Der Tiroler und die Fische
An der portugiesischen Algarveküste trifft man den derzeit spannendsten österreichischen Koch. Doch nicht nur Hans Neuner hält dort die Fahne hoch. Ein Frühlingsausflug.
Erst an der frühlingshaften Algarve lernt man, was die Farbe Grün ist. Das Meer, die Vegetation, blühende Bäume und Blumen, soweit das Auge reicht. Zur Geltung bringen das noch brauner Sand und braune Felsen. Optischer Luxus. Zu dem gesellt sich auch noch kulinarischer: Und das mit österreichischer Handschrift. Drei Köche haben sich hier niedergelassen, einer ist heute einer der vielleicht besten Hotelmanager des Landes. (Und in der Gattung sind Österreicher ohnehin Weltmeister.) Nennen wir es ein ÖsterreicherNest. Man sieht die Herren auch immer wieder auf ihren Harleys.
Kurt Gillig spricht und wirkt so wie viele erfolgreiche Auslandsösterreicher. Er vereint die hierzulande unbekannte Mischung aus Selbstbewusstsein, wenn es um den Job geht, und Bescheidenheit, wenn es um die Person geht. Wie so vielen fehlt ihm die alte Heimat, wie so viele versteht er sie nicht mehr ganz. Wie so viele ist er daher froh, dort zu sein, wo er ist: in Porches an der portugiesischen Algarve-Küste. Wenige Ortschaften weiter steht nicht nur das Haus Dagmar Kollers, in dem der rührigste aller Wiener Bürgermeister einst residiert hat, sondern ein weiteres Haus unter österreichischer Führung: Dieter Koschina kocht in der Vila Joya leichte Klassik mit vielen mediterranen Ideen und exzellentem Händchen für Fleischgerichte lässig auf Zwei-Sterne-Niveau. Der Blick von der Terrasse des Restaurants auf das türkisfarbene, raue Meer wäre Grund genug für den Besuch, die Küche ist es aber auch. Wo Bond-Ausstatter begeistert wären. Hauptfigur dieser ziemlich wiederholten Liebeserklärung an die MichelinStern-Österreicher an der Algarve ist Hans Neuner mit seinem Restaurant Ocean, das im Vila-Vita-Parc-HotelKomplex steht, das eben von eingangs erwähntem Kurt Gillig geleitet wird.
Das Ocean besticht schon optisch: Innengestaltung und Einrichtung entziehen sich dem aktuellen KellerwandStraßengrill-Einheitslook und zitieren eines der schönsten, da originellsten Hotels der Welt, das Maritime Hotel in Manhattan. James-Bond-Ausstatter würden hier sofort begeistert zu drehen beginnen. Funktionale, elegante Möbel in Blautönen kreieren mit wohldosiert eingesetzten Accessoires eine Meeresatmosphäre, die dennoch weltstädtisch ist. Auch auf die Gefahr, mich unbeliebt zu machen: Die österreichische Spitzengastronomie hat noch sehr, sehr viel aufzuholen, wenn es um Restaurantdesign geht. Bitte hinfahren, anschauen und kopieren! Bei der Küche wird das ohnehin passieren, hat hier doch einer ohne jede Affigkeit eine eigene Linie gefunden, die von diversen dänischen Waldküchen und südamerikanischen Essigmoden – oder war es umgekehrt? – vielleicht gehört hat, sie aber völlig ignoriert. Er sagt auch Sätze wie, dass man es mit dem strikt Regionalen auch übertreiben kann. Yes.
Der Mann kocht konzentriert, arbeitet sich am Meer und seinen Bewohnern ab und wagt starke Kombinationen. Keep it simple und spare nicht bei den Zutaten, scheint sein Motto zu lauten. Dass ihm die Optik sehr wichtig ist, zeigen schon Brot und Butter, die in Perlenform geschnitzt in einer Schatztruhe serviert werden.
