Erst Immigrant, dann Emigrant
Mit 19 kam Hikmet Ersek aus Istanbul nach Wien. 31 Jahre später zog es ihn weiter – nach Denver im US-Bundesstaat Colorado. Dort leitet er seither den »Fortune«-500-Konzern Western Union. Der Sohn einer Österreicherin und eines Türken fühlt sich als als W
Wien ist keine Unbekannte für Hikmet Ersek, als er 1979 auf dem Flughafen Schwechat aussteigt, um hier zu leben. Schließlich kennt er die Heimatstadt seiner Mutter bereits aus vielen Sommerurlauben. „Meine Mutter ist 1958 nach Paris gegangen, wo sie meinen Vater kennengelernt hat“, so Ersek. Als er zwei Jahre später auf die Welt kommt, zieht die junge Familie nach Istanbul, wo Ersek und sein Bruder in der Folge aufwachsen.
Kosmopolitisch ist sein Leben dabei von Anfang an. Das zeigt bereits die innerfamiliäre Kommunikation. „Meine Mutter hat mit uns Deutsch gesprochen, wir haben auf Türkisch geantwortet. Und die Eltern haben zumindest am Anfang miteinander Französisch gesprochen.“Und auch Istanbul ist in den 1960er- und 70er-Jahren ein guter Ort für moderne Jugendliche. „Alles war sehr säkular“, so Ersek. Die Handschrift von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, die in den vergangenen Jahren wieder verblasst, ist damals noch wesentlich stärker präsent.
Österreich ist anfangs nur das Land, in dem die Großeltern leben, die im Sommer besucht werden. Und hier gibt es bereits das erste Zusammentreffen der Kulturen. Denn Erseks Großvater ist Brigadier Friedrich Birsak, der in der Hietzinger Maria-Theresien-Kaserne stationierte Infanterietruppeninspektor des Bundesheeres, der sich in der militärischen Tradition der k. u. k. Monarchie sieht. „Ich glaube, dass es für ihn ein Problem war, dass seine Tochter in die Türkei geheiratet hat“, so Ersek. Schließlich habe sich der Großvater ja als Nachfahre der Verteidiger Wiens gegen die Türken empfunden.
Die Enkel lässt er das zwar nie spüren, sie sollen aber traditionelle österreichische Manieren annehmen. „Ich war ein Rebell, aufgewachsen in einem südeuropäischen Land. Bei den Großeltern musste ich beim Essen plötzlich Bücher unter die Arme klemmen, damit ich richtig sitze“, erinnert sich Ersek. Grundsätzlich empfindet der Istanbuler Jugendliche Wien und Österreich aber als sehr entgegenkommend und reich. Doch mitunter wird er auch auf die Gene seine Vaters reduziert. „Es ist schon vorgekommen, dass wir irgendwo abfällig als Kümmeltürken bezeichnet worden sind.“
Nichtsdestoweniger entscheiden die Eltern 1979, dass Ersek und sein Bruder in Österreich studieren sollen. Grund dafür sind die heftigen Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppierungen in der Türkei, die immer wieder zu offenen Straßenschlachten mit in Summe über 5000 Toten führen.
Da Ersek bereits in der Türkei Basketball gespielt hat und dort auch dreimal türkischer Juniorenmeister geworden ist, wird der Sport auch in Österreich sein erster Anknüpfungspunkt. Zuerst in Wels. Da der Ort für den in Istanbul Sozialisierten jedoch bald zu klein ist, nach einem halben Jahr in Wien. „Ich habe zuerst bei Klosterneu- burg und nachher bei mehreren Wiener Vereinen gespielt.“Mit zwei der Vereine wird er österreichischer Meister. Basketball ist auch jener Bereich, in dem der junge Immigrant in Österreich „ankommt“. „Dort war ich immer sofort Teil des Teams. Keiner hat gefragt, warum ich anders aussehe oder warum ich mit Akzent spreche.“Nur der Name wird verkürzt: Aus Hikmet wurde Hiko. „Und das ist noch heute mein Spitzname“, so Ersek.
Anders die Situation auf der Uni. Dort sitzt er in der Mensa immer an einem Tisch mit anderen eher wohlhabenden Türken. In die österreichische Gesellschaft zu kommen bereitet je-