»Das Kaffeehaus reden die Wiener nur klein«
Die Kaffeeröster Elisabeth und Wilhelm Andraschko haben den Deutschen gezeigt, was Espresso ist – und wissen, was miserabler Kaffee ist. Von der Suche nach dem besten Kaffee.
Ein schlechtgelaunter deutscher Röstmeister an einer riesigen, für Espresso völlig ungeeigneten Maschine war schuld daran, dass sich das Leben von Wilhelm Andraschko wieder einmal gewandelt hatte. Besagter Röstmeister hatte nämlich Andraschko, damals Cafetier und kritischer Kaffee-Einkäufer, auf die Frage, wie denn da jetzt bitteschön das Italienische in den Kaffee kommen solle, geantwortet: „Och, das ist unser normaler Kaffee, den rösten wir einfach zwei Minuten länger.“„Punkt, das war’s. Meine Rösterkarriere hat genau in diesem Moment begonnen“, sagt Wilhelm Andraschko.
Der Wiener war 1979 nach Berlin ausgewandert und nach einem Jahr ins Stammhaus des Cafe´ Einstein in der Kurfürstenstraße eingestiegen. Das Einstein war Anziehungspunkt für die Künstlerszene und eines der gesellschaftlichen Epizentren – auch wenn es gerade die nicht vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen waren, die Andraschko damals am wilden Berlin so gereizt hatten. „Ein völlig offenes Experimentierfeld“, kommentiert er den früheren Zustand der Stadt. Wien indes sei Ende der Siebziger „in Wirklichkeit eine Kleinstadt“gewesen, „wenig innovativ, eine verknöcherte Gesellschaft“.
Mit der Qualität des in Berlin verfügbaren Kaffees war Wilhelm Andraschko schon immer unzufrieden gewesen: „Miserabel.“Auch italienische Marken ließen nämlich auf Lizenz in Deutschland erzeugen. Nach dem Schlüsselerlebnis in der Hamburger Rösterei suchte er einen italienischen Lieferanten, aber diese Kooperation hielt nicht lange. Wilhelm Andraschko begann also selbst Kaffee zu rösten. Er reiste in die USA (wo der Hype um Qualitätskaffee seinen Anfang genommen hatte), suchte den Austausch mit internationalen Kaffeekoryphäen wie Alfred Peet und – die Präinternetzeit lässt grüßen – hatte einiges herumzufaxen.
Eine Zeit lang liefen das Dasein als Kaffeehausbesitzer und jenes als Röster parallel. Elisabeth Andraschko, seit 1994 in Berlin, erzählt, wie die erste Röstmaschine noch im Foyer des Einstein-Stammhauses (heute bekannter ist jenes an der Adresse Unter den Lin- den) gestanden ist. „2005 war dann der Punkt, an dem wir das Kaffeehaus aufgegeben haben und nur mehr Kaffee gemacht haben. Es ist halt die Frage, macht man so weiter, bis man über 90 ist und Füße voran hinausgetragen wird, oder gibt’s doch noch etwas anderes.“Ein Netzwerk an Abnehmern war dank der 27 Jahre Kaffeehauserfahrung schon da. „Das Gute war“, erinnert sich Elisabeth Andraschko, „die Leute wussten: Wir wissen, was wir machen.“
Heute steht Andraschko-Kaffee in seinen rot-weißen Verpackungen in der Gastronomie als Code für Qualität. Man verfolgt den Grundsatz „From Crop to Cup“, also die Kontrolle der gesamten Kette, vom Aufspüren der besten Kaffees in den Anbaugebieten wie Brasilien oder Äthiopien bis zu den unterschiedlichen Röstarten der Espressomischung oder des Single-OriginFilterkaffees, die schlussendlich in der Tasse der Konsumenten landen. Größter Markt ist Deutschland, und da vor allem Berlin – „schon allein