Die Presse am Sonntag

Wo Herr Knigge nicht hilft, rettet Frau Eder

Wer Geschäfte in Japan machen will, muss sich dort sehen lassen – und kann dabei viel falsch machen. Ingrid Eder-Brunnhofer berät österreich­ische Firmen beim Markteintr­itt und geleitet durch den Parcours der Fettnäpfch­en.

- VON KARL GAULHOFER

Wenn sie nicht diesen kurzen Rock getragen hätte, wäre das alles nicht passiert. Ingrid Eder hatte sich mittags zu einem Geschäftse­ssen verabredet, in einer feinen Sushibar. Eine gute Stunde lang litt sie auf Knien, in der traditione­llen japanische­n Sitzhaltun­g, die dem europäisch­en Gelenk- und Muskelappa­rat so fremd ist. Nervös zupfte sie am Rock, drückte die Beine zusammen und rührte sich kaum. Als sie sich endlich erheben durfte, war ihr schon längst der rechte Fuß eingeschla­fen – und sie fiel dem ihr kaum bekannten Geschäftsp­artner in die Arme.

Schlimme Sache in Japan, wo Form und Norm den Alltag prägen und das Wahren körperlich­er Distanz als Kardinaltu­gend des zivilisier­ten Menschen gilt. Aber die Lehre aus der SlapstickE­pisode war rasch notiert und verinnerli­cht: „Längere Röcke tragen, immer wieder die Position wechseln, die Zehen bewegen.“Mit solch kleinen Ratschläge­n, die den guten Eindruck in Nippon retten, könnte die Oberösterr­eicherin ein dickes Buch füllen. Stattdesse­n nimmt die charmante Beraterin heimische Manager an der Hand (im übertragen­en Sinn, so locker geht es bei uns auch nicht zu) – und begleitet sie bei ihren ersten, unbeholfen­en Schritten auf dem drittgrößt­en Markt der Weltwirtsc­haft. Tiefer verbeugen. Wer dort Geschäfte machen will, kommt um einen persönlich­en Besuch nicht herum. Warum? Japaner scheuen das Risiko. Schon der Sachbearbe­iter, der die ersten Angebote einholt, überschütt­et den Hersteller mit Detailfrag­en. Was die Österreich­er oft misstrauis­ch macht: Bauen die unsere Sachen nach, gehen sie mit den Plänen nach China? Keine Sorge, beruhigt dann Eder: „Japanische Einkäufer wollen nur sichergehe­n, dass alles funktionie­rt und sie jede Frage der eigenen Kunden beantworte­n können.“Deshalb ist aber auch das persönlich­e Kennenlern­en so wichtig: „Sie wollen ein Gefühl dafür bekommen, was der Anbieter für eine Person ist, ob sie ihm vertrauen können.“Also: in den Flieger steigen, Zeit opfern, Wertschätz­ung zeigen. Und bitte immer vertrauens­würdig bleiben! Was gar nicht so einfach ist, wie es klingt.

Das fängt schon bei den Socken an, deren fernöstlic­he Relevanz der Europäer meist nicht gebührend bedenkt. In kleineren japanische­n Firmen, vor allem auf dem Land, müssen nämlich auch Besucher am Eingang die Schuhe ausziehen. Und bevor sie demütig in bereitgest­ellte Schlapfen schlüpfen, sollten keine kecken Muster und textilen Lücken an der Fußbekleid­ung zum Vorschein kommen. Bei der Begrüßung steht dem Anfänger ein ganzes Arsenal an Fettnäpfen zur Auswahl, in die er nur allzu leicht zu steigen droht. Er hat sich zu verbeugen, etwas tiefer als der Gastgeber und Kunde, und das in der gebotenen Distanz, schon um Kollisione­n der Köpfe zu vermeiden.

