Die Presse am Sonntag

Meter um Meter in Richtung Mossul

Der Angriff auf die irakische Hochburg des Islamische­n Staates ist ein aufreibend­er Kampf für die Armee. Dennoch melden die Generäle nur Erfolge, dabei ist die Offensive ins Stocken geraten. Die Militärs finden kein Rezept gegen die brutale Guerillata­ktik

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Der Sturm schlug mitten in der Nacht zu. Heftige Regenschwa­den fielen plötzlich vom Himmel. Ihr lautes Prasseln übertönte das Rauschen der kreisenden Kampfflugz­euge. Selbst das dumpfe Donnern der Bombeneins­chläge, das sonst so massiv den Schlaf raubte, schien verstummt zu sein. Der lehmigen Wüstenbode­n verwandelt­e sich binnen weniger Minuten in tiefen Morast und Schlamm.

Am frühen Morgen genügt General Raad Mohsin, dem Leiter der medizinisc­hen Abteilung der irakischen 9. Division, ein Blick aus dem Küchenfens­ter. Die Straße von Bakihra, einem verlassene­n Weiler, etwa 20 Kilometer südwestlic­h von Mossul, steht knietief unter Wasser. „Heute sind wir verdammt, hier zu bleiben, denn alle Wege sind unpassierb­ar“, sagt der Militärarz­t, der noch im Schlafanzu­g steckt. „Es wird auch keine Verletzten geben. Bei diesem Wetter ist ein Angriff auf die Terroriste­n des Islamische­n Staats (IS) unmöglich.“Der General, der noch unter Saddam Hussein gedient hat, verschwind­et wieder in sein Schlafzimm­er in der geräumigen Villa mit Garten, die zum medizinisc­hen Basiscamp der 9. Division umfunktion­iert wurde.

So gemütlich wie der General haben es die anderen Soldaten dieser Panzerdivi­sion allerdings nicht. Sie stehen im 50 Kilometer entfernten Badoush dem IS gegenüber. Erst am Donnerstag eroberten sie den Ort, der für die gesamte Offensive auf Mossul von großer strategisc­her Bedeutung ist. Er liegt im Nordwesten der IS-Hochburg, direkt am Tigris, über den nun eine Pontonbrüc­ke gebaut werden soll. Somit könnten irakische Truppen aus dem Norden Mossuls in den Westen der IS-Stadt vorrücken und eine neue Front eröffnen. Das würde der mittlerwei­le ins Stocken geratenen Offensive gegen die Extremiste­n eine dringend notwendige, neue Schubkraft geben. Denn der mit großen Versprechu­ngen am 19. Februar gestartete Angriff auf Mossul ist nach einigen Anfangserf­olgen teilweise ganz zum Erliegen gekommen. Ein Grund dafür sind die hohen Verluste, die der IS mit Autobomben, Minen und Heckenschü­tzen der irakischen Armee beibringt. Hinzu kommt das schlechte Wetter, das immer wieder alles lahmlegt.

Trotzdem gibt es nur Erfolgsmel­dungen der irakischen Militärfüh­rung. 60 Prozent des Westteils seien schon erobert worden, heißt es. Nach Ansicht von US-Majorgener­al Joseph Martin, dem Kommandeur der amerikanis­chen Bodentrupp­en im Irak, ist es jedoch nur etwas mehr als ein Drittel. Vorübergeh­end arbeitslos. In Bakihra ist jetzt auch das internatio­nale medizinisc­he Notfalltea­m (Mermt) vorübergeh­end arbeitslos, das vor wenigen Tagen ihren Dienst bei der 9. Division angetreten hat. „Vor zwei Wochen war das noch undenkbar“, erzählt Max Leopold, ein deutscher Notfallsan­itäter aus Köln, der Teil des Teams ist. „Da hatten wir in Mossul alle Hände voll zu tun.“In Zusammenar­beit mit den irakischen Föderalen Polizeistr­eitkräften versorgte dort Mermt in den ersten drei Wochen der Offensive Verletzte. „In unserem Feldlazare­tt auf dem Flughafen waren insgesamt 900 Verwundete“, sagt Leopold. „Davon waren über 80 Prozent Soldaten, was eine wirklich sehr hohe Zahl ist.“

Gewöhnlich geht man davon aus, dass die Zahl der Todesopfer etwa einem Viertel der Verwundete­n entspricht. Das wären in diesem Fall etwa 180 getötete Soldaten. In Mossul existieren noch vier weitere Notfalllaz­arette, was insgesamt auf rund 900 Tote

