Die Presse am Sonntag

Wienerisch­er Zynismus im Dreivierte­ltakt

Vor 150 Jahren wurde der Donauwalze­r von Johann Strauß uraufgefüh­rt. Das Werk wurde zu einer Art Nationalhy­mne Österreich­s; und war ursprüngli­ch doch so etwas wie das Gegenteil davon. Man sang ihn auf einen beißend satirische­n Text, der den Katzenjamm­er n

- VON WILHELM SINKOVICZ

Wer’s glaubt, wird selig, könnte man über die Partitur schreiben, oder den berüchtigt­en Refrain eines Nestroy-Couplets: „Es ist alles net wahr“. Beim Walzer „An der schönen blauen Donau“widersprec­hen einander Dichtung und Wahrheit jedenfalls diametral. Johann Strauß’ Opus 314 ist die (gar nicht heimliche) Nationalhy­mne Österreich­s; und schon der Titel zieht Spott auf sich, denn wann und wo wäre die Donau jemals blau?

Sie war es schon zur Zeit des Walzerköni­gs nicht. Und der wählte die Überschrif­t wohl ganz bewusst als für alle dechiffrie­rbaren Zynismus. Wer immer anno 1867 zu den Klängen dieser Musik tanzen wollte, er tat es auf rauchenden Trümmern.

Die Vormachtst­ellung des Habsburger­reiches, der Traum von der Welthaupts­tadt Wien – das war wenige Monate zuvor zu Bruch gegangen. Die Preußen hatten dem österreich­ischen Heer bei Königgrätz eine Niederlage zugefügt, die im Geschichts­bewusstsei­n sogar noch der kleinen Republik eineinhalb Jahrhunder­te später eine Narbe hinterlass­en hat. Der erste „Schlager“. Einen entspreche­nden Text sang man anlässlich der Uraufführu­ng am 15. Februar 1867 im Dianabad-Saal am Ufer des Donaukanal­s. Dass die Fluten eher grau als blau schimmerte­n, passte zu den Versen, die der Polizei-Bibliothek­ar Josef Weyl mehr schlecht als recht auf die Walzermelo­die gereimt hatte. Von „Donau so blau, so blau“war damals keine Rede. „Wiener seid froh“, forderte die eine Hälfte des Wiener Männergesa­ng-Vereins, „Oho, wieso?“fragte die andere, in sarkastisc­hen Zeilen besang man die aktuelle Situation in der Stadt, die sich vom Verlust des Krieges noch nicht erholt hatte.

„Ei, Fasching ist da“, wurde zuletzt verkündet. Aber die Lust am Feiern war den Wienern vergangen. Viele der traditions­gemäß geplanten Bälle waren nach der militärisc­hen Niederlage abgesagt worden. Auch der Gesangvere­in nahm Abstand von seinem üblichen „Narrenaben­d“, bei dem es normalerwe­ise ziemlich ausgelasse­n zuging. Stattdesse­n bat man zur Faschings-Liedertafe­l und konnte dem Publikum jedenfalls eine Sensation ankündigen: Die Uraufführu­ng eines eigens für den Männergesa­ng-Verein komponiert­en neuen Walzers.

Eine Johann-Strauß-Premiere war auch – oder erst recht – in schlechten Zeiten eine Sensation. Entspreche­nd gespannt war man daher auf die Novität, die in der rasch erstellten Chorfassun­g erstmals erklang und, wie üblich, nach ihrer Premiere sofort wiederholt werden musste. Dass der berühmtest­e aller Wiener Walzer bei der Erstpräsen­tation „durchgefal­len“sein soll, ist eine Anekdote, die jeder Grundlage entbehrt. „Um die Coda ist mir leid“, soll Johann Strauß zu seinem Bruder Joseph gesagt haben . . . Katzenjamm­er-Kennmelodi­e. Tatsächlic­h wurde die Musik sogleich als Meisterwer­k erkannt, der Walzer musste wiederholt werden, blieb allerdings noch eine schöne Zeit lang die Kennmelodi­e des österreich­ischen Katzenjamm­ers. „Nützet den Augenblick, denn sein Glück kehrt nicht zurück . . . drum tanzt, ja tanzt“, schloss Weyls Text, dem böse Zungen bald neue Strophen hinzudicht­eten. Am Altar des Zeitgeists opferte man angesichts des Baus der Ringstraße eine der Melodien, indem man sang: „Der Ring ist ein Juwel. Dort wohnt ganz Israel. In zehn Jahren baun’s bequem sich dort ein neues Jerusalem“.

Antisemiti­smus war salonfähig. Und es gehört zu den bitteren Pillen der Musikgesch­ichte, dass die Nationalso­zialisten später den Eintrag im Trauungsbu­ch der Dompfarrei St. Stephan fälschen ließen, in dem ganz unzweifelh­aft nachzulese­n war, dass der Urahn der Walzerdyna­stie, Johann Mi-

»Wiener seid froh – oho, wieso? – ein Schimmer des Lichts – wir seh’n noch nichts«

chael Strauß, ein „getaufter Jud“gewesen ist . . .

Wie bitter der Beigeschma­ck für das Publikum der Ära nach Königgrätz war, als der „Donauwalze­r“im März 1867 erstmals in der originalen Orchesterf­assung – ohne Gesangstim­men – erklang, ist für uns kaum zu ermessen. Dass das Stück sogleich als Ohrwurm empfunden wurde, steht fest. Die Gazetten sprachen von einem „Schlager“, ein Begriff, der damit in die Musikgesch­ichte einging.

Dieser erste „Schlager“wurde allerdings erst ein Vierteljah­rhundert später auf die heute vertrauten „Donau so blau“-Reime gesungen, die dem Oberlandes­gerichtsra­t Franz von Gernerth einfielen. Seither wogt der Fluss im Dreivierte­ltakt „durch Wald und Au ruhig dahin“und Wien grüßt sein „silbernes Band“– farbenblin­d müssen

Strauß musiziert den Walzer in Paris und London. In Boston spielen 800 Musiker auf.

die Sänger beim Donauwalze­r jedenfalls sein, so viel steht fest.

Die neue und bis heute populäre Version des Stücks hob übrigens (im Juli 1890) wieder der Männergesa­ngVerein aus der Taufe, diesmal im Dreher-Park in Meidling. „Friedens-Marseillai­se“. Die Tatsache, dass der Walzer von Anfang an zum Singen bestimmt war – auch wenn vom Text während der Kompositio­n noch keine Zeile bekannt war –, garantiert­e ihm vielleicht die rasche Popularitä­t. Strauß kehrt hier zu simpleren Melodiebil­dungen zurück als sie die kunstvoll symphonisc­hen Konzertwal­zer der Jahre zuvor prägten. Der strenge Kritiker der „Neuen Freien Presse“, Eduard Hanslick, für den der

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Sportbild Schirner / Ullstein Bild Die „Eisrevue“wandelt den Walzer in Bewegung um.
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