Von der Ringstraße nach Oberschlesien
Auf der Straßenbahnlinie 26 vom polnischen Sosnowice nach Mysłowice sind mehrere alte E1-Garnituren der Wiener Linien unterwegs. Sie gehören zu zahlreichen alten Wiener Straßenbahnen im Auslandseinsatz.
Es ruckelt und zuckelt. Und fühlt sich an wie in der Vintage-Straßenbahn. Doch es ist normaler Nachmittagsverkehr auf der Tramlinie Nummer 26. Quer durch die Industriestadt Sosnowice im Dombrowaer Kohlenbecken fährt der sechsachsige Gelenkwagen nach Mysłowice in Oberschlesien. Vorbei am Universitätsturm geht die Fahrt entlang ausgeweideter sozialistischer Bürohäuser und Fabriken, man sieht neue Einfamilienhäuser, moderne Supermärkte und viele Friedhöfe. Die jüngeren Passagiere dösen vor sich hin oder sind mit dem Smartphone beschäftigt, unter manchen entspinnt sich ein Gespräch. Die dezenten deutschen Aufschriften, etwa bei der altertümlichen Heizung unter den Sitzen, beachtet keiner. Alles scheint urpolnisch – und nur wenige hier wissen wohl, dass die Straßenbahn zuvor jahrzehntelang auf dem Wiener Ring im Einsatz war. Treffen am Drei-Kaiser-Eck. Im Stadtteil Niwki leert sich die Straßenbahn, nur wenige müssen über den Fluss nach Mysłowice. Die Trasse führt leicht abwärts durch Gehölz und Waldpartien, mehrmals muss die Tram an Ausweichstellen haltmachen, um einer entgegenkommenden knallroten Garnitur Platz zu machen. Dann geht es über die Schwarze Przemsza, den kanalartigen Grenzfluss zu Oberschlesien. Nichts deutet darauf hin, dass ein paar Hundert Meter von hier nach der dritten Polnischen Teilung einst Preußen, Russland und Österreich am DreiKaiser-Eck zusammenstießen.
Die alte Garnitur plagt sich das steile Ufer hinauf – und bald findet sie sich vor dem ziemlich verlassenen Bahnhof Mysłowice ein. „500 Meter Oberschlesien“, meint der Tramführer. Vier Minuten Pause hat er hier, dann geht die Fahrt zurück, 14 Kilometer nach Sosnowice-Milowice. An die Kurbel der Handbremse müsse man sich schon etwas gewöhnen, sagt er noch. Raucht seine Zigarette zu Ende und verschwindet in der Führerkabine.
Zurück im Tramdepot Bedzin legt man Wert auf diese Grenze zwischen Umgerüstet, umlackiert – und doch als Straßenbahn des Typs E1 erkennbar, der einst das Wiener Stadtbild prägte. dem hiesigen und dem einst deutsch besetzten Kohlebecken. Zehn E1-Garnituren seien täglich auf der Linie 26 im Einsatz, sagt Waldemar Michnol, zuständiger Regionalleiter der polnischen Staatsfirma Tramwaje Sl´askie˛ (Schlesische Trambetriebe). Drei weitere E1 hat er als Ersatz im Depot stehen. Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Autofahrern, die der Tram den Vorrang nehmen. „Am Mittwoch sind gar Steine auf die 26 geworfen worden“, klagt er. Besonders reparaturbedürftig seien die bis zu 50 Jahre alten Garnituren aus Wien jedoch nicht.
Die Schlesischen Trambetriebe haben die Gelenkwagen erst vor sechs Jahren aus Wien erworben. Man habe EU-Mittel für den Neukauf von Trams beantragt, doch das dauere immer sehr lang. „Die Wiener E1 waren da eine ideale Überbrückungslösung“, sagt Michnol. Gedacht sei an eine Einsatzdauer von etwa zehn Jahren. Der Trend geht aber auch in Polen klar zu den Niederflurtrams, gerade werden entlang des rund 300 Kilometer langen Netzes die Stationen an diese neuen Anforderungen angepasst.
Angepasst werden mussten in Polen auch die Wiener E1. So sind gesetzlich zwei Scheinwerfer und Seitenspiegel vorgeschrieben, und die Schienenbremsen müssen auch bei Stromausfall funktionieren. Und der Straßenbahnfahrer sitzt getrennt von den Passagieren in einer Kabine. „Die Sicherheitsbedenken sind in Polen eben größer, neuerdings rüsten wir auch die ältesten Trams mit hochmodernen Monitoringkameras aus“, erfährt man im Tramdepot Bedzin. Bei den Umbauarbeiten konnten die Schlesischen Trambetriebe von den Erfahrungen der Krakauer Kollegen profitieren. Krakau hatte schon 2004 Wiener E1-Garnituren erworben und damit gute Erfahrungen gemacht. „Der Erfolg hatte sich herumgesprochen“, sagt der Wartungschef des Depots von Bedzin. Noch heute bezieht er die meisten Ersatzteile aus Krakau.
Die gehen auch nach Gliwice (Gleiwitz) am westlichen Rand Oberschlesiens. Dort verkehren weitere zehn E1-Garnituren. Kürzlich wurde gar die Linie 1 von Gliwice über Ruda Sl´aska˛ hinaus bis ins Zentrum von Katowice verlängert. Damit fährt die älteste Tram gleichzeitig auf der mit 27 Kilometern längsten Strecke. Dazu werden bei der Linie 11 in Katowice neuerdings zwei Wiener E1 eingesetzt. Eine Art Maskottchen seien die alten Wiener Trams dennoch leider nicht geworden, meint Betriebsleiter Michnol. Die Passagiere schätzten zwar die mangels Klimatisierung leisen Garnituren, doch immer wieder gingen Klagen wegen der automatischen Türen ein. „In Wien ist man daran gewöhnt, dass man schnell ein- und aussteigen muss, hier war das alles immer gemächlicher“, meint Michnol.
Noch einmal unterwegs mit der in Bedzin stationierten E1 nach Mysłowice gibt es keine beim Einsteigen eingeklemmten Pensionisten oder gar auf die Führerkabine geworfenen Steine. Aggressiv scheint einzig der bunte Graffiti-Krieg der Fußballfans, der sich auch weiter, der Linie 14 entlang, bis nach Katowice zieht. Am schicken Marktplatz der schlesischen Metropole wartet eine der seltenen E1 der Linie 11 Richtung Hauptbahnhof. An der Endhaltestelle am Marki-Platz wirkt der ältere Tramführer schlecht gelaunt. „Ich liebe diese Wiener Tram“, meint er schließlich. „Doch heute habe ich gehört, dass sie bald ersetzt werden soll. Das wäre jammerschade.“