Wer war der beste Walzerdirigent?
Wer die vielen Johann-Strauß-Aufnahmen miteinander vergleicht, kommt bald dahinter, dass unsere Philharmoniker unter Clemens Krauss am entspanntesten musiziert haben.
Kenner haben immer schon behauptet, dass die Strauß-Aufnahmen des Neujahrskonzertgründers Clemens Krauss unerreicht seien. Sie entstanden in den ersten Jahren des Langspielplatten-Zeitalters für die Philharmoniker-Exklusivfirma Decca und stellen auch in aufnahmetechnischer Hinsicht – wiewohl selbstverständlich noch in Mono – Meilensteine dar.
Eingespielt wurden die Alben in der Regel während der Einstudierungsphase der jeweiligen Konzerte. Tatsächlich vermitteln sie ein Gefühl dafür, wie ohne falsche Drücker und Verzögerungen auf ganz natürliche Weise Rhythmen schwingen und Melodien in Fluss bleiben.
Noch viel schöner für die Nachgeborenen ist es aber, dass sich ein Livemitschnitt des Neujahrskonzertes 1954 erhalten hat – inklusive der frisch von der Leber weg kommentierenden Moderatorenstimme von Franziska Kalmar. Da kommt zu den herrlichen Klängen noch die Spontaneität des Live-Konzertes hinzu. Und das wirkt trotz aller technischen Unbilden, die bei Tonbändern, die mehr als ein halbes Jahrhundert aufbewahrt wurden, unvermeidlich sind, überwältigend.
Ganz abgesehen von der historischen Dimension des Dokuments. Nicht nur die Musik, auch wie das Wiener Publikum auf die ersten Takte des Radetzkymarschs reagiert – am 1. Jänner 1954, als von einem Staatsvertrag noch keine Rede war –, ist hörenswert.
Bemerkenswert auch, dass bei anhaltendem Applaus manche Polka sofort wiederholt wurde – von solcher Großzügigkeit ist man angesichts des rigiden Terminfahrplans bei einer weltweiten TV-Übertragung natürlich längst weit entfernt; so weit wie von dem ebenso entspannten Musikantentum, das die Musiker unter Clemens Krauss erreichten.
Es genügt, nur die ersten Takte des „Donauwalzers“zu hören, wie da jedem Dreiklang der Melodie eine völlig neue Antwort folgt – die Akkorde sind jedesmal in eine andere Klangfarbe getaucht, jedesmal anders artikuliert; es entsteht ein spannender, von Takt zu Takt überraschender Dialog.
Keiner, auch nicht die meistgelobten und meistgeliebten der NeujahrsDirigenten, die Krauss folgten, hat eine solche Vielschichtigkeit, einen solchen Klangreichtum erreicht – bei gleichzeitiger Natürlichkeit melodischer Entfaltung und federnd leichter Rhythmik in den folgenden Walzerabschnitten. Wer über den Dreivierteltakt Bescheid wissen will, muss das gehört haben.
Schönste Aufnahme?
Clemens Krauss zu Neujahr 1954. Erschienen bei Archiphon, erhältlich auch als Download (z. B. auf Amazon oder iTunes).