Sudans verfallendes Kulturerbe
Geld aus Katar und deutsche Helfer sollen die ärgsten Probleme lindern. Doch fehlt Khartum der Wille, mehr Gäste ins Land zu lassen und unislamische Denkmäler als Attraktion zu nutzen.
Vor einiger Zeit gab es in Kairo eine Premiere: Archäologen aus Ägypten und dem Sudan trafen einander bei einer Konferenz. Seit Jahrtausenden ist das Verhältnis Ägypten/Sudan von Rivalität geprägt. Ägypten war stets die mächtigere und berühmtere Macht am Nil, die auf die südlichen Nachbarn Kush und Nubien herabschaute. Gern wurden deren Bewohner gefesselt dargestellt. Nur einmal, 760 vor Christi, drehten diese den Spieß um und herrschten für drei Generationen über Ägypten, als „schwarze Pharaonen“der 25. Dynastie.
Meist aber stand der Sudan im Schatten Ägyptens, was bis heute spürbar ist, auch in der Archäologie. Und so waren die Poster von den sudanesischen Kulturorten, die bei der Konferenz im Kairoer Antikenministerium hingen, eher Wunschkatalog denn Präsentation von Erfolgen. „Es fehlen Strategien zu Schutz und Management des Ausgrabungsgeländes“hieß es in fast jedem Text. In der Tat: Wer die antiken Stätten am Nil abfährt, findet kaum ein Hinweisschild. Kleine Museen dämmern vor sich hin. Touristen kommen selten, weil das Land nichts tut, um den paar tausend Interessierten im Jahr das Reisen zu erleichtern. Zudem wird nach der Sezession des ölreichen Südsudan 2011 die ökonomische Lage des Nordens immer desolater, die Währung verfällt, gegen Präsident Omar al-Bashir liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Verdachts auf Völkermord vor. Europa leistet keine direkte Entwicklungshilfe. Vermutlich 60 bis 75 Prozent des Budgets fließen in Militär, Polizei und Geheimdienste.
Für das antike Erbe ist wenig übrig. Zudem leitet das Ministerium für Altertümer und Tourismus Mohammed Zeid Mustafa, ein Islamist, der nichts von vorislamischer Geschichte hält und nicht viele Ausländer im Land will. Dennoch erlebt Sudans Archäologie seit Jahren einen Aufschwung, dank des Golfstaats Katar. Dessen Herrscherclan hatte 2013 nach dem Sturz des ägyptischen Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Mursi seinen Einfluss in Ägypten verloren und drohte in Nahost zum Outsider zu werden. Also sagte er Ägyptens Nachbar 135 Millionen Dollar für Projekte zu, mit denen fünf Jahre lang das kulturelle Erbe erforscht und geschützt sowie das Nationalmuseum in Khartum renoviert werden sollen. In der arabischen Welt zog man so den Sudan auf seine Seite, in der kulturellen machte man positive Schlagzeilen. Die kleinen Pyramiden von Meroe. „Die Gelder sind großzügig“, so die Berliner Wissenschaftlerin Cornelia Kleinitz. Mit Kräften vom Deutschen Archäologischen Institut arbeitet sie in Meroe am Nil, wo die Königsstadt mit dem Pyramidenfeld und die liturgischen Zentren Naqa und Musawwarat sind. Neben Gebel Barka, dem Heiligen Berg am Nil, ist das 2400 Jahre alte Ensemble Sudans zweites Weltkulturerbe.
Zehn Jahre lang lag dort alles brach. Das Grabungshaus war verfallen. „Die meisten Türen zu den Grabkapellen der Pyramiden waren kaputt oder verschwunden, die Fußwege von Sanddünen bedeckt“, notierten die Deutschen 2013. Jetzt ist der Zaun repariert, wurde ein Besuchereingang mit Schautafeln eingeweiht. Und überall die türkisen Schubkarren des KatarProgrammes, obwohl der Geldfluss zeitweise stockte. 2013/2014 überwies das Emirat Geld, 2015 nichts mehr. Für 2016/2017 kam wieder Geld, doch weniger, denn Katar kämpft mit dem Verfall der Öl- und Gaspreise und muss Milliardeninvestitionen für die Fußball-WM 2022 stemmen.
Auf sudanesischer Seite in Meroe zuständig ist Antikeninspektor Mahmud Suliman Bashir, einer von sieben Einheimischen, die das Erbe des drittgrößten Landes Afrikas betreuen. Der 45-Jährige promovierte in Norwegen. Täglich kurz nach Sonnenaufgang kommen Helfer aus nahen Dörfern. Einer der herumliegenden Quader nach dem anderen wird freigelegt, fotografiert und katalogisiert, um ihn später in einem Depot zu schützen. Keine der Pyramiden ist unbeschädigt. Als vor 170 Jahren der preußische Gelehrte Richard Lepsius da war, hatten manche der beigen bis rötlichen Steinriesen noch ihre Spitzen. Heute stehen sie geköpft da. Der Dieb aus Italien. Hauptschuldig ist der italienische Hobbyarchäologe Giuseppe Ferlini. Er fand 1834 unter der Pyramide der nubischen Königin Amanischacheto einen Schatz aus goldenen Armbändern, Ketten und Siegelringen, den er nach Europa schmuggelte, das Gros ist in den Ägyptischen Museen Münchens und Berlins. Um
Ein Islamist als Minister für das antike Erbe und Tourismus, das kann nicht gut gehen. Der Geschichtsunterricht in sudanesischen Schulen beginnt mit dem Jahr 1821.
Konkurrenten zu täuschen, behauptete Ferlini, die Juwelen seien in der Pyramidenspitze eingemauert gewesen.
Heute sind Sand und Unwissen die Schädiger des Erbes. Reiche Sudanesen nutzten die Kulisse für Picknicks und Feste, zu Neujahr tummelten sich oft Tausende hier, kletterten auf Ruinen und verewigten sich im Sandstein. Nur wenige wissen, wo sie sind, denn der Geschichtsunterricht beginnt meist mit dem Jahr 1821, der Eroberung durch Ägypter und Türken. Die größte Gefahr indes ist der Sand: Vor 50 Jahren waren hier keine Wanderdünen, nun fressen sie sich in die Nekropole, wo 30 Könige und acht Königinnen liegen. Sandwirbel, die der Wind erzeugt, schleifen Reliefs ab. Ziegelmauern und eine Baggeraktion der Deutschen brachten Atempausen, doch zum Stoppen der Erosion müsste man nahe Wadis aufforsten, ein teures, langfristiges Unterfangen, das sehr bald vom Sudan allein finanziert und verantwortet werden müsste.
Altertumsminister Mustafa aber kann sich als Islamist dafür nicht erwärmen. Viele Jahre lang hat er jeden Besuch vermieden. Vor einigen Wochen war er erstmals dort. Aber nur, weil der angereiste Generalsekretär der UN-Organisation für Tourismus dieses Erbe der Menschheit sehen wollte.