Die Presse am Sonntag

»Und irgendwann bedanken wir uns bei Marcel Hirscher«

RenŻte Götschl glaubt, Super-G-Weltmeiste­rin Nicole Schmidhofe­r habe sich zu sehr auf ihr Talent verlassen. Marcel Hirscher verehrt sie.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Heute steigt in St. Moritz die Damen-Abfahrt, Sie haben hier drei Mal gewonnen. Was braucht es auf der Corviglia, wie lässt sich diese Strecke charakteri­sieren? RenŻte Götschl: Im oberen Streckenab­schnitt ist ein sehr schneller Ski ein Muss, das Flachstück ist wirklich lang, für diese eine Minute ist ein super Gerät von Vorteil. Wenn du oben über eine halbe Sekunde Rückstand aufreißt, lässt sich das fast nicht mehr aufholen. Wer gleiten kann und im unteren Abschnitt die richtige Mischung aus Risiko und Cleverness über die Wellen findet, der wird dieses Rennen gewinnen. Das lange Gleitstück spricht gegen einen zweiten Coup von Super-G-Weltmeiste­rin Nicole Schmidhofe­r. Größe und Gewicht kommen ihr dabei bestimmt nicht entgegen. Aber: Sie ist jetzt in einem solchen Flow, dass sie nicht viel über die Gegebenhei­ten nachdenken wird. Für Nici ist jetzt alles möglich, aber Top-Favoritinn­en sind sicher andere. An wen denken Sie? Im Grunde ist es eine Strecke, die auf Lindsey Vonn zugeschnit­ten ist. Im Flachen ist sie verdammt schnell, und die Kurven sollten für sie kein Problem darstellen. Vonn hält bei 77 Weltcupsie­gen, auf Ingemar Stenmarks Rekord fehlen noch neun Erfolge. Wird Vonn Geschichte schreiben? Ich denke, Lindsey wird so lange fahren, bis sie diesen Rekord eingestell­t hat. Aber: Verletzung­en können dich jederzeit aus der Bahn werfen, das hat sie in dieser Saison selbst wieder leidvoll erfahren müssen. Hand aufs Herz: Hatten Sie Schmidhofe­r im Super-G auf Ihrer Medaillenr­echnung? Eine Sensation war Gold auf jeden Fall, aber Nici konnte aus dem Hinterhalt angreifen, solche Fahrerinne­n sind bei einem Großereign­is immer für eine Medaille gut. Sie hat schon im Vorfeld der WM gute Ergebnisse abgeliefer­t, dass sie es dann aber in St. Moritz dermaßen perfekt umsetzt, ist umso schöner. Schmidhofe­r reihte sich in die Riege jener ÖSV-Läufer ein, die – ohne zuvor ein Weltcupren­nen gewonnen zu haben – auf Anhieb zu Gold fuhren. Stock, Eberharter, Mayer, jetzt Schmidhofe­r – ein Phänomen. Absolut, und diese Phänomene wird es bei Olympische­n Spielen und Weltmeiste­rschaften immer wieder geben, das macht den Sport mitunter so interessan­t. Auch der größte Favorit muss am Tag X nicht zwingend funktionie­ren. Was kann und wird dieser WM-Titel bei ihr auslösen? Nici weiß jetzt, dass sie unter Wettkampfb­edingungen schnell sein kann. Diese Bestätigun­g ist für Sportler unerlässli­ch, sie kann jetzt tatsächlic­h Rennen gewinnen. Ab jetzt kann sie locker drauflosfa­hren. Ihre Karrieren haben sich zwei Jahre lang überschnit­ten. Schmidhofe­r meinte, sie habe als junge Läuferin wenig von Arrivierte­n gelernt, nicht genügend Wissen aufgesaugt. Hatten Sie denselben Eindruck? Eigentlich schon, ja. Sie ist den Erwartunge­n immer hinterherg­efahren, musste erst erkennen, dass es im Weltcup auf Larifari nicht funktionie­rt. Du stößt dort nicht dazu und reißt gleich alles nieder, so läuft das nicht. Sie hat sich sicher ein bisschen zu sehr auf ihr Talent verlassen. Das war vielleicht auch generation­enbedingt, die Mädls glaubten, sie wüssten alles selbst. Lara Gut war da eine Ausnahme. Sie hat mich als Junge öfters um Rat gefragt, ich bin ihrer Bitte gern nachgekomm­en. Irgendwann stand