Die Amuse bieten Unterhaltung, ohne den Chemiebaukasten zurate ziehen zu müssen: Da kracht der Lolli aus krossen und knusprigen Tintenfischbeinchen. Die rohen Napfschnecken werden in einer Glasschale zwischen ihren Schneckenhäusern serviert – die Guten leben auf Steinen und schmecken sehr frisch – Koriander und Dashi, japanischer Fischsud, geben ein bisschen leichte Bitterkeit dazu. Mit den Texturen und Härtegraden der Zutaten spielt Neuner dann: Auf weißem Mandelschaum kombiniert er eine Auster mit Ananas und gefrorener Gänseleber. Sanft, süßlich, säuerlich, rund. Das Highlight ist dann Neuners Interpretation des portugiesischen Traditionsgerichts Feijoada: In diesem Eintopf treffen Wolfsbarschbacken, Paprika, Bohnen und Seeigel aufeinander, gebunden
Hans Neuner
stammt aus einer Leutascher Gastronomenfamilie, begann mit 15 die Kochausbildung im Steigenberger-Hotel Alpenkönig in Tirol.
Seine Wanderjahre
führten ihn u. a. ins Hotel Carlton in St. Moritz oder zu Karlheinz Hauser, dem Küchenchef des Hotels Adlon in Berlin.
2004
ging er als Küchenchef ins Seven Seas in Hamburg. 2007 wechselte er ins Fünf-Sterne-Resort Vila Vita Parc an der Atlantikküste.
2009
kam der erste Stern, kurz drauf der zweite. 2009 wurde Neuner Portugals Koch des Jahres. mit einem fast fleischig wirkenden Sud. Es folgen Kompositionen wie Tagliatelle vom Meeresfenchel mit Lauch und Bergamotte auf schwarzer Tinte. Kalamari paaren sich noch mit St. Petersfisch und Yuzu, und die intensiven Geschmacksnoten eines isländischen Kaisergaranten vulgo Langustine – nein, ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen – mit Mais in verschiedenen Variationen. Ich könnte noch stundenlang so weiterschreiben (Rochenflügel!, Seezunge mit schwarzem Trüffel und einer perfekten Taube), aber ich denke, die Analyse wurde gelesen: Der Mann kann kochen. Und er ist sicher der beste Fischspezialist, den Österreich je gesehen hat. Desserts kann er auch noch, nur so viel: Er macht das, was am wichtigsten ist, er verwendet wenig Zucker. Nicht ohne Meer. Warum es einen solchen kulinarischen Halbgott ausgerechnet an die Algarve verschlägt? Er stammt aus einer Leutascher Gastronomenfamilie, begann mit 15 eine Ausbildung zum Koch im Steigenberger-Hotel Alpenkönig in Tirol. Die für wahre Kunst verpflichtenden Wanderjahre führten ihn ins Hotel Carlton in St. Moritz, auf die Bahamas in ein FairmontHotel, später ging er zur See, als Chef de Partie auf der MS Crystal Symphony. Den großen Schliff bekam er später von Karlheinz Hauser, Küchenchef des Hotels Adlon in Berlin. Neun Jahre lernte Neuner an der Seite Hausers.
2004 ging er als Küchenchef ins Sternerestaurant Seven Seas im Hotel Süllberg in Hamburg. Drei Jahre später wechselte er eben in das Fünf-SterneStrandresort Vila Vita Parc an die Atlantikküste Portugals. 2009 kam der erste Stern, kurz danach der zweite. 2009 wurde der Österreicher Portugals Koch des Jahres. Habe ich schon geschrieben, dass der Mann Tiroler ist? Nein? Dann schreibe ich jetzt einfach, dass er der derzeit wichtigste Tiroler weltweit ist. Sollte nun Günther Platter auf die Idee kommen, ihn in seine alte Heimat zurückzuholen oder ihn dorthin zu entführen: Neuner muss an der Algarve bleiben. Ohne Meer wäre das nichts mehr für den Fischflüsterer . . .
Dieser Artikel ist, in ähnlicher Form, bereits im „Schaufenster“erschienen.