Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Kopftuchurteil. Der EuGH ermächtigt Betriebe, ihr Erscheinungsbild selbst zu bestimmen. Das ist o. k. Man sollte nur nicht so tun, als wäre ein religionsfreies Erscheinungsbild »neutral«.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach Betriebe ihren Mitarbeitern das Tragen sichtbarer religiöser Symbole verbieten dürfen, ist spannend. Etwa deshalb, weil es dem europäischen Trend zuwiderläuft, die unternehmerische Freiheit einzuschränken. Es dräut in der EU ja immer noch eine Gleichbehandlungsrichtlinie, die Unternehmern sogar verbieten möchte, sich ihre Kunden nach eigenen Vorlieben auszusuchen. Doch beim Kopftuch der Mitarbeiterin, da ist nun wieder der Unternehmer frei. Das ist zumindest bemerkenswert.
Das „Urteil in der Rechtssache C-157/15“sagt zwar, dass der Arbeitgeber nur dann erlaubterweise religiöse Symbole verbietet, wenn es alle Mitarbeiter betrifft – und alle Symbole aller Religionen. Aber das trifft schon einmal nicht alle Mitarbeiter, sondern nur jene, die eine Religion haben und deren Vorschriften treu bleiben wollen. Und wer ist das in der europäischen Realität? Eine Handvoll jüdische Männer mit Kippa, zwei oder drei Sikhs mit Turban. Christen haben keine Bekleidungsvorschriften. Also in 99 Prozent der Fälle: muslimische Frauen. Ist das Gleichbehandlung?
Eh nicht, räumt der EuGH ein (allerdings in etwas juristischerer Formulierung): Aber Ungleichbehandlung ist erlaubt, wenn es ein „rechtmäßiges Ziel“gibt. Und „der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln“, könne so ein Ziel sein. Ein Arbeitgeber darf also Musliminnen diskriminieren, solange er so tut, als gelte seine Abneigung (oder die seiner Kunden) nicht allein dem Islam, sondern allen Religionen.
Und warum wird ein solches Ausblenden von Religion heute unwidersprochen als neutral gewertet? Warum ist es ein „Bild der Neutralität“, wenn das Religiöse nicht mehr zu sehen ist und nur mehr das Areligiöse? Wenn manche Mitarbeiter gern am Arbeitsplatz singen, warum ist Stille dann neutral? Warum ist das religionsfreie Bild neutral – aber nicht jenes, das religiöse und nichtreligiöse Kleidung nebeneinander zeigt? Heißt Neutralität nicht, dass man die einen genauso in Ruhe lässt wie die anderen?
Das Bild, das ein kopftuchfreier Betrieb den Kunden bietet, kann man europäisch nennen, westlich, abendländisch, islamfrei, frauen- oder bloß frisurenfreundlich oder zeitgemäß. Aber neutral ist es nicht. Genauso wenig wie das Bild eines Betriebes, der sämtlichen Mitarbeitern religiöse Symbole vorschreibt.
Man soll ruhig sagen dürfen, dass man Christliches, Islamisches oder sonst etwas Religiöses nicht im Betrieb sehen will. Man sollte aber nicht so tun, als sei das eine neutrale Haltung. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.