der schieren Größe wegen“–, aber auch in England, der Schweiz und an einigen Wiener Adressen ist Andraschko-Kaffee zu finden: etwa im Unger & Klein in der Herrengasse oder im Cafe´ Eiles in der Josefstädter Straße. Ein Format für Müßiggang. Indem Wilhelm Andraschko das Cafe´ Eiles anspricht, eröffnet er damit ein für ihn schier endloses und „irre wichtiges“Thema: das Wiener Kaffeehaus. „Das ist ein unglaubliches Weltformat. Eine großartige Erscheinung. Das reden die Wiener nur klein.“Es sei viel wichtiger, als man hierzulande glaube. „Es ist das einzige Format, das Müßiggang zelebriert. In der heutigen traurigen Welt der Optimierung ist plötzlich ein Faktor Zeit da. Das Kaffeehaus ist eine Institution, in der man die Zeit verstreichen lassen kann oder sogar soll.“Man müsse, meint Wilhelm Andraschko, der im Übrigen mit dem Gedanken spielt, wieder nach Wien zurückzusiedeln, das Wiener Kaffeehaus noch viel mehr kultivieren. „Aber man sollte es natürlich ohne jenen Ärgermoment kultivieren, der hineinkommt, wenn der Kaffee nicht gut schmeckt“, sagt er und legt punktgenau den Finger auf eine ewig offene Wunde. Das Cafe´ Eiles sei eines der wenigen Kaffeehäuser, in denen sich die Kaffeekompetenz nicht auf zig touristenfreundliche Spezialzubereitungsarten beschränkt. Warum es in so vielen legendären Wiener Kaffeehäusern so schlechten Kaffee gibt, können Elisabeth und Wilhelm Andraschko nicht genau sagen. Sie sagt, „das ist die österreichische Mentalität, ,das haben wir immer schon so gehabt‘“. Er meint: „Es ist Unbeweglichkeit, in Klammer: Arroganz. Zu erfolgreich sein, um etwas ändern zu müssen.“Wobei das in seinen Augen kurzsichtig ist, es gibt schließlich nicht nur permanent volle Kaffeehäuser, es gibt auch Zwischenzeiten. „Wenn der Kaffee gut ist, trinken die Leute einen zweiten. Das bedeutet den doppelten Umsatz, das ist doch ein unglaublicher Erfolg. Aber diese Rechnung wird leider noch nicht oft aufgemacht.“ Trauermoment als Erweckung. Nach einem Erweckungserlebnis gefragt, etwa einem Espresso in Italien mit perfekter Crema, sagt Wilhelm Andraschko mit Wiener Galgenhumor: „Auch das Unbefriedigende, dieser Trauermoment, wenn man in einem Kaffeehaus sitzt und es schlechten Kaffee gibt, ist ein Erweckungserlebnis.“
Im Kaffeehaus seiner Träume würde der Exilberliner gern wiederum Träumen nachhängen, „die man mit Kaffee beginnen kann. Kaffee wird ja in irrsinnig schönen Gegenden produziert“. Ein noch zu erfindendes neues Wiener Kaffeehaus – „etwa mit Gregor Eichinger als Architekt“– hätte neben dem Ermöglichen solcher Plantagentagträume auch noch viele andere „unglaublich spannende“Aufgabenstellungen. Es müsste, wie erwähnt, den Müßiggang erlauben, ja, forcieren. „Und so ein Lokal müsste auch aushalten, dass da die Gräfin neben dem Bauarbeiter sitzt.“Elisabeth Andraschko nennt diese Universalität, die dem Kaffeehaus so eigen ist, „benutzbar sein“. „Im Cafe´ Einstein war das so. Da waren Hollywoodstars und Studenten.“„Und Terroristen“, ergänzt er trocken. Die heutigen Lokale würden sich, meint Wilhelm Andraschko, oft einengen. Ob durch Interieur oder Speisekarte. „Aber diese Signale an bestimmte Zielgruppen gibt es ja nur, weil diese Lokale alle nichts aushalten.“