»Gerade wir Europäer sollten uns sehr große
Paul Achleitner ist derzeit die prominenteste Figur im deutschen Bankwesen. Gier fresse Hirn, meint er. Und Europa unterschätze viele Gefahren.
Sie sind seinerzeit als 18-Jähriger aus Österreich in die Welt hinaus gegangen. Wenn Sie heute – von Deutschland aus – auf Österreich schauen: Was beunruhigt Sie? Paul Achleitner: Dasselbe wie in anderen Ländern. Obwohl es uns objektiv gesehen relativ gut geht, sind die Menschen ziemlich unruhig und unzufrieden, sodass man leicht auf populistische Töne hereinfällt. Und dann gibt es möglicherweise politische Veränderungen, die man am Ende vielleicht gar nicht gewollt hat – wie beim Brexit. Ich weite die Frage auf das Ökonomische aus: Seit Jahren hinkt die Entwicklung der österreichischen Wirtschaftsleistung deutlich hinter der deutschen her. Woran mangelt es? Braucht Österreich auch eine Agenda 2010 und Hartz IV wie in Deutschland? Naja, ich glaube, die Herausforderung in Österreich ist immer die gleiche. Es ist halt schon sehr gemütlich hier. Das macht natürlich einen Teil des Charmes aus. Aber leider bringt das Land dadurch Höchstleistungen weitaus seltener hervor, als es möglich wäre. Das würde mehr Selbstdisziplin und Leistungsbewusstsein verlangen. Was hat es denn bei Ihnen persönlich gebraucht, um in der deutschen Wirtschaft als einer der größten Strippenzieher zu gelten? Ob ich das bin, sei einmal dahingestellt. Es gibt ein schönes amerikanisches Sprichwort: Glück ist, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft. Für die Vorbereitung, nämlich möglichst gut zu sein, sind Sie selber zuständig. Die Gelegenheiten müssen sich ergeben. Und dann muss man auch zupacken. Zinsmanipulationen, Geldwäsche und ähnliche Verbrechen mehr – aus dem „Global Risk Report 2017“von Boston Consulting geht hervor, dass Banken seit Beginn der Finanzkrise 321 Mrd. Dollar an Strafen aufgebrummt bekommen haben. Wie konnte eine Branche so tief fallen? Treten wir erst einmal einen Schritt zurück: Im 19. Jahrhundert gab es eine Industrielle Revolution, im 20. Jahrhundert eine finanzielle und jetzt eine digitale. Jede dieser Boomphasen war insgesamt für die Menschheit positiv, doch es gab einzelne Entwicklungen, die im Nachhinein betrachtet ungeheuerlich sind. Denken Sie an die Umweltverschmutzung und die Kinderarbeit in der Industriellen Revolution. Jetzt arbeiten wir die Nachwirkungen der finanziellen Revolution auf. Und dabei müssen wir unterscheiden zwi- schen dem, was nie akzeptabel war – und dem, was wir nach heutigen Maßstäben klar verurteilen, worüber sich aber damals kein Mensch Gedanken gemacht hat. Aber... ... Moment. Ich kann Ihnen sagen, mit der digitalen Revolution wird genau das gleiche passieren. Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis einer sagt: Liebes IT-Unternehmen Soundso, erklären Sie mir das mal, Herr Achleitner hat nur zwei Sekunden gebraucht, um Ihre Geschäftsbedingungen aufzurufen, die 32 Seiten zu lesen und anzuklicken: „Ich habe es gelesen und akzep- tiert“. Und auf dieser Basis haben Sie dann seine Daten verkauft? Das kann nicht sein. Dafür müssen Sie zahlen. Das klingt nicht unplausibel, kann aber auch als Rechtfertigung dienen. Da ich zu den Zeiten, als die Exzesse in der Bankbranche passiert sind, Versicherer und nicht Banker war, brauche ich da auch nichts zu rechtfertigen. Würden Sie dem Sprichwort zustimmen, dass Gier Hirn frisst? Da ist sicher was dran. Und das gilt für alle drei genannten Revolutionen. Sie reihen die Deutsche Bank in dieses von Paul Achleitner Aufsichtsratschef der Deutschen Bank Frankfurt Deutschland
Seit 2012
ist der heute 60-jährige Linzer Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, deren Sanierung nach dem Niedergang in der Finanzkrise er überwacht.