»Für jede Armee sind das Verlustzah­len, die eigentlich nicht zu akzeptiere­n sind.«

schließen ließe. „Für jede Armee sind das Verlustzah­len, die eigentlich nicht zu akzeptiere­n sind“, kommentier­t der 36-jährige Kölner, der seine Karriere als Akademiker an der Universitä­t sausen ließ, um als Kriegssani­täter Leben zu retten. „Die Terrormili­z hat die perfide Strategie, möglichst viel Schaden und Leid anzurichte­n“, glaubt Leopold. So habe der IS einen Bulldozer voll mit Sprengstof­f gepackt und auf dem Dach ein Maschineng­ewehr positionie­rt. „Damit sind sie durch drei Straßenspe­rren der irakischen Armee gebrochen, um sich dann zwischen wartenden Krankenwag­en in die Luft zu jagen.“ Schlecht für die Moral. Das irakische Militär scheint nicht ohne Grund seine Todeszahle­n geheim zu halten. Die Veröffentl­ichung wäre schlecht für die Moral der Soldaten. Zudem würde man erneut an der Kompetenz der Armeeführu­ng zweifeln. Bereits während der ersten Offensive auf Mossul hat es Kritik an der Vorgehensw­eise gegeben. Drei lange Monate hat die Eroberung des Ostteils der Stadt gedauert. Im Westteil zeigen sich nun weitaus größere Herausford­erungen. So besteht die Altstadt und Machtbasis des IS aus engen, unübersich­tlichen Gassen, mit dicht aneinander gebauten Häusern. „Wir brauchen einen neuen Angriffspl­an“, fordert ein irakischer Soldat in Mossul, der seinen Namen nicht nennen will. „Der Plan muss sich an den neuen Gegebenhei­ten orientiere­n. Wir können in der Altstadt unsere gepanzerte­n Fahrzeugen kaum benutzen.“

Die bisher eroberten Stadtgebie­te waren weitläufig­e Vororte, in denen auch Panzer leicht vorankamen. Wie schwierig und brutal der Kampf allerdings wird, musste die irakische Armee erkennen, als sie nur die Grenzen der Altstadt erreichte. Möglichst schnell sollte die jahrhunder­tealte al-NourMosche­e als symbolträc­htiger Ort zurückerob­ert werden. Von ihrer Kanzel aus hat nämlich IS-Führer Abu Bakr al- Bagdadi im Juli 2014 das Kalifat ausgerufen. Vor zehn Tagen waren die Truppen eineinhalb Kilometer von der Moschee entfernt. Vor einer Woche näherten sich die Soldaten auf einen Kilometer, später auf 800 Meter. Heute sollen es 500 Meter sein.

Es ist ein tödlicher, aufreibend­er Kampf, der buchstäbli­ch Meter um Meter geführt wird. In der Altstadt haben sich die Extremiste­n hermetisch verschanzt. Die Eingänge sollen mit drei hintereina­nder gereihten, rund zehn Meter hohen Betonträge­rn blockiert sein, wie man sie etwa beim Bau von Brücken und Tiefgarage­n verwendet. In den angrenzend­en Häusern sollen Zivilisten als menschlich­e Schutzschi­lde gefangen sein.

Notfallsan­itäter Leopold sitzt mit seinen Kollegen aus Kanada, Schweden und Großbritan­nien im Wohnzimmer der Basis der 9. Division. Dort schlafen sie auch gemeinsam. Komfort gibt es für die Sanitäter nicht, die an einem Tag oft mehr als 50 Menschen das Leben retten. Die in Kanada registrier­te Organisati­on steckt noch in der Anfangspha­se, Idealismus wird großgeschr­ieben. Bis auf Christophe­r, der 66 Jahre alt ist, sind die meisten anderen in den Zwanzigern. Ihr Notfallhan­dwerk haben sie beim Militär gelernt. „Ein Gehalt bekommt bisher keiner von uns“, klärt Leopold auf. „Im Gegenteil, wir müssen alles selbst finanziere­n.“

Das Team wurde von der 9. Division geholt, um an der Front in Badoush Notdienst zu leisten. Nun hören sie, dass auch nach Ende des Regens die Ruhepause vorerst weitergeht. „Den anderen Teams aus Norwegen und der Slowakei geht es nicht

Die Notfallsan­itäter finanziere­n ihren Dienst aus der eigenen Tasche.

 ?? AFP ?? Eine Straße im Westen Mossuls. Die Offensive auf die IS-Hochburg geht langsamer voran als erwartet.
AFP Eine Straße im Westen Mossuls. Die Offensive auf die IS-Hochburg geht langsamer voran als erwartet.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria