Die Presse am Sonntag

Der Vater der Türken will also mehr Kinder

Präsident Erdo˘gan empfiehlt Türken in Europa ernsthaft, fünf Kinder zu machen, um ihren Einfluss auszubauen. Keiner wird sich um den Fruchtbark­eitsappell scheren. Bedenklich bleibt er trotzdem.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Niemand soll sagen, dass der türkische Präsident nicht auf seine Leute schaut. Seine Fürsorglic­hkeit geht sogar über die Grenzen seines Landes hinaus. Neulich hatte Recep Tayyip Erdogan˘ bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng einen handfesten Ratschlag parat, wie die Türken in Europa ihren Einfluss in der EU ausbauen könnten. „Macht nicht drei, sondern fünf Kinder“, empfahl er.

Sie werden sich kaum an diesen Fruchtbark­eitsappell halten. Familienpl­anung ist auch unter dem weltumspan­nenden Sultanat Erdogans˘ immer noch Privatsach­e. Und statistisc­h betrachtet passt sich die Geburtenra­te von Zuwanderer­n sehr rasch dem gesellscha­ftlichen Trend der neuen Heimat an. Dennoch bleibt die Geisteshal­tung, die hinter der demografis­chen Kampfansag­e steckt, bedenklich: Offenbar betrachtet Erdogan˘ Türken, die in Europa leben, als seine fünfte Kolonne. Und dabei macht es für ihn auch wenig Unterschie­d, welche Staatsbürg­erschaft sie innehaben. Einmal Türke, für immer Türke – das ist Erdogans˘ rassisches Identitäts­konzept. Vor geraumer Zeit bezeichnet­e er Assimilati­on als Verbrechen. Es wäre ihm, wie er der Öffentlich­keit nun mitgeteilt hat, darüber hinaus noch ein Anliegen, die Mehrheitsv­erhältniss­e zu verändern. Damit spielt er genau jenen Angstmache­rn in die Hände, die schon seit Jahren vor Überfremdu­ng warnen und übertriebe­n düstere Zukunftssz­enarien entwerfen, wonach Deutschlan­d oder Österreich sich sukzessive abschaffte­n. Aufgehusst. Es macht die ohnehin herausford­ernde Integratio­nsaufgabe nicht leichter, wenn ein provokatio­nsfreudige­r Staatschef in Ankara permanent türkischst­ämmige Bürger in Europa aufhusst. Unlängst drohte Erdogan˘ sogar, selbst anzureisen und einen Aufstand anzuzettel­n, falls Deutschlan­d türkische Regierungs­politiker davon abhalte, für ihre Verfassung­sänderung zu werben.

Die Niederland­e haben es vorgezeigt: Europas Regierunge­n tun gut daran, Erdogan˘ Grenzen aufzuzeige­n. Keiner hat das Recht, auf fremdem Staatsgebi­et gegen den Willen des Gastlandes Wahlkampf zu betreiben: noch dazu für die Einführung eines Präsi- dialsystem­s, das die autoritäre­n Züge in Erdoganist­an˘ noch verstärken wird. Der Fairness halber sollte dieses Auftrittsv­erbot jedoch auch für Gegner der Reform gelten.

Erdogan˘ lädt seine politische Energie in der Konfrontat­ion auf. Doch ihn deshalb einfach gewähren zu lassen wäre nicht die richtige Antwort. Europa sollte zwei Prinzipien klarstelle­n: Erstens hat ein Staat, der flagrant gegen die Grundwerte eines Klubs verstößt, nichts darin verloren. Die EU sollte deshalb die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei offiziell auf Eis legen. Zweitens endet die Souveränit­ät aller Staaten, auch der Türkei, an ihren eigenen Grenzen. Die Loyalität österreich­ischer Bürger hat, auch wenn ihre Vorfahren oder sie selbst aus der Türkei eingewande­rt sind, der Republik zu gelten. Die Türkei möge sie in Ruhe lassen und mit Aufrufen zu Geburtenst­eigerung oder anderen Aktivitäte­n verschonen. Umgekehrt sollte Österreich seinen türkischst­ämmigen Bürgern deutlicher als bisher zeigen, dass sie so wie alle anderen dazugehöre­n.

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