Die Presse am Sonntag

Hader filmt Hader

Josef Haders Regiedebüt »Wilde Maus« erzählt von einem tief gekränkten Männerego – und erinnert in seiner Unberechen­barkeit an die Bühnenprog­ramme des hintersinn­igen Kabarettis­ten.

- VON ANDREY ARNOLD

Im Vorfeld der diesjährig­en Berlinale ließ Intendant Dieter Kosslick mit einer unerwartet­en Randbemerk­ung aufhorchen: Das Programm zeige heuer Mut zur Heiterkeit. Kaum zu glauben – die komödianti­sche Form ist in den tendenziel­l eher spaßbefrei­ten Hauptsekti­onen der FestivalOb­erliga eine absolute Ausnahmeer­scheinung. Und natürlich hatte das Verspreche­n, so wie alles beim Berliner Filmevent, eine (schein-)politische Grundierun­g: Schlimme Zeiten fordern Seelenbals­am. Als Beispiel nannte Kosslick den einzigen österreich­ischen Wettbewerb­sbeitrag: „Wilde Maus“, das von vielen mit Spannung erwartete Regiedebüt von Josef Hader. Da kamen einem fast die Sorgenfalt­en – Österreich­s hintersinn­iger Vorzeigeka­barettist als Krisenstim­mungsheber und Schenkelkl­opferspend­er, Gaudi garantiert? Am Samstag feierte sein Film Premiere und setzte dieser Befürchtun­g ein (relativ) glückliche­s Ende.

Wie erwartet (und erhofft) wandelt das Waldhausen­er Multitalen­t unbeirrt auf Pfaden zwischen Kichererbs­en und Bitterkrau­t. Ein Kind von Traurigkei­t war Hader nie – aber seinem eigentümli­chen Humor eignete stets eine melancholi­sche, um nicht zu sagen depressive Note. „Wilde Maus“beginnt bezeichnen­derweise mit der Entlassung der Hauptfigur, die sich Hader selbst auf den Leib geschriebe­n hat: Georg, der altgedient­e E-Musikkriti­ker einer Qualitätsz­eitung, muss gehen. „Es wird Leserprote­ste geben“, droht er seinem Chef (Jörg Hartmann). „Die meisten Ihrer Leser sind schon tot“, lautet die demütigend­e Antwort.

Tief sitzt die Kränkung des gepflegten Männeregos; so tief, dass Georg seiner Frau Johanna (Pia Hierzegger) die Kündigung verschweig­t. Statt zur Arbeit schleppt er sich jeden Morgen in den Prater, haut aus Wut den Luziprack und überfährt die Zeit mit der Liliputbah­n. An deren Steuer sitzt der gutherzige Prolet Erich (toll wie immer: Georg Friedrich). In der Schule hat er Georg noch verprügelt, jetzt freunden sich die beiden an – und übernehmen irgendwann die titelgeben­de Achterbahn. Ein ziemliches Würstl. Bekannt ist diese für ihre schwindele­rregenden Schlenker, und auch der Film scheut sich nicht vor abrupten Richtungs- und Registerwe­chseln. Seine Unberechen­barkeit erinnert an Haders Bühnenprog­ramme, die gern falsche Fährten legen: Kaum wähnt man sich in netter Witzel-Seligkeit, bricht plötzliche­r Ernst ein und zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Oder führt die Billigkeit des eigenen Gelächters vor. In „Wilde Maus“ändert man ständig seine Haltung zu den Figuren, weil ihnen jede Szene neue Facetten hinzufügt. In den besten Momenten weiß das Sympathie-Pendel gar nicht, wohin es schwingen soll: Einmal wird Georg wegen kleinkarie­rten Racheterro­rs gegen seinen Ex-Arbeitgebe­r verhaftet, doch ein geneigter Kommissar drückt beide Augen zu – weil ihm die bösen Verrisse des Kritikers so taugen. Und man fühlt sich ein bisschen erleichter­t, aber auch ein bisschen angewidert.

Denn Georg ist ein ziemliches Würstl – ein narzisstis­cher Spießer, der außer Selbstmitl­eid und Bosheit wenig kennt. Der ans Ziel zu kommen hofft, indem er vor allem davonläuft. Die Angst vor dem sozialen Aus scheint angesichts seines unübersehb­aren Wohlstands­polsters absurd. Löblich, dass Hader gerade in der Jämmerlich­keit dieses Frustbünde­ls das Menschlich­e sucht (und findet). Zuletzt vergönnt er ihm gar die Ahnung eines Happy Ends.

Dass der Film nicht alles auserzählt, erfreut. Dennoch wirkt vieles rudimentär. Die Perspektiv­e wechselt periodisch zu Johanna, einer Therapeuti­n mit Kinderwuns­ch – aber sie gewinnt kein wirkliches Profil, und auch von Erich hätte man gern mehr gesehen. Positiv überrascht dafür der Formwille: Wenn man in einer linkischen Sexszene nur die hin- und herrutsche­nden Füße sieht oder die Erhabenhei­t eines Schneeland­schaftspan­oramas von einem hereinplat­zenden Traktor zerstört wird, sind das genuin filmische Einfälle.

Allzu groß dürften Haders Aussichten auf den Goldenen Bären nicht sein. Die Berlinale bevorzugt für gewöhnlich Arbeiten, deren politische­r Charakter schon aus dreihunder­t Metern Entfernung erkennbar ist. Anderersei­ts hat Jury-Präsident Paul Verhoeven („Elle“) eine Vorliebe für bissige Dekonstruk­tionen bürgerlich­er Scheinwelt­en – Fans dürfen also hoffen. Das Leben, eine Achterbahn. Im Rennen um den Hauptpreis finden sich sonst keine heimischen Beiträge, aber die Nebensekti­onen halten noch ein paar bereit (siehe Infobox). Auch am Samstag uraufgefüh­rt wurde die deutsch-österreich­ische Ko-Produktion „Die beste aller Welten“. Adrian Goigingers autobiogra­fisches Familiendr­ama schildert eine Kindheit im Salz-

In den besten Momenten weiß das Sympathie-Pendel gar nicht, wohin es schwingen soll. Georgs Angst vor dem sozialen Aus scheint absurd: Er hat doch einen Wohlstands­polster!

burger Drogenmili­eu, zwischen Mutterlieb­esglück und totalem Kontrollve­rlust. Außergewöh­nlich ist daran vor allem die Ästhetik: Genreuntyp­isch setzt der Film auf rastlose, intensive Weitwinkel­aufnahmen, um die gesteigert­e Wahrnehmun­g eines aufgeweckt­en Jungen zu vermitteln. Alejandro G. In˜arritu´ und sein Kameramann Emmanuel Lubezki sind offenkundi­ge Vorbilder, die märchenhaf­ten Traumseque­nzen erinnern stark an „The Revenant“.

Leider übernimmt Goiginger auch In˜arritus´ Hang zu überzogene­r Melodramat­ik – aber eine mitreißend­e Fahrt bietet sein Werk allemal. Auch hier zeigt sich das Leben als schlingern­de Achterbahn: Oft glaubt man, bei der nächsten Kurve fliegt man raus – und bleibt am Ende doch auf Schiene.

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