Meter um Meter in Richtung Mossul
Der Angriff auf die irakische Hochburg des Islamischen Staates ist ein aufreibender Kampf für die Armee. Dennoch melden die Generäle nur Erfolge, dabei ist die Offensive ins Stocken geraten. Die Militärs finden kein Rezept gegen die brutale Guerillataktik
Der Sturm schlug mitten in der Nacht zu. Heftige Regenschwaden fielen plötzlich vom Himmel. Ihr lautes Prasseln übertönte das Rauschen der kreisenden Kampfflugzeuge. Selbst das dumpfe Donnern der Bombeneinschläge, das sonst so massiv den Schlaf raubte, schien verstummt zu sein. Der lehmigen Wüstenboden verwandelte sich binnen weniger Minuten in tiefen Morast und Schlamm.
Am frühen Morgen genügt General Raad Mohsin, dem Leiter der medizinischen Abteilung der irakischen 9. Division, ein Blick aus dem Küchenfenster. Die Straße von Bakihra, einem verlassenen Weiler, etwa 20 Kilometer südwestlich von Mossul, steht knietief unter Wasser. „Heute sind wir verdammt, hier zu bleiben, denn alle Wege sind unpassierbar“, sagt der Militärarzt, der noch im Schlafanzug steckt. „Es wird auch keine Verletzten geben. Bei diesem Wetter ist ein Angriff auf die Terroristen des Islamischen Staats (IS) unmöglich.“Der General, der noch unter Saddam Hussein gedient hat, verschwindet wieder in sein Schlafzimmer in der geräumigen Villa mit Garten, die zum medizinischen Basiscamp der 9. Division umfunktioniert wurde.
So gemütlich wie der General haben es die anderen Soldaten dieser Panzerdivision allerdings nicht. Sie stehen im 50 Kilometer entfernten Badoush dem IS gegenüber. Erst am Donnerstag eroberten sie den Ort, der für die gesamte Offensive auf Mossul von großer strategischer Bedeutung ist. Er liegt im Nordwesten der IS-Hochburg, direkt am Tigris, über den nun eine Pontonbrücke gebaut werden soll. Somit könnten irakische Truppen aus dem Norden Mossuls in den Westen der IS-Stadt vorrücken und eine neue Front eröffnen. Das würde der mittlerweile ins Stocken geratenen Offensive gegen die Extremisten eine dringend notwendige, neue Schubkraft geben. Denn der mit großen Versprechungen am 19. Februar gestartete Angriff auf Mossul ist nach einigen Anfangserfolgen teilweise ganz zum Erliegen gekommen. Ein Grund dafür sind die hohen Verluste, die der IS mit Autobomben, Minen und Heckenschützen der irakischen Armee beibringt. Hinzu kommt das schlechte Wetter, das immer wieder alles lahmlegt.
Trotzdem gibt es nur Erfolgsmeldungen der irakischen Militärführung. 60 Prozent des Westteils seien schon erobert worden, heißt es. Nach Ansicht von US-Majorgeneral Joseph Martin, dem Kommandeur der amerikanischen Bodentruppen im Irak, ist es jedoch nur etwas mehr als ein Drittel. Vorübergehend arbeitslos. In Bakihra ist jetzt auch das internationale medizinische Notfallteam (Mermt) vorübergehend arbeitslos, das vor wenigen Tagen ihren Dienst bei der 9. Division angetreten hat. „Vor zwei Wochen war das noch undenkbar“, erzählt Max Leopold, ein deutscher Notfallsanitäter aus Köln, der Teil des Teams ist. „Da hatten wir in Mossul alle Hände voll zu tun.“In Zusammenarbeit mit den irakischen Föderalen Polizeistreitkräften versorgte dort Mermt in den ersten drei Wochen der Offensive Verletzte. „In unserem Feldlazarett auf dem Flughafen waren insgesamt 900 Verwundete“, sagt Leopold. „Davon waren über 80 Prozent Soldaten, was eine wirklich sehr hohe Zahl ist.“
Gewöhnlich geht man davon aus, dass die Zahl der Todesopfer etwa einem Viertel der Verwundeten entspricht. Das wären in diesem Fall etwa 180 getötete Soldaten. In Mossul existieren noch vier weitere Notfalllazarette, was insgesamt auf rund 900 Tote
