Kulturschock in der Küche
Die Vorarlbergerin Milena Broger und der Oberösterreicher Philipp Inreiter haben über Monate in Japan gekocht. Über Arschtritte, Arbeitszeiten und Ausländerbonus.
Manche Lokale kann man als Ausländerin ja nicht einmal googeln. Geschweige denn eine Bewerbung hinschicken.“Milena Broger, Köchin aus dem Bregenzerwald, erzählte also jedem, den sie traf, dass sie gern für ein paar Monate nach Japan gehen würde, um dort in einer Küche zu arbeiten. Und hoffte, dass sich so etwas auftun würde. Ausschlaggebend für ihr Interesse an Japan war ein Kaiseki-Kochbuch gewesen: „Im Vorwort stand zu jedem Gericht eine Geschichte. Für mich war ja immer schon wichtig: Wer kocht ein Gericht, warum, und mit welcher persönlichen Geschichte.“Über Bekannte ergab sich dann ein Kontakt zu einer Ramen-Bar in Tokio mit acht Sitzplätzen, wo direkt vor den Gästen Nudelsuppe zubereitet wird. „Ich habe sofort den Flug gebucht.“ Näher am Gast. Zwei Tage nach der Ankunft begann Milena Broger schon zu arbeiten. Dass junge Köche und Köchinnen reisen, um für ein paar Monate in fremdem Umfeld zu arbeiten, ist mittlerweile ganz normal – Broger etwa war unter anderem im Kadeau in Dänemark. Viele renommierte Restaurants beziehen einen großen Teil ihrer Arbeitskraft aus solchen Austauschprogrammen, bezahlt wird meist nichts – die neuen Erfahrungen sind der Lohn. „Ich bin den ganzen Tag in der RamenBar gestanden und habe kein Wort verstanden. Du weißt nicht, reden sie jetzt übers Wetter, über Politik?“Was die Vorarlbergerin aber bald verstand: Die Leute kamen nicht nur wegen des Essens. „Bei manchen hat man gemerkt, denen geht es grad nicht so gut. Aber immer, wenn sie das Lokal verließen, waren sie mit mindestens einer Person in Kontakt gekommen.“Der Chef der Ramen-Bar erklärte ihr, wie wichtig es sei, dass die essende Person der kochenden möglichst nahe kommt. „Und das ist genau meins. Das war auch das Wichtigste, was ich dort gelernt habe. Es entsteht eine ganz andere Energie, wenn Essen und Kochen enger sind als in Europa üblich.“Hier, meint Broger, wachsen Köche noch viel zu wenig damit auf, am Gast zu sein, den Gast als Teil der Arbeit zu sehen. „Und umgekehrt nehmen die Gäste nicht den kochenden Menschen wahr, sondern nur eine Speise, die so und so viel kostet und bei der sie sich vielleicht fragen, warum dauert das jetzt so lang.“ Soba-Flash. Die Ramen-Bar sollte nicht die einzige Station bleiben, bei der Milena Broger Erfahrungen sammelte. Ein Gast, der etwas Englisch sprach, nahm sie mit in ein Lokal für Sobanudeln, Buchweizennudeln. Das Soba-Erlebnis sei unglaublich gewesen, erzählt sie, „ein Flash“. Und es endete damit, dass sie auch in diesem Lokal zu arbeiten begann. „Untertags im Soba-Lokal, abends in der Ramen-Bar.“
Nach zwei Monaten in Tokio wollte Broger noch nach Kyoto. Sie kam mitten in der Kirschblüte dort an, „alles voller Touristen“. „In dem Kaiseki-Lokal hat außer dem Chef kein Mensch gewusst, dass ich komme. Fünf Köche haben mich also angeschaut, mhm gesagt, und dass ich ja Salat waschen könne. Dann haben sie mich Kuhmagen panieren lassen. Hat ihnen getaugt, dass mir nicht gegraust hat.“
Was Milena Broger, die heute wieder in Vorarlberg kocht, aus Japan mitgenommen hat, ist nicht nur, näher am Gast zu kochen. „Ich habe auch gelernt, mich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Japaner machen eine Sache so lang, bis sie sie fehlerfrei kön- nen. Reis kochen. Nudeln machen. Wiederholung ist wichtig. Und einen Plan haben, auch eine aufgeräumte Küche. Was bei uns als Einschränkung gilt, regt Japaner zur Entfaltung an.“ Andere Arbeitszeiten. Auch der Oberösterreicher Philipp Inreiter kann von Kulturschock und Arbeitsethos ein Lied singen. Der junge Koch, der unter anderem schon im berühmten Noma in Kopenhagen in der Küche stand, arbeitete im Drei-Sterne-Restaurant Ryugin und in der Ramen-Bar Hototogisu in Tokio. „Nicht nur die Sprache ist anders. Alles ist anders. Wie man einander behandelt, was man tun darf und was nicht. Wie man den Tag anfängt, und wann man ihn anfängt.“So sei es im Ryugin üblich gewesen, um neun Uhr Früh anzufangen und teilweise erst um vier Uhr Früh nach Hause zu gehen. „Das ist eine Mentalitätsgeschichte: Solang der Chef da ist – der vielleicht erst um vier am Nachmittag kommt –, darfst du nicht nach Hause gehen. Undenkbar.“Inreiter profitierte freilich vom Ausländerbonus. „Westliche Köche bedeuten Status. Und Status ist in Japan alles.“Er selbst wurde daher auch nicht geschlagen; an sich ist das aber völlig normal in vielen Küchen. „Watschen, Arschtritte, alles. Aber es gibt auch eine andere Seite: So hart Japaner gegenüber anderen sein können, so sehr wissen sie gute Arbeit zu schätzen.“Seine Erfahrungen in Tokio – darunter auch vierstündiges Anstellen vor einer Ramen-Bar – setzte Inreiter übrigens naheliegend um: Seit Februar hat sein Slurp Ramen Joint in Kopenhagen geöffnet. Mit großem Erfolg.
Tokio und Kyoto
waren nur zwei der Stationen, an denen die Bregenzerwälderin schon gekocht hat. Auch in Dänemark sammelte sie Erfahrungen.
Heute
ist Milena Broger Küchenchefin des Klösterle in Zug am Arlberg, das zum Almhof Schneider gehört.
Ramen,
diese omnipräsente japanische Nudelsuppe, kann es wert sein, sich stundenlang anzustellen. Das lernte Inreiter in Tokio.
Seine Erfahrungen
in einer Ramen-Bar und in einem Drei-SterneLokal in Japan setzt er heute in seiner Ramen-Bar in Kopenhagen um.