Ein Paradies für Diven und Edelfedern
Füllfedern sind laut Harald Weidler wie Schuhe. Sie müssen probiert und eingetragen werden. 2000 Schreibgeräte fasst sein Geschäft am Graben. Dort hält es sich wacker seit 1882 – auch dank des zweiten Standbeins der Familie, dem Großhandel.
Bevor ein Journalist den altehrwürdigen Schreibwarenladen der Familie Weidler am Graben betritt, sollte er sich gut überlegen, womit er das Gespräch mitschreiben will. Der klassische Billigkugelschreiber – durchsichtiger Schaft, blaue Kappe, hinten leicht abgebissen – etwa erntet ein „Das tut zumindest nicht weh, wenn er weg ist“von Harald Weidler.
Der 51-Jährige ist die vierte Generation und eigentlich für den Wiener Großhandel der Familie zuständig, den er von Döbling aus gemeinsam mit seinem Vater lenkt. Dort steht die Siebdruckerei, dort verlassen zwei Millionen Werbekugelschreiber jährlich die Fabrik, und dort stieg er auch 1984 direkt nach der Matura als Druckereigehilfe unten in die Firmenhierarchie ein. Schon damals war das Unternehmen mehr als hundert Jahre alt.
Auch wenn der Detailhandel nur mehr ein Drittel der Umsätze macht, sei er nach wie vor das Herzstück des Hauses, betont Weidler. Um ihn herum reihen sich an drei Seiten der edlen Adresse Graben Nr. 26 die Füllfedern in den Glasvitrinen und Holzschränken. Keine Fläche scheint nicht verspiegelt zu sein. Dadurch gewinnt das kleine Geschäft Größe – und die 2000 ausgestellten Schreibgeräte gewinnen noch einmal so viele Zwillinge dazu. Feder mit Kapriolen. „Was Füllfedern auszeichnet: Jede ist individuell“, sagt Weidler nach einem weiteren Blick auf das 50-Cent-Modell. Ihr Herzstück bilde die Feder aus Gold oder Stahl. Deren Härte, Elastizität und Spitze prägt das Schriftbild. Mit jedem geschriebenen Kilometer passe sie sich mehr an den Eigentümer an. Wie im Schuhgeschäft sei die Anprobe das Wichtigste beim Kauf – außer natürlich, es handelt sich um den klassischen MontblancFüller zur Promotion.
Die Pflegeleichtigkeit eines Kugelschreibers darf man dafür nicht erwarten. „Die Füllfeder ist die Diva unter den Schreibgeräten. Sie vertrocknet, wenn man sie länger liegen lässt“, sagt Weidler. Die unterhalb der Feder verlaufenden feinen Tintenkanäle verkrusten leicht. Dafür habe aber auch noch nie ein Kugelschreiberbesitzer den Phantomschmerz erlebt, der einen ergreift, wenn nach jahrelangem Gebrauch die gut eingeschriebene Feder ihren Dienst versagt und ausgetauscht werden muss.
400 bis 500 Euro kann ein solides Modell leicht kosten. Der Fantasie sind bei den Preisspannen der hier lagernden Geräte aber kaum Grenzen gesetzt. Denn die Familie Weidler betreibt nicht nur einen Detail- und Großhandel mit Schreibwaren und allem, was damit von Etuis und Kalendern bis zu Ledermappen einhergeht, sondern bezeichnet sich auch stolz als einen der wenigen europäischen Schreibwarenjuweliere. So liegen die Sondereditionsmodelle der großen Häuser von Faber-Castell, Cartier oder Montblanc in den Auslagen. Hier wird nicht mit Massivgold, Sterlingsilber, Holzziselierungen und Gravuren gegeizt. Viele der exklusiven Geräte erhalten ihren Glanz durch Chinalack. Der sei teurer als Gold, erklärt Weidler. Bis zu zwanzig Lagen werden in mehrwöchiger Handarbeit aufgetragen.
Sie hätten Sammler, erzählt Weidler, die sich regelmäßig über Neuerscheinungen erkundigen und die edlen Schreibegräte als Wertanlage in den Tresor legen. Von den Einstiegsmodellen für 40 Euro ist man weit entfernt – diese Luxuseditionen sind den Liebhabern bis zu 200.000 Euro wert. „Zum Schreiben ungeeignet“, attestiert Weidler manchen selbst. Aber hübsch zum Anschauen. „Wir weinen wie alle Händler hier am Graben dem Russland-Zeitalter nach“, fügt er hinzu. Rubbelschwäche und Handelsboykott drückten die Nachfrage in der exklusiven Preisklasse. Die bedrohte Mitte. Im hochpreisigen Segment sehe es aber noch rosiger aus als im Mittelfeld. Große Namen, die früher den Markt dominierten und ein Jahrhundert bestanden, wie die US-Firma Parker, seien heute vielen kein Begriff mehr. Die Zahl der branchenfremden Wettbewerber, die Schreibwerkzeug anbieten, stieg. Die Werbekugel- schreiber, die mit den Siebzigern in Mode kamen, reichen vielen für den Alltagsgebrauch. Und die, die sich noch in einem exklusiven Fachgeschäft wie dem der Weidlers am Graben bei der Anprobe der Füllfeder beraten lassen wollen, greifen tendenziell zu den teureren Stücken. Das Sterben setze sich auch bei seinen Kollegen in den Papier- und Schreibwarengeschäften im ersten Bezirk fort. Fehlende Nachfolger, die exorbitant hohen Innenstadtmieten auf die herrschaftlich großen Geschäftsflächen oder verlockende Ablöseangebote seien die klassischen Schließungsgründe. Erst vergangenes Jahr sperrten drei ähnlich alteingesessene Häuser zu, erzählt ein langjähriger Mitarbeiter und legt besorgt die Stirn in Falten. Ein Viertel der Schreibwarenhändler von einst gebe es heute noch. Auch die Weidlers könnten ihr exklusives Herzstück wohl nicht unbeschwert führen, würden nicht 15 weitere Mitarbeiter draußen in Döbling den Großhandel mit bedruckten Kugelschreibern und Werbegeschenken aller Art am Laufen halten.
Harald Weidlers Urgroßvater, Carl Max Weidler, hatte 1882 ursprünglich nur das Detailgeschäft im Kopf. Der Spross einer deutschen Papierfabrikantendynastie wurde gemeinsam mit seinem Bruder nach Wien geschickt, um den österreichischen Markt zu sondieren. Jedoch war er so begeistert von der neuartigen Erfindung der Füllfeder, dass er blieb und das Detailgeschäft mit Schreibwaren am Graben eröff-
»Die Füllfeder ist eine Diva: Sie vertrocknet, wenn man sie länger liegen lässt.«
Ein Blick in die Glasvitrine (r.) und eine gravierte Stahlfeder in Nahaufnahme (l.).