RenŻte Götschl

wurde am 6. August 1975 in Judenburg geboren. Die Steirerin gewann in ihrer Karriere 46 Weltcupren­nen, sie holte Gesamt-, Abfahrts- (fünf Mal) und Super-G-Weltcup (drei Mal) und trug bald den Spitznamen „Speed Queen“. Bei Großereign­issen eroberte sie elf Mal Edelmetall, Götschl ist dreifache Weltmeiste­rin. Bei Olympia blieb ihr Gold stets verwehrt. Götschls Lieblingsr­ennen waren jene in Cortina d’Ampezzo, auf der Tofana siegte sie zehn Mal. Erst Lindsey Vonn (elf Siege) übertraf diese Bestmarke. Nici dann wohl an, wusste, dass sie so nicht weiterkomm­t. Man muss 120 Prozent geben, in jeder Hinsicht. Bei ihr kam die Erkenntnis nicht so schnell wie bei manch anderen. Ihre Karrieren verliefen konträr, Sie gewannen Ihr erstes Rennen mit 17. Wie gingen Sie damit um, ein Skistar zu sein? Ich stand tatsächlic­h von einem Tag auf den anderen im Rampenlich­t, dabei wollte ich immer nur eines: schnell Skifahren. Es ist viel auf mich niedergepr­asselt, aber je früher du Erfolg hast, desto besser. Nur so lernst du mit Druck umzugehen. Ich konnte mit der Presse nichts anfangen, für mich war Skifahren wichtig. Das Rundherum war nie mein Fall. In den Anfangsjah­ren wurde einem auch noch eingebläut, dass man als Athletin ja nicht zu viel sagen soll, und wenn dann auch noch Aussagen verdreht wurden, hat einen das als Junge schon beschäftig­t. Mit dem Alter habe ich vieles lockerer gesehen. Sie waren neben Michaela Dorfmeiste­r und Alexandra Meissnitze­r Mitglied der „Golden Girls“, eilten von Erfolg zu Erfolg. Eine Bürde für die nachfolgen­de Generation? Natürlich, die Frage war: Wer füllt diese Lücke hinter uns? Als Dorfi, Meissi und ich in den Weltcup gekommen sind, sind wir anfangs auch den Erfolgen hinterherg­efahren. Wir mussten uns entwickeln, irgendwann konnte man immer auf eine von uns drei zählen. Aber ich sehe die Mädls nach einigen Lehrjahren auf einem guten Weg. Anna Veith war bis zu ihrer Verletzung die Konstante im ÖSV-Team. Sie braucht einfach Zeit, die muss man ihr geben. Technisch fehlt es bei ihr an nichts, jetzt muss die Sicherheit und das Vertrauen in das Knie Stück für Stück zurückkomm­en. Es wird nicht ewig dauern, bis sie wieder ganz oben steht. Spätestens nächste Saison sehe ich sie nach einer langen Vorbereitu­ng wieder dort, wo sie schon war. Marcel Hirscher ließ anklingen, in St. Moritz seine womöglich letzte WM zu bestreiten. Glauben Sie, dass der beste Skifahrer der Welt nach Olympia 2018 mit 29 Jahren seine Karriere beendet? Ich gehe davon aus, dass es Hand und Fuß hat, wenn er das behauptet. Und es sollte für jeden verständli­ch sein. Was er in den vergangene­n Jahren geleistet hat, ist einfach unvorstell­bar. Der Aufwand hinter diesen Erfolgen, das Training und all das Rundherum, das ist kein Honiglecke­n, geht an die Substanz. So lange so stark zu sein – man kann vor Marcel nur den Hut ziehen. Hoffen wir, dass er dem Skisport noch länger erhalten bleibt. Und wenn irgendwann einmal Schluss ist, dann bedanken wir uns. In Hirschers Sammlung fehlt noch Olympiagol­d, auch Ihnen blieb es verwehrt. Fühlen Sie sich unvollende­t? Ich jammere nicht jeden Tag dieser verpassten Goldenen nach. Die Leute kennen mich trotzdem, obwohl ich nie Olympiasie­gerin geworden bin. Das ist für mich die Bestätigun­g, dass ich viel erreicht habe. Ich stehe zu diesem schwarzen Punkt in meiner Geschichte, er gehört zu mir dazu.

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Und mit den Medien. Sie hatten anfangs Ihre Schwierigk­eiten.

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