»Uns fehlt das Elitendenken«
Werner Lanthaler hat als Chef des Hamburger Biotechunternehmens Evotec eine kritische Sicht auf seine Heimat entwickelt – jedoch ganz ohne Zorn.
Wo gibt’s das schon? 5000 sehr elegant gekleidete Menschen, die sich im Dreivierteltakt in einer überaus heilen und glücklichen Welt bewegen? Das gibt’s nur in Wien.“Wenn Werner Lanthaler das über den Kaffeesiederball sagt, dann schwingt keineswegs Nostalgie mit, die Erinnerung an Ereignisse, die es für ihn nicht mehr gibt. Ganz im Gegenteil: Der 48-Jährige, der nach wie vor so aussieht, als hätte er gerade erst sein Harvard-Studium beendet, war – man möchte schon sagen selbstverständlich – auch heuer auf dem Ball.
Denn die Nabelschnur zu Österreich hat Lanthaler nie gekappt. Und so verbringt er mit seiner Familie weiterhin auch Zeit in Wien und in der Wachau – zumindest an Wochenenden. „Warum sollte ich Österreich ganz den Rücken kehren, gibt es doch kaum ein Land mit einer so ausgeprägten Geschichte, mit so viel Kultur und Lebensqualität“, lautet seine rhetorische Frage. Deshalb gebe es für ihn auch nicht das „hier oder dort“. Und der gebürtige Oberösterreicher, den ein komplizierter Beinbruch vom Jugendtraum des Profifußballers abhielt, sieht sich auch nicht als Pendler. „Ich bin halt ununterbrochen in Bewegung – und zwar sehr gerne.“
Das muss Lanthaler auch – als Boss des deutschen börsenotierten Biotechunternehmens Evotec sieht ihn auch sein Schreibtisch am Konzernsitz in Hamburg eher selten. Meist jettet er um die Welt, um neue Kooperationspartner anzuheuern bzw. zu besuchen oder Wissenschaftler zu engagieren.
Die Evotec – das ist mehr als nur eine Stufe in der bemerkenswerten Karriere Lanthalers. Dieses Unternehmen, in das er 2009 kam, als es am Rande des Bankrotts stand, ist Berufung und Herausforderung zugleich. „Hier geht es nicht vorrangig ums Geld, wir arbeiten, um Menschen zu helfen, ihr Leben zu verbessern oder überhaupt zu ermöglichen.“Wenn er mit so einfachen Worten eine äußerst komplexe Materie umreißt, spürt man förmlich die Begeisterung, die den 48-Jährigen antreibt. „Wir verkaufen Innovationen, indem wir für die Umsetzung von Grundlagenwissen in Pharmaprodukte sorgen.“ Allianzpartner in der ganzen Welt. Wer es genauer wissen will: Die Evotech erforscht und entwickelt Wirkstoffe, die in Forschungsallianzen und Entwicklungspartnerschaften mit Pharma- und Biotechnologieunternehmen letztlich zu neuen pharmazeutischen Produkten führen. Es geht um Soffwechselerkrankungen wie Diabetes, aber auch Alzheimer, Krebs, Entzündungs- und Infektionskrankheiten. Die Liste der Allianzpartner liest sich wie das Whois-Who der Pharmaszene: Bayer HealthCare, Sanofi, Boehringer Ingelheim, Genentech, MedImmune/AstraZeneca, Hoffmann-La Roche. Dazu kommen 65 kleinere Biotechunternehmen und zehn Stiftungen.
Dieses Geschäftsmodell der Kooperation mit starken Partnern, die nicht nur das Risiko, sondern auch das Gros der Kosten tragen, hat Lanthaler zu entwickeln begonnen, als er vom Evotec-Großaktionär Roland Oetker engagiert worden ist. „Das war eine einmalige Chance, als Nicht-Biochemiker die Führung so eines Unternehmens zu übernehmen“, sagt er. Normalerweise säßen in solchen Firmen Wissenschaftler an der Spitze und Geld spiele keine Rolle. „Vielleicht haben sie sich gerade für einen Zahlen-Versteher wie mich entschieden, weil sie ja in der totalen Krise steckten.“ Intercell war die Schule. Ganz so ein Neuland war die Biotech-Welt für Lanthaler allerdings nicht. Denn zuvor war er neun Jahre lang als Finanzvorstand bei dem Impfstoff-Spezialisten Intercell (der nach der Fusion mit der französischen Vivalis jetzt Valneva heißt) tätig. Schon dort hat er die Idee strategischer Partnerschaften erfolgreich umgesetzt. Aber nicht nur das: Anfang 2005 hat er Intercell erfolgreich an die Börse gebracht, zwei Jahre später schrieb das Unternehmen erstmals schwarze Zahlen. „Intercell war super“, sagt er noch heute. Allerdings war ihm nach neun Jahren irgendwie klar, dass er weggehen würde. Als der Ruf von Oetker kam, „habe ich keine Sekunde überlegt“.
Dass der neue Job im Ausland spielen würde, war ebenfalls klar und kein Problem. Irgendwie stellte sich die Frage gar nicht – nach dem Studium in Harvard, was ihm ein Schumpeter-Stipendium ermöglichte („wofür ich immer dankbar sein werde“) und der Arbeit bei McKinsey war die internationale Prägung schon gegeben. „Biotech ist außerdem ein globales Business, Krankheiten nehmen ja auf nationale Grenzen auch keine Rücksicht.“
Das Handwerk eines Finanz-Fachmanns und Managers mag Lanthaler ja an der Wirtschaftsuni und danach in Harvard gelernt haben. Wie man die Chefs der Big Player der Branche als Partner gewinnt und sie auch noch überzeugt, Unsummen an Geld zu investieren – das lernt man nicht unbedingt an der Uni. Da braucht es unternehmerisches Denken und Enthusiasmus. Und ein Netzwerk, das ihm sein Studium in Harvard gebracht hat.
