FRANZ KANGLER
lem mit Blick auf die strapazierten österreichisch-türkischen Beziehungen. Er spürt die Trümmer, die da liegen: Von den ausgeschriebenen fünf Lehrerposten konnten bisher nur drei besetzt werden.
Die Umbrüche in der Türkei hat Petra Holzer Özgüven ebenfalls aufmerksam verfolgt, zu Anfang ihrer Istanbul-Zeit besonders in der Kunstszene, als Anfang der 2000er-Jahre die Stadt am Bosporus plötzlich en vogue war, Kuratoren, Künstler und Studenten die unebenen Gassen von Beyoglu˘ bevölkerten. „Kunst“, sagt Holzer, „ist in der Türkei wesentlich lebendiger, in Österreich hingegen durchdacht, verstaubt oder steril, irgendwie fehlt das Feuer.“Möglich, dass es mit der politischen Lage zu tun hat. Wenn ein Land noch viel Entwicklung vor sich habe, sei die intellektuelle Bewegung viel gewagter, sagt Holzer.
Die Dokumentarfilmerin aus Vorarlberg lebt seit knapp 20 Jahren in der Türkei. Sie spricht die Landessprache akzentfrei, sodass sie erst nach mehreren Sätzen „entlarvt“wird, als „Auslandstürkin“, wie sie sagt. Als Holzer in dieses Land kam, hatte sie ein sehr kritisches Heimatbild, in Österreich sei sie immer angeeckt, und diese Kritikfä- higkeit an der Umgebung habe sie auch in der Türkei umgesetzt. Und dabei bekam sie oft unsichtbare Grenzen zu spüren: Du hast kein Recht, dich einzumischen, war ein Argument, wenn es bei den Diskussionen oder Projekten an die Substanz ging. Oder: Du bist Ausländerin, du kannst das nicht alles begreifen. „Als Frau in diesem Land muss man Mimik und Ausdrucksweise lernen, sonst sendet man falsche Signale aus.“
Den kritischen Blick auf beide Länder hat sie beibehalten. Was Österreich betrifft, hat Holzers Perspektive eine Entwicklung erfahren, als vor sieben Jahren ihre Tochter auf die Welt kam. „Man sieht die Unterschiede im Erziehungssystem. Ich habe gedacht, das wäre in Österreich viel leichter.“Schließlich ist es die Tochter, der scheinbare Kleinigkeiten auffallen, die man wertzuschätzen lernt. In Vorarlberg zeige sie sich erstaunt darüber, dass Autos die Passanten überqueren lassen. Heute erkenne sie den reibungslosen Ablauf mancher bürokratischer Dinge in Vorarlberg an, den Zugang zum Regionalen dort. Gefälligkeiten und Postenschacher. Von Unterschieden zu reden, heißt auch, zunächst einmal die Gemeinsamkeiten zu definieren. Und zwischen Österreich und der Türkei sind das viel mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich, sagt Holzer: Wie man Ausschreibungen verteile, Gefälligkeiten, Postenschacher, Parteizugehörigkeit, Gastfreundschaft („In Vorarlberg ist der Gast auch König“), die ähnliche Geschichte großer Vielvölkerreiche mit sehr viel religiöser Grundlage.
Und auch die Entwicklung der Umwelt. In ihrer Jugend in Dornbirn sei der Nebel noch giftig und die Bäche nahe den Färbereien seien noch farbig gewesen. Die Umweltpolitik beschäftigt Holzer sehr. Zehn Jahre lang hat sie an einer Dokumentation über die Goldminenarbeiter in Bergama nahe Izmir gedreht, wo sich ein legendärer Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen formiert hat. Der Film hat es als Beweismittel in den Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg geschafft. „Als Ausländerin bin ich da oft ein Angriffsziel gewesen“, sagt Holzer rückblickend, „auf der anderen Seite hat mich diese positive Art von Widerstand in meinem Leben weiterentwickelt.“
Heute ist Holzer Direktorin des Internationalen Festivals für Ökologische Dokumentationsfilme (Bifed) auf der kleinen Insel Bozcaada. 2013 wurde das Festival auf die Beine gestellt, im vergangenen Jahr waren es bereits 280 Filme aus 56 Ländern. Ein Abriss des Kosmopolitseins, wie sich Holzer auch selbst definiert. Konsumieren auf Kredit. Wieder ein Hügel auf der europäischen Seite von Istanbul. Andreas Vetr fängt den Ausblick ein und sagt: „Kennen Sie das Spiel ,Sim City‘? Da fängt man mit kleinen Häusern an, dann wird eine Großstadt daraus.“Vetr zog nach Istanbul, als man noch mit Kohle heizte, und die Wolkenkratzer konnte man an einer Hand abzählen. Inzwischen ist Sim City gewissermaßen explodiert, und auch ihre Einwohner haben sich verändert. „Früher haben die Leute das besessen, was sie hatten. Jetzt heißt es: Konsumieren auf Kredit. Wie in Österreich.“
Die österreichische Ecke von Andreas Vetr ist ein Arbeiterviertel in Simmering, als die Gastürme noch Gastürme waren und kein Shoppingcenter mit Wohnungen. Ja, es haben sich beide Städte enorm entwickelt, das gibt Vetr als Antwort auf den Einwand, dass sich Wien doch langsam verändere, wenn überhaupt. „Da tut sich schon etwas. Man sieht es nur nicht, wenn man ständig dort ist.“
Vetr führt eine Personalmanagementfirma am Bosporus, er kam geschäftlich Anfang der 1990er-Jahre hierher und blieb. „Ich habe hier ein Willkommen erlebt, das ich heute noch genieße“, sagt er. Vor einigen wenigen Jahren habe sich Vetr gefragt, ob er sich eigentlich in der Türkei integriert habe. Die ihm selbst gestellte Antwort beantwortete er mit Nein. „Ich war 28, als ich Priester und ehemaliger Direktor des St. Georgs-Kollegs in Istanbul über die neue Grenz- und Zaundebatte