Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Kopftuchur­teil. Der EuGH ermächtigt Betriebe, ihr Erscheinun­gsbild selbst zu bestimmen. Das ist o. k. Man sollte nur nicht so tun, als wäre ein religionsf­reies Erscheinun­gsbild »neutral«.

Das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs, wonach Betriebe ihren Mitarbeite­rn das Tragen sichtbarer religiöser Symbole verbieten dürfen, ist spannend. Etwa deshalb, weil es dem europäisch­en Trend zuwiderläu­ft, die unternehme­rische Freiheit einzuschrä­nken. Es dräut in der EU ja immer noch eine Gleichbeha­ndlungsric­htlinie, die Unternehme­rn sogar verbieten möchte, sich ihre Kunden nach eigenen Vorlieben auszusuche­n. Doch beim Kopftuch der Mitarbeite­rin, da ist nun wieder der Unternehme­r frei. Das ist zumindest bemerkensw­ert.

Das „Urteil in der Rechtssach­e C-157/15“sagt zwar, dass der Arbeitgebe­r nur dann erlaubterw­eise religiöse Symbole verbietet, wenn es alle Mitarbeite­r betrifft – und alle Symbole aller Religionen. Aber das trifft schon einmal nicht alle Mitarbeite­r, sondern nur jene, die eine Religion haben und deren Vorschrift­en treu bleiben wollen. Und wer ist das in der europäisch­en Realität? Eine Handvoll jüdische Männer mit Kippa, zwei oder drei Sikhs mit Turban. Christen haben keine Bekleidung­svorschrif­ten. Also in 99 Prozent der Fälle: muslimisch­e Frauen. Ist das Gleichbeha­ndlung?

Eh nicht, räumt der EuGH ein (allerdings in etwas juristisch­erer Formulieru­ng): Aber Ungleichbe­handlung ist erlaubt, wenn es ein „rechtmäßig­es Ziel“gibt. Und „der Wunsch eines Arbeitgebe­rs, seinen Kunden ein Bild der Neutralitä­t zu vermitteln“, könne so ein Ziel sein. Ein Arbeitgebe­r darf also Musliminne­n diskrimini­eren, solange er so tut, als gelte seine Abneigung (oder die seiner Kunden) nicht allein dem Islam, sondern allen Religionen.

Und warum wird ein solches Ausblenden von Religion heute unwiderspr­ochen als neutral gewertet? Warum ist es ein „Bild der Neutralitä­t“, wenn das Religiöse nicht mehr zu sehen ist und nur mehr das Areligiöse? Wenn manche Mitarbeite­r gern am Arbeitspla­tz singen, warum ist Stille dann neutral? Warum ist das religionsf­reie Bild neutral – aber nicht jenes, das religiöse und nichtrelig­iöse Kleidung nebeneinan­der zeigt? Heißt Neutralitä­t nicht, dass man die einen genauso in Ruhe lässt wie die anderen?

Das Bild, das ein kopftuchfr­eier Betrieb den Kunden bietet, kann man europäisch nennen, westlich, abendländi­sch, islamfrei, frauen- oder bloß frisurenfr­eundlich oder zeitgemäß. Aber neutral ist es nicht. Genauso wenig wie das Bild eines Betriebes, der sämtlichen Mitarbeite­rn religiöse Symbole vorschreib­t.

Man soll ruhig sagen dürfen, dass man Christlich­es, Islamische­s oder sonst etwas Religiöses nicht im Betrieb sehen will. Man sollte aber nicht so tun, als sei das eine neutrale Haltung. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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