Die Begeisterung, die Lanthaler versprüht, wenn er von seiner Tätigkeit spricht, dürfte jedenfalls offenbar an- steckend sein. Der neueste Großaktionär, die dänische Holdinggesellschaft Novo A/S kam erst im Februar an Bord. Sie ließen für einen Anteil von 8,9 Prozent 90 Millionen Euro springen.
Zweifelsohne ist Geld natürlich schon das Schmiermittel, das BiotechFirmen wie die Evotec am Laufen hält. Das sei auch ein Grund, warum es in Österreich kaum solche Unternehmen gibt. „Wir haben exzellente Wissenschaftler, daran fehlt es nicht“, streut Lanthaler den Protagonisten Rosen. Die würden inzwischen auch Start-ups gründen. Dafür gebe es Förderungen. Aber das sei nur der Anfang. Schwierig sei der nächste Schritt, wenn es gelte, ein Produkt marktreif zu machen. „Die Anschlussfinanzierung ist das Tal des Todes.“Was hierzulande fehle, ist „echtes“Risikokapital, darüber könnten auch diverse Crowdfunding-Aktivitäten nicht hinwegtäuschen. „Die erste Millionen ist einfach, die fünfte ist schwierig.“
Außerdem sei der Kapitalmarkt unterentwickelt. Tun sich schon große Unternehmen schwer, sei für kleine und mittelgroße Firmen gar kein Platz. „Da ist sogar Deutschland kein optimales Pflaster, aber in dem Land wird industriell sehr groß gedacht.“
Der Mangel an Geld ist freilich nicht der einzige Grund, warum es Firmengründer im allgemeinen und in der Biotech-Szene im Besonderen hierzulande so schwer haben. „Es ist dieser Nährboden, der früher Nobelpreise hervorgebracht hat, verloren gegangen.“Und so lande Österreich auf der Titelseite der „New York Times“auch nicht mit einem wissenschaftlichen Durchbruch, sondern mit den Querelen um die Bundespräsidentenwahl. „Schade, oder?“
Woran das wohl liegt? Bei der Antwort nimmt sich Lanthaler, der die Denkweise der heimischen Industrie als Bereichsleiter für Marketing und Kommunikation bei der Industriellenvereinigung zwischen 1998 und 2000
Studium
an der Wirtschaftsuni Wien und in Harvard (Master) sowie in München (Psychologie). Danach arbeitete er von 1995 bis 1998 beim Unternehmensberater McKinsey.
Nach der Rückkehr
nach Österreich war er zuerst zwei Jahre Bereichsleiter der Industriellenvereinigung für Marketing und Kommunikation. Dann wechselte er zur Biotechfirma Intercell, wo er bis 2009 Finanzvorstand war.
Seit 6. März 2009
ist Lanthaler (Jahrgang 1968) Vorstandsvorsitzender von Evotec. Das deutsche Biotechunternehmen erwirtschaftete 2015 (die Vorjahres-Zahlen werden nächste Woche präsentiert) mit 1000 Mitarbeitern 128 Millionen Euro Umsatz und 16,5 Millionen Nettogewinn. von innen kennengelernt hat, kein Blatt vor den Mund. „Uns fehlt das Elitendenken, wir erlauben keine Spitzenleistungen.“Alles, was nur nach Industrie und Geld rieche, sei verpönt. Die Folge davon: „Die ganz Guten gehen weg.“Ihnen fehlten auch die Rolemodels, die Zuckerbergs und Co.
Ob das auch mit der jahrelangen Prägung durch die Sozialdemokratie zusammenhänge? Nicht unbedingt. Denn heutzutage spiele die Musik in den USA, aber vor allem in Asien. Dort entwickelten die nicht gerade demokratisch geprägten Regime ein wirtschaftsfreundliches Leistungsdenken, das nicht nur Österreich, sondern vielen europäischen Ländern abhanden gekommen sei. Es fehlt uns die Kultur des Scheiterns. Wenn Lanthaler schon die Schwächen seiner Heimat analysiert – ganz ohne Zorn, vielmehr, wie so meist, mit einem liebevollen bis ironischen Schmunzeln – dann kommt er auch auf die Kultur des Scheiterns zu sprechen. Vor allem in den USA werde es selbstverständlich toleriert, wenn einmal etwas daneben geht. Denn im Vordergrund stehe, dass jemand etwas gewagt hat. Hierzulande sei man hingegen als „Pleitier“abgestempelt.
„Jammern“, sagt der stets Optimismus ausstrahlende Top-Manager, „hilft aber nichts.“Vielmehr müsse man konsequent etwas ändern. Wobei man schon einräumen müsse, dass das Land auch sehr klein sei. „Aber Kleinheit ist kein Grund, eine enge Denkweise zu pflegen.“
Für ihn stellt sich jedenfalls nicht die Frage, ob er wieder nach Österreich zurückkehrt – beruflich wohlgemerkt. „Ich denke über einen Wechsel gar nicht nach, es gibt außerdem keine andere Position, die mich interessiert und deshalb nehme ich Anrufe von Headhuntern erst gar nicht an“, lacht er. Außerdem laufe sein Vertrag noch bis 2021. Und wenn die Evotec, so wie seit 2012, weiterhin Gewinne abliefert, dürften die Aktionäre auch nichts an dem Österreicher auszusetzen haben.
Langweilig – allein das Wort passt so gar nicht zu Lanthaler – dürfte ihm ohnedies nicht werden: „Es gibt 3300 Krankheiten, die noch nicht behandelbar sind.“