Zuvor
war er zwölf Jahre Vorstand des Münchner Versicherers Allianz.
Nach dem Studium
in der Schweiz startete er seine Karriere in den USA als Berater und Investmentbanker bei Goldman Sachs.
Ab 1994
baute er das Geschäft für Goldman Sachs in Frankfurt auf. Nach dem Börsengang kassierte Achleitner als Partner einen zumindest hohen zweistelligen Millionenbetrag.
Zwischenzeitlich
saß er in zahlreichen Aufsichtsräten - unter anderem bei Bayer und Daimler. Ihnen gezeichnete Gesamtphänomen ein. Aber hebt sie sich durch das Ausmaß, das man jetzt sieht und aufarbeitet, nicht innerhalb der Branche negativ ab? Die Deutsche Bank war die einzige europäische Institution, die damals den Anschluss zu den US-Häusern gefunden hatte. Deshalb hebt sie sich natürlich von ihren europäischen Kollegen ab und zahlt dafür auch einen Preis. Die Deutsche Bank hatte sich eben – vielleicht noch stärker als andere Häuser – einem Wachstumsethos verschrieben, das alles dominiert hat. Wir können uns darüber unterhalten, ob andere bei der Aufarbeitung schneller zurande gekommen sind. Das stimmt. Aber Sie dürfen auch nicht übersehen, dass die USA fünf oder sechs große Bankhäuser haben, auf die sich die Aufregung verteilt. In der deutschsprachigen Welt haben Sie eines, auf das sich die Aufregung konzentriert. Wenn wir jetzt Fälle aufarbeiten, bei denen es um Verhaltensweisen aus den Jahren 2005 bis 2007 geht, dann sollte man daraus nicht den Rückschluss ziehen, seither habe sich nichts geändert. Gut, dennoch schrieb der „Spiegel“im Vorjahr in einer Reportage über Sie vom Goldjungen, der fast überall beliebt ist, und nun – angesichts der Probleme der Deutschen Bank – entzaubert wird. „Der Brückenbauer steht als Zauderer da.“Was davon stimmt? Das lässt sich nicht verbal entkräften, sondern nur durch Taten. Und da war die Bilanz zuletzt ziemlich gut. Ich bezweifle also, dass die Autoren das noch einmal so schreiben würden. Das will ich auch nicht, wobei die Pflege des Aktienkurses nicht die zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats ist. Festzuhalten ist: Die Deutsche Bank hat ihre Bilanzsumme von 2,3 Billionen auf 1,6 Billionen Euro reduziert und die Belastungen, die dabei entstanden, privat finanziert. Und wir wollen weiter abbauen. Das kriegen Sie natürlich nicht in zwei Jahren hin. In den vergangenen fünf Jahren haben wir die Kapitalbasis signifikant gestärkt und den gesamten Vorstand ausgetauscht. Dank dieser Arbeit kann die Bank nun wieder in einen Wachstumsmodus schalten und ihrer Rolle als wichtige Finanzinstitution in Europa gerecht werden. Finden Sie, dass in Europa die Vorschriften für die Banken weiter verschärft werden müssen, um Stabilität zu bewahren? Ja, aber hier fehlt mir die Frage nach der Qualität. Es geht ja nicht darum, dass wir viel Regulierung haben, sondern dass wir eine gute Regulierung haben. Bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen muss man sich fragen, ob sie ihr Ziel erreicht haben. Einige wird man verschärfen, andere zurückschrauben müssen. Aber diese Diskussion will ich nicht in den Medien führen, sondern direkt mit den Regulatoren. Sie wollen die Punkte auch gar nicht nennen? Ne, das wäre nicht hilfreich. Warum nicht? Als Regulator oder Politiker können Sie gut darauf verzichten, dass Ihnen öffentlich jemand erzählt, was Sie zu tun hätten. Aber dann ist der Eindruck der Bevölkerung in diesem Fall halt wieder, dass die Banken ohnehin nur Erleichterungen für sich erreichen wollen. Das wird der Sache nicht gerecht. Glauben Sie wirklich, dass es in den Führungsgremien von Banken heute irgendjemanden gibt, der die vergangenen zehn Jahre nochmals erleben möchte? Ganz sicher nicht.