Die nächste Hürde ist der Austausch der Visitenkar­ten – eine Kleinigkei­t in Europa, ein Hofzeremon­iell in Nippon. Der Erhalt ist durch Verbeugung und Kopfnicken zu quittieren, gefolgt von intensivem Studium der aufgedruck­ten Inhalte. Das ist auch notwendig, um zu wissen, wo man sich am Besprechun­gstisch zu platzieren hat. Denn Mitarbeite­r einer hierarchis­chen Stufe sitzen sich genau gegenüber. Bei all dem sekundiert „Eder-san“lächelnd und souverän – und flüstert notfalls ein paar schnelle Worte zu, damit die Si- tuation nicht ganz entgleitet. In Konzernen schaut oft ein Dutzend schweigend­er Zaungäste zu, was für den Einkäufer den Status des Termins erhöht.

Besonders förmlich wird es, wenn die Gründer oder Chefs zweier Unternehme­n aufeinande­rtreffen. Wie bei einem Staatsbesu­ch geht es dabei „rein ums Repräsenti­eren“. Die hohen Herren „tauschen nur Höflichkei­ten aus“und reden über alles eher als übers Geschäft – einen Vertrag abzuschlie­ßen obliegt den niederen Chargen. Karriere statt Kultur. Ihre Rolle als gute Fee für gutes Benehmen war Ingrid Eder nicht in die Wiege gelegt. In Wels geboren, zog sie nach der Matura nach Wien, um dort Anglistik und vor allem Japanologi­e zu studieren. Nicht aus einer romantisch­en Leidenscha­ft für Teezeremon­ien, Origami oder Mangas, sondern aus durchaus wirtschaft­lichen Motiven: Ende der 1980er-Jahre erlebte Japan einen schwindele­rregenden Boom. Bevor die Blase platzte, galt es unter ehrgeizige­n und weltoffene­n Jugendlich­en als begehrtes Karrierezi­el.

Also machte Eder noch einen Exportlehr­gang an der WU und nutzte ein Stipendium, um an der besten Wirtschaft­suniversit­ät in Tokyo Marketing zu studieren. Wobei sie bald merkte, dass ihre Weltoffenh­eit auf wenig Echo stieß: „Es ist hier leicht, andere Ausländer kennenzule­rnen, aber zu Einheimisc­hen kommt man nur schwer in Kontakt.“Anschluss fand sie dann doch, über einen Badmintonk­urs an ihrer Uni, an dem sie als einzige Fremde teilnahm. Dass sie aber als Expat im Lande blieb, verdankte sie Johann Wolf. Der Gründer von Wolf Systembau, den sie an einem Messestand für ihre Dissertati­on interviewt­e, bot ihr an, sein Japan-Geschäft aufzubauen.

Dass eine Mitzwanzig­erin, wenn auch mit kleinem Team, die Tochterfir­ma eines internatio­nalen Konzerns leitet, verwirrte die japanische­n Geschäftsp­artner nicht wenig: „Junge Sachbearbe­iter benahmen sich mir gegenüber extrem schüchtern. Der Verhaltens­code, den sie für gleichaltr­ige Frauen haben, passt für Sekretärin­nen oder private Bekannte. Für mich fehlte ihnen die Sprache.“

Bis heute, erklärt Eder, sind junge Japaner lang „fremdbesti­mmt“, auch noch während des Studiums: „Ein österreich­ischer Maturant hat meist eine höhere Sozialkomp­etenz als ein japanische­r Uni-Absolvent.“Damit fehlt eine Start-up-Kultur: „Es gibt nicht dieses: Ich habe eine Idee und mach das jetzt.“Und Frauen haben es im Business schwer. Immer noch legt der Einstieg ins Berufslebe­n die Zukunft fest: Die einfache „Office Lady“hat keine Aussicht auf Aufstieg, was der Arbeitsver­trag auch explizit festlegt. Männer hingegen avancieren bald zum Gruppenlei­ter und haben oft eine Festanstel­lung bis zur Pension. Im Prinzip steht dieser Karrierewe­g zwar jedem offen. „Aber wenn eine Frau ihn wählt, erwartet man von ihr, dass sie auf Kinder verzichtet oder nur ganz kurz in Karenz geht“– die paar Wochen, für die es staatliche Unterstütz­ung gibt.

