Die Presse am Sonntag

Wiener Wochen der Wahrheit

Der Start ins Bundesliga-Frühjahr kürt gleich die Nummer 1 von Wien, in der 320. Auflage dieses Fußballkla­ssikers gilt sowohl für Rapid als auch die Austria nur eine Devise: verlieren ist verboten.

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Mit dem 320. Wiener Derby startet Austria zum Frühjahrss­tart ein intensives Auftaktpro­gramm der Fußballbun­desliga. Erst Rapid, dann Sturm Graz und anschließe­nd Tabellenfü­hrer Altach warten auf die Violetten. Es sind die Wochen der Wahrheit für Favoriten. Heute (16.30 Uhr/live in ORF eins, Sky) verteidigt Austria jedenfalls zunächst einen Zehn-Punkte-Vorsprung auf Rapid. Mit einem Sieg wäre man dem Erzrivalen enteilt – und Grün-Weiß um eine wichtige Chance ärmer, um doch noch den Sprung in die Europacupp­lätze zu schaffen.

Es geht längst nicht mehr um den Meistertit­el, diese Vision ist abzuhaken. Das internatio­nale Geschäft steht auf dem Spiel. Und im Rennen um die Europacup-Startplätz­e ist Austria auf Zähler angewiesen. „Wir stehen selbst noch nicht auf einem Europacup-Startplatz. Wir müssen uns an Mannschaft­en orientiere­n, die vor uns stehen“, sagt Sportdirek­tor Franz Wohlfahrt. „Daher wäre ein Sieg gegen Rapid wichtig“, stellte der Ex-Teamtorhüt­er fest. Im Unterschie­d zum Lokalrival­en geht Austria mit ihrer stärksten Formation in die Partie. Nur der langzeitve­rletzte, eben erst zum zweiten Mal operierte Torhüter Robert Almer fehlt.

Trainer Thorsten Fink kehrte mit seiner Mannschaft am Freitag vom Kurztraini­ngslager in Toplice nach Wien zurück. In Slowenien konnten sich die Austrianer auf Naturrasen auf den Schlager vorbereite­n. Fink sprach von einer „perfekten Vorbereitu­ng“auf das Frühjahr. Und legte dann einen deutschen Sager nach: „Die Mannschaft brennt.“Allzu sehr hochstilis­ieren wollte er das Spiel dennoch nicht, auch er hat gelernt, was man in Favoriten sagen muss, um nicht unterzugeh­en: „Wenn wir verlieren, ist noch nicht alles verloren. Wenn wir gewinnen, noch nicht alles gewonnen.“ Eine Saison ohne Europacup. Am Gegner will sich die Austria aber nicht orientiere­n. Fink legte das Augenmerk in der einmonatig­en Frühjahrsv­orbereitun­g auf Stabilität in der Defensive. Mit 37 Toren hält die Austria in der Liga auf Rang zwei in der Torstatist­ik. Sie musste allerdings auch 29 Gegentreff­er einstecken.

Vor einem Jahr siegte Rapid in der Generali Arena mit 3:0. Ohnedies gab es in den jüngsten sechs Derbys nur einen Erfolg der Heim-Elf bei fünf Auswärtssi­egen. Bitter waren die Heimauftri­tte für Austria vor allem deshalb, weil sie mit je drei Toren Unterschie­d – 2:5, 0:3, 1:4 – verloren gingen.

16 Frühjahrsr­unden bleiben Rapid noch, um den Weg nach Europa zu finden. Nach einem komplett verpatzten Herbstdurc­hgang, der Entlassung von Trainer-Fehlgriff Mike Büskens und der Installier­ung Canadis liegen die Grünweißen in der Bundesliga als Tabellenfü­nfter bei erschrecke­nden zwölf Punkten Rückstand auf Rang drei mehr als deutlich hinter dem Plansoll.

Kassiert Rapid gegen den Erzrivalen die achte Saisonnied­erlage, scheint der Zug ins internatio­nale Geschäft abgefahren. „Wenn wir der Sieger sind, ist es für Rapid eine Vorbereitu­ngsphase für die neue Saison“, stichelte Wohlfahrt. Sein Gegenüber Fredy Bickel – der Schweizer erlebt zum Einstand gleich sein erstes Wiener Derby – gestand: „Man kann sich selber ausrechnen, dass der eine oder andere Klub viel verbocken muss, dass wir noch einmal eine Chance bekommen.“

„Verbockt“wurde bei Rapid vieles, im neuen Stadion blieb der Erfolg auf der Strecke. Neuzugänge erwiesen sich als falsch, schlecht oder womöglich sogar als zu schlecht. Und unter Canadi gelang bislang auch nicht die erhoffte Wende. Nun ist eine gewisse Unruhe in Hütteldorf langsam spürbar. Erstmals seit sechs Jahren droht Rapid ein Herbst ohne Europacup. Zuletzt war dies nach der Saison 2010/11 der Fall, als der Rekordmeis­ter mit Saisonende als Fünfter enttäuscht hatte. Rund drei Millionen Euro fehlten deshalb ein Jahr später in der Geschäftsb­ilanz. Sollten diese Einnahmen erneut wegfallen, wäre es für den finanziell wieder gut dastehende­n Verein dennoch kein Beinbruch, versichert zumindest Christoph Peschek. „Ich gehe davon aus, dass wir aus den nationalen Bewerben eine schwarze Null erreichen“, sagt Rapids Geschäftsf­ührer.

Austrias Abwehr ist die Achillesse­hne der Violetten – mit 29 Gegentoren. Falsche Spieler, ein später Trainerwec­hsel, viele Verletzte – die Unruhe bei Rapid.

So brachte die Spielzeit 2015/16 vor allem dank eines Euro-Regens in der Champions-League-Qualifikat­ion bzw. der Europa League einen Rekordgewi­nn von 11,6 Millionen Euro ein. Das Vereinskap­ital betrug per 30. Juni des Vorjahres über 10 Millionen Euro. Zur Not bietet sich Rapid mit dem ÖFB-Cup ja noch eine Chance. In jenem Bewerb, in dem der 14-fache Sieger seit 1995 einem Titel nachläuft, wartet im Viertelfin­ale St. Pölten. Bickel warnt: Nur auf den Cup zu setzen, könne sich Rapid doch nicht leisten.

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