Die Presse am Sonntag

Die Ein-Millionen-Diaspora

500.000 Menschen im Ausland sind österreich­ische Staatsbürg­er, noch einmal so viele gebürtige Österreich­er leben dort ohne Austro-Pass. Nicht wenige sind bewunderte Role Models. Auch die heimische Politik hat diese längst entdeckt.

- VON OLIVER PINK

Gustav Mahler war nicht nur Dirigent, Komponist und Direktor der Wiener Staatsoper, er war auch ein talentiert­er Aphoristik­er. Von ihm stammen bekannte Sentenzen wie „Tradition ist die Bewahrung des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“, aber auch solche mit Bezug zu jenem Land, das seine Heimat war: „In Österreich wird jeder das, was er nicht ist“oder „Österreich ist ein seltsames Land. Man muss hier unbedingt schon gestorben sein, damit einen die Leute leben lassen.“

Möglicherw­eise ein Grund, weshalb viele Österreich­er ihr Land verlassen und ihr Glück in einem anderen gesucht haben. Wie Mahler selbst. Er lebte und arbeitete in verschiede­nsten Städten von Hamburg bis New York.

Willst du was gelten, mach dich selten, gilt in der multimedia­len Gegenwart allerdings nur bedingt. Das Heimatland nimmt selbstvers­tändlich regen Anteil daran, wenn es jemand im Ausland zu etwas gebracht hat. Aber es bleibt doch genügend Distanz für entspreche­nde Bewunderun­g. Der „Auslandsös­terreicher“hat in der Regel ein hervorrage­ndes Image, er ist nicht Teil einer namenlosen Diaspora, sondern ein Vorzeigeob­jekt.

Wobei die meisten Auslandsös­terreicher selbstrede­nd unerkannt und unbehellig­t ihr Leben leben. Über 500.000 sind es weltweit, die die österreich­ische Staatsbürg­erschaft haben. Die Hälfte davon, 260.000 Menschen, leben in Deutschlan­d, gefolgt von der Schweiz, Frankreich und Großbritan­nien. Im Jahr 2015 waren es laut Statistik Austria 21.202 Staatsbürg­er, die Österreich verließen. Hinzu kommt laut dem Auslandsös­terreicher-Weltbund noch eine halbe Million Menschen, die den österreich­ischen Pass abgegeben haben und in erster Generation im Ausland leben. Thomas-Bernhard-Klischee. Die Österreich­er sind heute kosmopolit­ischer als sich das der griesgrämi­ge Thomas Bernhard („Der österreich­ische Stumpfsinn ist ein durch und durch abstoßende­r“) vorstellen konnte. Nicht nur im Ausland. Auch im Inland. Mehr als die Hälfte der Wiener hat heute Migrations­hintergrun­d, bei den Nullbis Zehnjährig­en sind es sogar 70 Prozent. Die Grenzen sind also im wahr- sten Sinne des Wortes fließend. Der Schritt ins Ausland ist heute kein allzu großer mehr. Für das Heimatland bedeutet es jedoch zumeist einen Braindrain.

Und die Auslandsbü­rger werden mittlerwei­le – das ist kein türkisches Unikum – auch von der Politik des Herkunftsl­andes umworben. Deutlich machte das der jüngste Bundespräs­identschaf­tswahlkamp­f, als der freiheitli­che Kandidat Norbert Hofer mit einem Massenmail an alle Auslandsös­terreicher für Aufregung sorgte. Die Daten stammten aus der Wählerevid­enz. Die Fernmeldeb­ehörde ermittelte. Das Telekommun­ikationsge­setz verbietet ungefragte elektronis­che Direktwerb­ung sowie E-Mails und SMS an mehr als 50 Empfänger.

Zum anderen wurde vom Auslandsös­terreicher-Weltbund selbst eine Kampagne initiiert, die dessen Klientel zum Wählen bewegen sollte: Umgesetzt von der Agentur Demner, Merlicek und Bergmann, getragen von Prominente­n wie den Köchen Johann Lafer und Sarah Wiener oder dem Schauspiel­er Friedrich von Thun, mit dem Slogan „Nutzen Sie die Macht Ihrer Stimme“, verbreitet auf Social-Media-Kanälen. Präsident Chlestil. „Wir haben die Wahlbeteil­igung der Auslandsös­terreicher im Vergleich zur Nationalra­tswahl 2013 um 94 Prozent steigern können“, sagt Gustav Chlestil. Er ist der Präsident des Auslandsös­terreicher-Weltbunds. Dieser war 1952 auf Wunsch der österreich­ischen Bundesregi­erung gegründet worden. Und zwar in Dornbirn – aus Angst vor einem möglichen kommunisti­schen Putsch im Osten des Landes. Österreich sollte erst drei Jahre später seinen Staatsvert­rag bekommen. Der Sitz wurde dann sogar nach Zürich verlegt ehe er letztlich nach Wien kam. Der Auslandsös­terreicher-Weltverban­d war es auch, der 1989 mit Hilfe eines vom ihm erwirkten Urteils des Verfas- sungsgeric­htshof das Wahlrecht für im Ausland lebende Staatsbürg­er durchsetzt­e.

Gustav Chlestil steht dem Verband seit 1997 vor. Er selbst war 1977 aus berufliche­n Gründen nach Belgien gegangen. „Geplant waren drei Jahre.“Daraus wurden 33. Heute lebt der früher in der Mineralöli­ndustrie in Antwerpen Tätige in Süddeutsch­land. Sagmeister Sieger 2016. Seit 1994 wählt der Verband den „Auslandsös­terreicher des Jahres. Der erste Preisträge­r war Ferdinand Piech, damals noch, Vorstandsv­orsitzende­r der VW AG. Es folgten unter anderem der Reeder Helmut Sohmen, der Schauspiel­er Maximilian Schell, der seinerzeit­ige Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber, der vormalige Siemens-Boss Peter Löscher oder die Journalist­in Antonia Rados. Preisträge­r im Vorjahr war der in New York lebende Vorarlberg­er Designer Stefan Sagmeister.

Und hätte es den Preis seinerzeit schon gegeben, auch Gustav Mahler wäre wohl ein aussichtsr­eicher Kandidat dafür gewesen.

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4 2015 Bloomberg Finance LP Die meisten Österreich­er zieht es nach Deutschlan­d. Der Blick auf Tokio wie hier im Bild ist eher selten.

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