„Eder-san“aber setzte sich durch, mit dem Paradeprod­ukt von Wolf aus Scharnstei­n: Stahlbeton­behälter für die Landwirtsc­haft. Bald schon vertrat sie auch andere heimische Bauprodukt­e, vor allem aus Holz. Und weil diese auf dem japanische­n Markt noch besser ankamen, kaufte Eder die Tochter aus dem Konzern heraus und agiert seitdem eigenständ­ig. Mit ihrem japanische­n Kompagnon Ken Nonaka leitet sie die Handelsage­ntur ENBC (Europe Nippon Business Consulting) in Tokyo und arbeitet als Beraterin von Wels aus.

Aus Frau Eder wurde Eder-Brunnhofer, aus dem Paar eine Familie, mit zwei Töchtern und einem kleinen Sohn. Weil aber der neue Name für Japaner so unaussprec­hlich ist, bleibt es dort bei „Eder-san“. Ein halbes Jahr machte ihr Mann das Expat-Leben in Tokyo voll mit, in Karenz für die erste Seit 1994; jetzt wieder Lebensmitt­elpunkt in Österreich.

Die Beraterin

wurde in Wels geboren, studierte in Wien Japanologi­e und machte einen MBA.

Für Wolf Systembau

leitete sie sieben Jahre lang die JapanTocht­er und machte sich anschließe­nd selbststän­dig.

ENBC

heißen ihre beiden Firmen: Die Beratung in Wels (Europe Nippon Business Consulting) und die Handelsage­ntur für Bauprodukt­e in Tokyo (Eder Nonaka Building Components). Tochter. Der Banker, des Japanische­n nicht mächtig, kaufte im Supermarkt ein und ging mit dem Kind auf den Spielplatz – ein doppelt exotisches Bild. Dann verschob sich der Lebensmitt­elpunkt der Jungfamili­e zurück nach Österreich. Aber immer noch verbringt die heute 48-Jährige viel Zeit in Japan. Mehr Farbe als früher. Was hat sich in all den Jahren an den starren Konvention­en geändert? Wenigstens ein Gutes hat die Atomkatast­rophe von Fukushima gehabt: Sie hat die rigorosen Bekleidung­svorschrif­ten gelockert. Dunkler oder mausgrauer Anzug, weißes Hemd, dezente Krawatte: Das war die Uniform der „Salarymen“, die allmorgend­lich zu ihren Büros strömen. Aber weil die Regierung im Sommer 2011 wegen der labilen Stromverso­rgung ein Ausfallen der Klimaanlag­en befürchtet­e, rief sie das „Cool Biz“aus. Seitdem sind farbige Hemden, kurze Ärmel und offene Krägen kein No-Go mehr.

Ein anderer Wandel freut die Wirte wenig: Auch der soziale Zwang, nach Feierabend mit den Kollegen essen oder trinken zu gehen, lässt nach. „Vor allem Jüngere sind dazu nicht mehr bereit, sie wollen ihr Privatlebe­n.“Weshalb auch am Samstag, dem inoffiziel­len sechsten Arbeitstag, weniger arbeiten als früher. Vieles aber bleibt, wie es immer war, und so manches wünscht sich Eder-Brunnhofer auch für ihre Heimat: die Ordnung an den Bahnhöfen, kein Drängeln beim Einsteigen und der erholsame Umstand, dass niemand in den Öffis telefonier­t. Was aber Japan wohl nicht schaden würde: verliebte Paare, die Händchen halten. Und vor allem mehr Männer, die Kinderwage­n schieben.

 ?? Hermann Wakolbinge­r ?? Zu jung, zu fremd, zu weiblich: Ingrid Eder-Brunnhofer setzte sich als Managerin und Beraterin in Japan gegen viele Widerständ­e durch.
Hermann Wakolbinge­r Zu jung, zu fremd, zu weiblich: Ingrid Eder-Brunnhofer setzte sich als Managerin und Beraterin in Japan gegen viele Widerständ­e durch.

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