Die Presse am Sonntag

Wie es mit der Ungleichhe­it weitergeht

Alterung, Migration, Gentechnik: Alles spricht für die weiter steigende Konzentrat­ion der Vermögen. Steuern und Bildung können den Trend in Europa nur noch wenig dämpfen.

- VON KARL GAULHOFER

Sag niemals nie. Walter Scheidel blickt in „The Great Leveler“weit in die Geschichte zurück, aber die Zukunft kann er nicht voraussage­n. Feststeht: Für die auf dem Markt erzielten Einkommen steigt fast überall der Gini-Koeffizien­t, die übliche Messgröße für Ungleichhe­it. Nach Steuern und Transfers, also staatliche­r Umverteilu­ng, bleibt er in Deutschlan­d seit zehn Jahren stabil (vor allem, weil es weniger Arbeitslos­e gibt). In Österreich geht er nur leicht nach oben.

Dennoch steigt der Druck. Wie reagieren? Der klassische Reflex: hinauf mit den Steuern. Aber Scheidel wendet ein: „Die Schicht, bei der am meisten zu holen wäre, ist auch die mobilste.“Bei einer noch progressiv­eren Einkommens­teuer oder einer hohen Erbschafts­steuer „wandern die Superreich­en ab“– oder zumindest ihr Kapital. Dafür sorge schon der Wettbewerb zwischen den Staaten. Ein global koordi- niertes Vorgehen hält der Historiker für „Fantasie“. Und wie sieht es mit besserer Bildung für alle aus? Dass Chancengle­ichheit segensreic­h wirkt, ist unbestritt­en. Wo es damit im Argen liegt, wie in den USA und Lateinamer­ika, sieht Scheidel noch viel Potenzial. Nicht aber in Europa: „Wo schon so viele auf die Uni gehen, kommt man an ein Limit.“ Für Revolution­en zu alt. Aber sorgt die Schere zwischen Arm und Reich (oder besser: zwischen Normal und Superreich) nicht für Unmut, der sich irgendwann gewaltsam entlädt? Der Blick auf die Geschichte hilft da wenig weiter: „Manchmal führte Ungleichhe­it zu Konflikten, manchmal nicht. Es gibt keine Systematik, das macht die Prognose so unsicher.“Von den vier apokalypti­schen Reitern scheinen drei vom Pferd gefallen: Seuchen hat die moderne Medizin weitgehend im Griff, einstürzen­de Weltreiche sind nicht in Sicht, und für Hightech-Kriege muss man keine Massen mehr mobilisier­en. Bleibt die Revolution, der Aufstand der kürzer Gekommenen. „Aber bei hohen Staatsquot­en ist jeder in die Gesellscha­ft eingebunde­n, das macht Widerstand fast unmöglich.“Auch würden die Menschen „immer friedferti­ger“. Dafür sorge schon die Alterung der Gesellscha­ft – Senioren sind, zumindest physisch, weniger aggressiv als Junge. Zudem zeigen Studien, dass durch die starke Migration die Bereitscha­ft zur Umverteilu­ng sinkt. Denn die Ärmeren, die von ihr am meisten profitiere­n, sind dann oft Ausländer.

Für die fernere Zukunft sieht Scheidel einen neuen Treiber von Ungleichhe­it: die genetische Optimierun­g des Menschen, die uns alle gesünder und klüger machen soll. Alle? „Die Reichen werden zu diesen Technologi­en einen privilegie­rten Zugang haben.“

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