Österreich, vom Bosporus aus
Die Türkei ist ein Land im Umbruch, nicht nur seit Kurzem. Österreicher, die schon lange hier leben, haben die Sicherheit und den Frieden zu Hause schätzen gelernt. Und sie haben das Bild über ihre Heimat revidiert.
Asien liegt da drüben auf dem Hügel, stoisch und geruhsam unter den Sonnenstrahlen, die es endlich durch die Dachlandschaft in die Gassen schaffen, wie immer in den ersten Vorfrühlingstagen. Gerhard Struger sagt, man könne sich nicht sattsehen an diesem Anblick. Er selbst befindet sich auch auf einem Hügel, auf der europäischen Seite, so stört nichts den Blick über den Bosporus in das asiatische Gegenüber. Es ist interessant: Der weitläufige Blick auf die Meerenge von Istanbul lässt die Betrachter fast glauben, es handle sich hier um eine besonnene Stadt im Mittagsschlaf.
„Wenn Sie hier hinausschauen, dann ist es ganz toll“, sagt Struger und macht eine auslandende Handbewegung, die zwei Kontinente umfasst, „aber was sich da drüben abspielt, zwischen all den Häusern, die kleinen Dinge, die will man gar nicht sehen.“So verhält es sich auch mit dem Blick auf seine Geburtsheimat Österreich. Da hält er es mit der breiten, umfassenden Sicht auf das kleine Land, „von der Ferne auf Österreich schauen“, sagt Struger, und lässt dabei das Kleinliche, die Lokalquerelen aus dem Panoramafeld. Und dieser Blick zeige: Es ist ein tolles Land, es geht uns gut.
Seit drei Jahrzehnten schon schaut der Hotelmanager aus Linz Österreich von der Ferne zu. Die Arbeit hat ihn seine Zelte in Deutschland, China und der Türkei aufschlagen lassen, in letzterem Land lebt er in Summe seit 15 Jahren. In Istanbul managt er unter anderem das Swissotelˆ The Bosphorus, eines der bekanntesten Hotels in der Stadt, bekannt unter anderem für seinen prächtigen Ausblick. „Es ist der große Vorteil, den man als Auslandsösterreicher oder als Auslandsirgendetwas hat, da kann man ein bisschen über den Zaun hinüberschauen, man kann die Kleinbürgerlichkeiten ausblenden.“Und dennoch. Je länger man weg ist, desto näher ist einem die Heimat, davon zeigt sich Struger über- zeugt. Wie auch davon, dass man überdurchschnittlich sehnsüchtig ist, das Altbekannte sucht. Als Auslandsösterreicher in einer Metropole wie Istanbul wächst die Wertschätzung für die Dinge, über die man sich zwischen Eisenstadt und Bregenz kaum den Kopf zerbricht. Friedliche Tage, trinkbares Wasser aus dem Wasserhahn, grüne Wanderwege, alles Dinge, die einmal eine große Errungenschaft waren. Nichtzufriedensein. Mit der Kleingeistigkeit, die man bei Strugers Blick auf Österreich beiseiteschieben kann, ist die Raunzerei gemeint, das chronische Nichtzufriedensein. Und der Stillstand, die stockende Politik, in der sich Österreich heute befinde. „Dieses Schielen nach Quoten in der Politik, der mangelnde Wille an Innovation, das finde ich katastrophal“, sagt Struger und erinnert an die Debatte über die Flüchtlinge, an die populistischen Töne. „Diese ganze Diskussion“, sagt er, „die habe ich persönlich als ganz ekelhaft empfunden, als jemand, der die meiste Zeit seines Lebens Ausländer war, Gast in einem anderen Land.“Nun, diesem Blick entsprechend: Ist Österreich Petra Holzer, Dokumentarfilmerin Istanbul, Türkei
Vorarlbergerin
Die Holzer lebt seit knapp zwei Jahrzehnten in Istanbul. Sie leitet als Direktorin das
auf der Insel Bozcaada. Gezeigt werden Dokumentarfilme über Umweltthemen.
Filmfestival Bifed
kleingeistig oder offen? Beides nicht unbedingt in vollen Zügen, sagt Struger, sondern irgendwie dazwischen.
An Österreichs Offenheit hat sich Franz Kangler festgehalten, „ich hatte immer das Gefühl“, erzählt er, „dass zum Österreichsein diese Weite dazugehört.“Vielleicht ein anhaltendes Gefühl aus der Zeit der Monarchie, wiewohl es seit deren Zusammenbruch tiefe Schnitte und kaum heilbare Wunden gab. Nur ein Beispiel: Als Steirer, aufgewachsen unweit der ungarischen Grenze, habe man den Eisernen Vorhang als sehr belastend empfunden. Doch mit all diesen Gefühlen und Erinnerungen ist etwas passiert. „Gegenwärtig fehlt mir das teilweise“, sagt Kangler, „und ich bin manchmal sehr betroffen deswegen.“ Kompliziertes Land. Der katholische Priester der Ordensgemeinschaft der Lazaristen sitzt in einem buchvollen Raum mit schweren Möbeln. Um zu ihm zu kommen, muss man durch einen Schulhof, wo Jugendliche Basketball spielen, und durch die belebten Klassengänge des St. Georgs-Kollegs, der österreichischen Schule im Istanbuler Stadtteil Karaköy. Knapp drei Jahrzehnte lang leitete Kangler als Direktor die Schule, seit seiner Pension ist er Vertreter des Schulträgers. Als der Priester in den späten 1970er-Jahren nach Istanbul kam, herrschten starre Strukturen und Mangel an Alltäglichem, es war die Zeit zwischen zwei Putschen, als die Lehrer nach Griechenland fahren mussten, um Babywindeln oder Käse einzukaufen. Vor dem Coup 1980 hat Kangler Tage erlebt, als man plötzlich in eine Schießerei zwischen linken und rechten Aktivisten geraten konnte, und er hat die Umbrüche verfolgt, die schließlich zum Aufstieg der jetzigen Regierungspartei führten. Er versteht viel von dieser komplizierten Türkei.
Während sich Österreich und die Türkei mehr oder weniger dramatisch verändern, versuchen sich Auslandsösterreicher wie Priester Kangler in dieser Parallelität zurechtzufinden. In einem laizistischen Land war er lange Zeit Schuldirektor, der letzte, der eine kirchliche Funktion hatte. Das österreichische Kolleg nähert sich dem Weltlichen, die Türkei dem Religiösen. Vielleicht kann man diese Entwicklung mit einem Vergleich betrachten. „In meiner Kirche habe ich die Konzilszeit erlebt“, erzählt Kangler, „und später war die katholische Kirche in Österreich ganz anders, da sind Priester mit Weitblick an den Rand gedrängt worden.“
Und wieder später die Missbrauchsfälle, und wieder später betritt Papst Franziskus die Bühne. Es ist möglich, aus Krisen hinauszuwachsen, das will Kangler damit sagen, vor al-
Wiener
Der lebt seit Anfang der 1990er-Jahre in Istanbul. Er ist als Coach, Berater und Personalmanager tätig. Aufgewachsen ist Vetr in Simmering, er ging bei Modeschöpfer Adlmüller in die Lehre. Mit Unterbrechungen lebt Struger seit 15 Jahren in der Türkei, davor war der Manager in und tätig. Struger wuchs in Linz auf. Er ist Direktor des bekannten Swissˆotel am Bosporus.
Deutschland
Andreas Vetr, Personalmanager Istanbul, Türkei Gerhard Struger, Manager beim Hotelriesen FRHI Istanbul, Türkei
China