Schattenbanken ins Aufsichtssystem der Federal Reserve zu bringen. Wir haben ein neues System für die geordnete Abwicklung von Finanzfirmen, um das Problem von „Too Big to Fail“anzugehen. Wir haben also große Fortschritte gemacht, auch wenn es nicht perfekt ist. Meine Sorge ist, dass die neue Regierung davon redet, das Regelwerk zu zerreißen und neu anzufangen. Das würde in den USA und weltweit gegenüber unseren Verbündeten, die hart daran gearbeitet haben, diese neue regulatorische Architektur zu schaffen, viel Unruhe stiften. Ich fürchte, die neue Regierung und der Kongress werden uns dorthin bringen, wo wir am Vorabend der Finanzkrise waren. Und dann werden wir das Finanzsystem und die Wirtschaft denselben Risken aussetzen wie damals. Trump und die Republikaner haben einige Pläne zum Abbau von Dodd-Frank angekündigt. Welcher Aspekt davon macht Ihnen am meisten Sorgen? Es ist in Wahrheit ein Frontalangriff. Sie reden davon, die Möglichkeit zu beschneiden, Schattenbanken der Aufsicht der Fed zu unterstellen. Sie wollen den Mechanismus zur geordneten Bankenabwicklung zurückfahren. Sie wollen den Verbraucherschutz schwächen. Sie haben enorme Feindseligkeit gegenüber der Volcker Rule, also dem Verbot des Eigenhandels für Banken, und gegenüber der Reform des Derivativhandels gezeigt. Es ist schwer, einen Bereich zu finden, wo sie nicht gesagt haben, dass sie Reformen zurücknehmen werden. Wir sind also dem starken Risiko ausgesetzt, den Finanzsektor zu jenen Praktiken zurückzubringen, die uns die verheerende Krise von 2008 und 2009 brachten. Sie waren einer der Architekten von DoddFrank. Was hätten Sie gern drin gesehen, das aber politisch unmöglich war? Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn wir die Reform von Geldmarktfonds hätten ansprechen können. Wir hätten auch Fannie Mae und Freddie Mac, die beiden großen Hypothekenbanken, ordentlich reformieren müssen. Wir beginnen jetzt erst, die weitreichenden Folgen des Hochgeschwindigkeitshandels zu begreifen. Insgesamt denke ich, dass Menschen, die selber keine Erfahrung damit haben, was es heißt, ein
Michael S. Barr
lehrt Finanzregulierung an der University of Michigan Law School. 2009/2010 war er unter Finanzminister Timothy Geithner für Finanzinstitutionen zuständig und einer der Schöpfer des Dodd-Frank Acts. Davor war er Assistent von Präsident Bill Clinton und dessen Finanzminister Robert Rubin gewesen. Gesetz durchzubringen, oft denken: man muss 100 Prozent dessen bekommen, was man will, sonst ist es ein Versagen. So funktioniert die Welt aber nicht. Washington ist keine 100-Prozent-Stadt. Die Lage ist politisch für den Präsidenten und die Republikaner im Kongress sehr opportun: sie können jetzt deregulieren und verkünden, dass sie die Bürden von kleinen Lokalbanken und Firmen verringert haben. Und jeder künftige Crash ... ...wird von jemand anderem zu bewältigen sein. Genau. Das ist das Problem des politischen Zuganges zur Regulierung. Wir müssen daher die Menschen daran erinnern, dass es nicht so lange her ist, dass wir einen Finanzkrach hatten, der amerikanische Firmen und Familien erdrückt hat. Wir müssen diesen Gedächtnisschwund bekämpfen, der in Washington gefördert wird.