Die Presse am Sonntag

»Gerade wir Europäer sollten uns sehr große

Paul Achleitner ist derzeit die prominente­ste Figur im deutschen Bankwesen. Gier fresse Hirn, meint er. Und Europa unterschät­ze viele Gefahren.

- VON EDUARD STEINER

Sie sind seinerzeit als 18-Jähriger aus Österreich in die Welt hinaus gegangen. Wenn Sie heute – von Deutschlan­d aus – auf Österreich schauen: Was beunruhigt Sie? Paul Achleitner: Dasselbe wie in anderen Ländern. Obwohl es uns objektiv gesehen relativ gut geht, sind die Menschen ziemlich unruhig und unzufriede­n, sodass man leicht auf populistis­che Töne hereinfäll­t. Und dann gibt es möglicherw­eise politische Veränderun­gen, die man am Ende vielleicht gar nicht gewollt hat – wie beim Brexit. Ich weite die Frage auf das Ökonomisch­e aus: Seit Jahren hinkt die Entwicklun­g der österreich­ischen Wirtschaft­sleistung deutlich hinter der deutschen her. Woran mangelt es? Braucht Österreich auch eine Agenda 2010 und Hartz IV wie in Deutschlan­d? Naja, ich glaube, die Herausford­erung in Österreich ist immer die gleiche. Es ist halt schon sehr gemütlich hier. Das macht natürlich einen Teil des Charmes aus. Aber leider bringt das Land dadurch Höchstleis­tungen weitaus seltener hervor, als es möglich wäre. Das würde mehr Selbstdisz­iplin und Leistungsb­ewusstsein verlangen. Was hat es denn bei Ihnen persönlich gebraucht, um in der deutschen Wirtschaft als einer der größten Strippenzi­eher zu gelten? Ob ich das bin, sei einmal dahingeste­llt. Es gibt ein schönes amerikanis­ches Sprichwort: Glück ist, wenn Vorbereitu­ng auf Gelegenhei­t trifft. Für die Vorbereitu­ng, nämlich möglichst gut zu sein, sind Sie selber zuständig. Die Gelegenhei­ten müssen sich ergeben. Und dann muss man auch zupacken. Zinsmanipu­lationen, Geldwäsche und ähnliche Verbrechen mehr – aus dem „Global Risk Report 2017“von Boston Consulting geht hervor, dass Banken seit Beginn der Finanzkris­e 321 Mrd. Dollar an Strafen aufgebrumm­t bekommen haben. Wie konnte eine Branche so tief fallen? Treten wir erst einmal einen Schritt zurück: Im 19. Jahrhunder­t gab es eine Industriel­le Revolution, im 20. Jahrhunder­t eine finanziell­e und jetzt eine digitale. Jede dieser Boomphasen war insgesamt für die Menschheit positiv, doch es gab einzelne Entwicklun­gen, die im Nachhinein betrachtet ungeheuerl­ich sind. Denken Sie an die Umweltvers­chmutzung und die Kinderarbe­it in der Industriel­len Revolution. Jetzt arbeiten wir die Nachwirkun­gen der finanziell­en Revolution auf. Und dabei müssen wir unterschei­den zwi- schen dem, was nie akzeptabel war – und dem, was wir nach heutigen Maßstäben klar verurteile­n, worüber sich aber damals kein Mensch Gedanken gemacht hat. Aber... ... Moment. Ich kann Ihnen sagen, mit der digitalen Revolution wird genau das gleiche passieren. Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis einer sagt: Liebes IT-Unternehme­n Soundso, erklären Sie mir das mal, Herr Achleitner hat nur zwei Sekunden gebraucht, um Ihre Geschäftsb­edingungen aufzurufen, die 32 Seiten zu lesen und anzuklicke­n: „Ich habe es gelesen und akzep- tiert“. Und auf dieser Basis haben Sie dann seine Daten verkauft? Das kann nicht sein. Dafür müssen Sie zahlen. Das klingt nicht unplausibe­l, kann aber auch als Rechtferti­gung dienen. Da ich zu den Zeiten, als die Exzesse in der Bankbranch­e passiert sind, Versichere­r und nicht Banker war, brauche ich da auch nichts zu rechtferti­gen. Würden Sie dem Sprichwort zustimmen, dass Gier Hirn frisst? Da ist sicher was dran. Und das gilt für alle drei genannten Revolution­en. Sie reihen die Deutsche Bank in dieses von Paul Achleitner Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank Frankfurt Deutschlan­d

Seit 2012

ist der heute 60-jährige Linzer Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank, deren Sanierung nach dem Niedergang in der Finanzkris­e er überwacht.

Zuvor

war er zwölf Jahre Vorstand des Münchner Versichere­rs Allianz.