»Für jede Armee sind das Verlustzahlen, die eigentlich nicht zu akzeptieren sind.«
schließen ließe. „Für jede Armee sind das Verlustzahlen, die eigentlich nicht zu akzeptieren sind“, kommentiert der 36-jährige Kölner, der seine Karriere als Akademiker an der Universität sausen ließ, um als Kriegssanitäter Leben zu retten. „Die Terrormiliz hat die perfide Strategie, möglichst viel Schaden und Leid anzurichten“, glaubt Leopold. So habe der IS einen Bulldozer voll mit Sprengstoff gepackt und auf dem Dach ein Maschinengewehr positioniert. „Damit sind sie durch drei Straßensperren der irakischen Armee gebrochen, um sich dann zwischen wartenden Krankenwagen in die Luft zu jagen.“ Schlecht für die Moral. Das irakische Militär scheint nicht ohne Grund seine Todeszahlen geheim zu halten. Die Veröffentlichung wäre schlecht für die Moral der Soldaten. Zudem würde man erneut an der Kompetenz der Armeeführung zweifeln. Bereits während der ersten Offensive auf Mossul hat es Kritik an der Vorgehensweise gegeben. Drei lange Monate hat die Eroberung des Ostteils der Stadt gedauert. Im Westteil zeigen sich nun weitaus größere Herausforderungen. So besteht die Altstadt und Machtbasis des IS aus engen, unübersichtlichen Gassen, mit dicht aneinander gebauten Häusern. „Wir brauchen einen neuen Angriffsplan“, fordert ein irakischer Soldat in Mossul, der seinen Namen nicht nennen will. „Der Plan muss sich an den neuen Gegebenheiten orientieren. Wir können in der Altstadt unsere gepanzerten Fahrzeugen kaum benutzen.“
Die bisher eroberten Stadtgebiete waren weitläufige Vororte, in denen auch Panzer leicht vorankamen. Wie schwierig und brutal der Kampf allerdings wird, musste die irakische Armee erkennen, als sie nur die Grenzen der Altstadt erreichte. Möglichst schnell sollte die jahrhundertealte al-NourMoschee als symbolträchtiger Ort zurückerobert werden. Von ihrer Kanzel aus hat nämlich IS-Führer Abu Bakr al- Bagdadi im Juli 2014 das Kalifat ausgerufen. Vor zehn Tagen waren die Truppen eineinhalb Kilometer von der Moschee entfernt. Vor einer Woche näherten sich die Soldaten auf einen Kilometer, später auf 800 Meter. Heute sollen es 500 Meter sein.
Es ist ein tödlicher, aufreibender Kampf, der buchstäblich Meter um Meter geführt wird. In der Altstadt haben sich die Extremisten hermetisch verschanzt. Die Eingänge sollen mit drei hintereinander gereihten, rund zehn Meter hohen Betonträgern blockiert sein, wie man sie etwa beim Bau von Brücken und Tiefgaragen verwendet. In den angrenzenden Häusern sollen Zivilisten als menschliche Schutzschilde gefangen sein.
Notfallsanitäter Leopold sitzt mit seinen Kollegen aus Kanada, Schweden und Großbritannien im Wohnzimmer der Basis der 9. Division. Dort schlafen sie auch gemeinsam. Komfort gibt es für die Sanitäter nicht, die an einem Tag oft mehr als 50 Menschen das Leben retten. Die in Kanada registrierte Organisation steckt noch in der Anfangsphase, Idealismus wird großgeschrieben. Bis auf Christopher, der 66 Jahre alt ist, sind die meisten anderen in den Zwanzigern. Ihr Notfallhandwerk haben sie beim Militär gelernt. „Ein Gehalt bekommt bisher keiner von uns“, klärt Leopold auf. „Im Gegenteil, wir müssen alles selbst finanzieren.“
Das Team wurde von der 9. Division geholt, um an der Front in Badoush Notdienst zu leisten. Nun hören sie, dass auch nach Ende des Regens die Ruhepause vorerst weitergeht. „Den anderen Teams aus Norwegen und der Slowakei geht es nicht
Die Notfallsanitäter finanzieren ihren Dienst aus der eigenen Tasche.