HISTORISCH
„Donauwalzer“bald die „wortlose Friedens-Marseillaise“sein sollte, hatte den Walzerkönig zuvor wiederholt wegen seiner allzu kühnen melodischen und harmonischen Ausschweifungen getadelt. Er sprach gar von einem „Walzerrequiem“, weil sich Strauß für seinen Geschmack zu sehr im Fahrwasser der damals hochmodernen „neudeutschen Schule“um Franz Liszt und Richard Wagner bewegte.
Von den schlichten, der Volksmusik abgelauschten frühesten Walzerfolgen eines Joseph Lanner oder Johann Strauß Vater war man mittlerweile meilenweit entfernt. Längst waren die Neuschöpfungen der Brüder Strauß nicht mehr vorrangig Tanzmusik, sondern wurden in Konzerten – nicht selten nach Wiedergaben klassischer Symphonien oder Opern-Fragmente – musiziert. Und selbst wenn die Uraufführung nicht bei einem Konzert der Strauß-Kapelle (etwa im Volksgarten) stattfand, sondern anlässlich einer Ballveranstaltung, dann lauschte das Publikum der Premiere zunächst stehend. Getanzt wurde erst zur Wiederholung!
Aus der losen „Walzerfolge“, wie sie einst ein Franz Schubert am Klavier improvisierte – und schöne Gedanken, denen besonders laut applaudiert wurde, immer wieder zum besten gab und weiterspann – war ein höchst artifizielles Produkt geworden, fünf oder sechs Walzer zu jeweils zwei Melodien, von einer Einleitung und einer resümierenden Coda umrahmt. Schimmernde Geigentremoli. Dass die berühmte, aus schimmernden Violintremoli aufsteigende Einleitung des „Donauwalzers“(sie steht in A-Dur, der Walzer selbst in D-Dur) erst anlässlich der „symphonischen“Erstaufführung am 10. März und nicht schon beim Männergesang-Vereinsfest am 15. Februar erklungen sein soll, ist übrigens sehr wahrscheinlich ein Gerücht. Sonst stünde in den erhaltenen Stimmen wohl kaum „Introduction tacet“, wie Strauß-Urgroßneffe Eduard Strauß festgehalten hat.
Die jüngere Strauß-Forschung hat auch mit dem Missverständnis aufgeräumt, die für die melodische Entfaltung so wichtigen Streicherstimmen seien damals im Dianabad-Saal von Bläsern übernommen worden, weil ja der Männergesang-Verein von einer Infanteriekapelle (Nr. 42, König von Hannover) begleitet wurde. Die Vorstellung, dass beim Militär nur Blasmusik zulässig gewesen sein soll, ist vollkommen irrig. Fast alle Militärkapellmeister – so später auch berühmte Komponisten wie Carl Michael Ziehrer oder Franz Lehar´ – befehligten „richtige“Orchester mit Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabässen. Übrigens begleitete auch die Uraufführung der Gernerth-Version die Militärmusik. Der Trick mit der Operette. Noch etwas will heutigen Musikfreunden befremdlich erscheinen: Die Komposition eines „Gesangswalzers“soll ohne die dazugehörigen Worte stattgefunden haben? Sie hat! Dass schwungvolle Melodien erst im Nachhinein mit Texten unterlegt wurden, war gängige Praxis in der Unterhaltungsindustrie, die in der Zeit der Strauß-Brüder längst auf Hochtouren lief. Der Strauß-Biograph Norbert Linke hat nachgewiesen, dass nicht nur das Triumvirat Johann, Joseph und Eduard in der Zeit seiner Hochblüte fabriksmäßig ans Werk ging – man brauchte neue Stücke für jeweils eigene Auftritte in Wien, aber auch weltweit, Jahr für Jahr in St. Petersburg und auf Tourneen bis nach Übersee.
Zu diesem Zweck beutete man sogar die Werke des ersten Walzerkönigs, Johann Strauß Vater, sozusagen gewerbsmäßig aus, übernahm Melodiefragmente und „baute sie aus“. Es war also keineswegs ungewöhnlich, dass die geschäftstüchtige Jetty Strauß auf die Idee kam, ihren Johann, der ein Theatermuffel war, zu überreden, es doch mit der lukrativen Form der Operette zu versuchen. Man wollte die Spitzeneinnahmen nicht dem Operetten-Pionier Offenbach aus Paris und schon gar nicht dessen Wiener Erben Franz von Suppe´ überlassen. Einnahmenrekorde. Also griffen Jetty und Maximilian Steiner vom Theater an der Wien zu einer List. Die Ehefrau entwendete einige Manuskripte aus dem Schreibtisch ihres Mannes, Steiner ließ sie arrangieren und mit Texten unterlegen. In einer Privataufführung konfrontierte man Johann Strauß mit gesungenen Versionen einiger seiner noch unaufgeführten Walzer und Polkas.
Strauß – wohl animiert durch mögliche Einnahmenrekorde, die man ihm avisierte – stimmte zu und wurde so zum Operetten-Komponisten. Das war wenige Jahre nach der Premiere des Donauwalzers; und der war längst zum Welterfolg geworden. Buchstäblich. Schon im Jahr der Uraufführung nahm Strauß sein Opus 314 zur Weltausstel- lung nach Paris mit, wo er ebenso triumphale Erfolge feiern konnte wie später in London, wo man – dem gigantomanischen Zug der Zeit entsprechend – für das Gastspiel des Stars aus Wien das „größte Orchester der Welt“avisierte.
Das tatsächlich größte Orchester der Welt spielte dann im Juni 1872 auf, nachdem Johann Strauß an Bord der „Bremen“über den Ozean in die Vereinigten Staaten gereist war. Bei jenem legendären Konzert in Boston sollen 2000 Musiker unter der Leitung des Komponisten gespielt haben.
Aber das ist, so wissen die Chronisten, wieder eine Legende. In Wahrheit kamen die 2000 Mitwirkenden an jenem Abend nämlich erst für den Zigeunerchor aus Verdis „Troubadour“auf die Bühne. Strauß befehligte zuvor (mit Assistenten) angeblich „nur“800 Mann: „Und nun geht ein Heidenspektakel los“, schreibt er, „den ich mein Lebtag nicht vergessen werde.“
So rasch war noch nie ein Musikstück ein Welterfolg. Etwas später hatte Verleger Spina bereits eine Million Exemplare der Notenausgabe von „An der schönen blauen Donau“verkauft! Komponiert hat Johann Strauß seinen berühmtesten Walzer als Auftragswerk für den Wiener Männergesang-Verein.
Uraufgeführt
wurde das Stück mit einem Text, der direkt auf den Katzenjammer in Wien nach der Niederlage bei Königgrätz Bezug nahm.
Der Titel
„An der schönen blauen Donau“stand zwar von Anfang an fest, doch entstanden die heute wohlbekannten Textworte Franz von Gernerths erst ein Vierteljahrhundert nach der Komposition.
Der Verlag hat von der Notenausgabe mehr als eine Million Exemplare verkauft.