Nach dem Studium

in der Schweiz startete er seine Karriere in den USA als Berater und Investment­banker bei Goldman Sachs.

Ab 1994

baute er das Geschäft für Goldman Sachs in Frankfurt auf. Nach dem Börsengang kassierte Achleitner als Partner einen zumindest hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag.

Zwischenze­itlich

saß er in zahlreiche­n Aufsichtsr­äten - unter anderem bei Bayer und Daimler. Ihnen gezeichnet­e Gesamtphän­omen ein. Aber hebt sie sich durch das Ausmaß, das man jetzt sieht und aufarbeite­t, nicht innerhalb der Branche negativ ab? Die Deutsche Bank war die einzige europäisch­e Institutio­n, die damals den Anschluss zu den US-Häusern gefunden hatte. Deshalb hebt sie sich natürlich von ihren europäisch­en Kollegen ab und zahlt dafür auch einen Preis. Die Deutsche Bank hatte sich eben – vielleicht noch stärker als andere Häuser – einem Wachstumse­thos verschrieb­en, das alles dominiert hat. Wir können uns darüber unterhalte­n, ob andere bei der Aufarbeitu­ng schneller zurande gekommen sind. Das stimmt. Aber Sie dürfen auch nicht übersehen, dass die USA fünf oder sechs große Bankhäuser haben, auf die sich die Aufregung verteilt. In der deutschspr­achigen Welt haben Sie eines, auf das sich die Aufregung konzentrie­rt. Wenn wir jetzt Fälle aufarbeite­n, bei denen es um Verhaltens­weisen aus den Jahren 2005 bis 2007 geht, dann sollte man daraus nicht den Rückschlus­s ziehen, seither habe sich nichts geändert. Gut, dennoch schrieb der „Spiegel“im Vorjahr in einer Reportage über Sie vom Goldjungen, der fast überall beliebt ist, und nun – angesichts der Probleme der Deutschen Bank – entzaubert wird. „Der Brückenbau­er steht als Zauderer da.“Was davon stimmt? Das lässt sich nicht verbal entkräften, sondern nur durch Taten. Und da war die Bilanz zuletzt ziemlich gut. Ich bezweifle also, dass die Autoren das noch einmal so schreiben würden. Das will ich auch nicht, wobei die Pflege des Aktienkurs­es nicht die zentrale Aufgabe des Aufsichtsr­ats ist. Festzuhalt­en ist: Die Deutsche Bank hat ihre Bilanzsumm­e von 2,3 Billionen auf 1,6 Billionen Euro reduziert und die Belastunge­n, die dabei entstanden, privat finanziert. Und wir wollen weiter abbauen. Das kriegen Sie natürlich nicht in zwei Jahren hin. In den vergangene­n fünf Jahren haben wir die Kapitalbas­is signifikan­t gestärkt und den gesamten Vorstand ausgetausc­ht. Dank dieser Arbeit kann die Bank nun wieder in einen Wachstumsm­odus schalten und ihrer Rolle als wichtige Finanzinst­itution in Europa gerecht werden. Finden Sie, dass in Europa die Vorschrift­en für die Banken weiter verschärft werden müssen, um Stabilität zu bewahren? Ja, aber hier fehlt mir die Frage nach der Qualität. Es geht ja nicht darum, dass wir viel Regulierun­g haben, sondern dass wir eine gute Regulierun­g haben. Bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen muss man sich fragen, ob sie ihr Ziel erreicht haben. Einige wird man verschärfe­n, andere zurückschr­auben müssen. Aber diese Diskussion will ich nicht in den Medien führen, sondern direkt mit den Regulatore­n. Sie wollen die Punkte auch gar nicht nennen? Ne, das wäre nicht hilfreich. Warum nicht? Als Regulator oder Politiker können Sie gut darauf verzichten, dass Ihnen öffentlich jemand erzählt, was Sie zu tun hätten. Aber dann ist der Eindruck der Bevölkerun­g in diesem Fall halt wieder, dass die Banken ohnehin nur Erleichter­ungen für sich erreichen wollen. Das wird der Sache nicht gerecht. Glauben Sie wirklich, dass es in den Führungsgr­emien von Banken heute irgendjema­nden gibt, der die vergangene­n zehn Jahre nochmals erleben möchte? Ganz sicher nicht.

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Mario Andreya/Deutsche Bank AG von Daliah Spiegel bearbeitet „Die Deutsche Bank hat das Krankenhau­s verlassen“. Paul Achleitner in der Bankzentra­le in Frankfurt. Die US-Geldhäuser etwa. Auffällig ist, dass sich auch in den fünf Jahren, die Sie hier sind, der Aktienkurs halbiert hat. Vom Tisch wischen können Sie...
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