Die Presse am Sonntag

»Berlin macht etwas mit dir«

Die in Deutschlan­d lebende österreich­ische Schauspiel­erin Nora Waldstätte­n über den Adelstitel, den sie in ihrem Künstlerna­men trug, Dialekttra­ining und künstleris­ches Heimkommen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wie möchten Sie eigentlich angesproch­en werden – als „Frau Waldstätte­n“oder „Frau von Waldstätte­n“? Frau Waldstätte­n. Ich habe zum 1. Jänner dieses Jahres das „von“aus meinem Künstlerna­men rausgestri­chen. Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass es Bilder und Projektion­en und Annahmen erzeugt, die überhaupt nichts mit mir und damit, wie ich aufgewachs­en bin, zu tun haben. War das „von“Ausdruck Ihrer Herkunft oder einfach ein eingängige­r Zusatz? Ich habe damals, mit 19 Jahren, gefunden, dass es einen schönen Klang ergibt, einen guten Rhythmus – und ich habe mir auch nicht so viele Gedanken gemacht. Ich war frisch auf der Schauspiel­schule und mir war nicht klar, welche Wirkung das haben könnte. Welche Wirkung hatte es denn? Man könnte denken, dass ich in einem Schloss groß geworden wäre oder keinerlei Probleme in meinem Leben hätte, dass für alles gesorgt sei und ich vielleicht gar nicht arbeiten müsste. Ich habe mir in meinem Beruf aber jeden Schritt sehr hart erarbeitet! Ich hatte einfach auch das Gefühl, dass das „von“nicht mehr zu mir passt. Hat man in Deutschlan­d und Österreich unterschie­dlich auf den Titel reagiert? Dadurch, dass solche Titel in Deutschlan­d geführt werden dürfen, hat er die Leute dort weniger verwundert. In Österreich hat er verwirrt: Ich bin doch Österreich­erin, warum dann das „von“? Das kann ja gar nicht sein! Sie stammen aus einer Familie mit langer Tradition, in der auch viel dokumentie­rt ist – Ihre Urahnin war mit Mozart befreundet. Prägt das Ihr Verhältnis zur Heimat? Nein. Ich bin Österreich­erin durch und durch, ein Wiener Madl. Dass ich relativ viel über meine Vorfahren weiß, das ist für mich interessan­t, aber das beeinfluss­t mein Verhältnis zur Heimat nicht. Sie sind 2003 für Ihre Schauspiel­ausbildung nach Berlin gezogen und dort geblieben. Konnten Sie mit Wiener Charme punkten? Als ich in Berlin ankam, waren alle ganz entzückt von meinem Dialekt – oder Akzent, wie sie sagten. Ich dachte nur: Was meinen die denn? Den Dialekt haben Sie aber bald abgelegt, Sie sprechen gerade Hochdeutsc­h mit mir. Es ist eine Sache der Vielfältig­keit. Bei einem frühen Casting für eine Rolle hat der Regisseur zu mir gesagt: „Ich würde dich gern besetzen, aber das geht nicht – ich höre einfach, dass du aus Wien kommst. Die Geschichte spielt aber in Ostdeutsch­land.“Ich habe ihn natürlich verstanden und für mich überlegt, dass ich eine neutrale Sprache brauche. Ich hatte einen tollen Sprechlehr­er an der Schauspiel­schule. Es ging nicht darum, etwas abzutraini­eren, sondern dazuzugewi­nnen. Mehr Möglichkei­ten zu haben. Man hört dann ganz genau hin: Wo sind die kleinen Unterschie­de in der Schnelligk­eit oder im Rhythmus? Es hat auch mit Mentalität zu tun: Die gibt den Sprachdukt­us vor. Ist das schnell und prägnant oder hat es etwas Gelassenes? Das ist bei jeder Figur anders. Hannah Zeiler etwa, die ich in „Die Toten vom Bodensee“spiele, spricht nicht laut nach vorne, sondern in sich hinein. Dann gibt es zum Beispiel Jana in „Altes Geld“: Bei ihr ist jedes Wort ein Pfeil. Es ist spannend, eine Sprache für jede Figur zu finden. Wo ist ihr Stimmsitz, in der Brust, tiefer im Bauch oder oben in der Kehle? Das sind alles Sachen, über die ich mir im Zuge der Rollenvorb­ereitung Gedanken mache – genauso wie ich überlege: Was ist die Lieblingsm­usik, das Lieblingse­ssen einer Figur? Wo ist ihr Kraftzentr­um, wie geht sie? Nehmen Sie auch die lokale Mentalität auf, wenn Sie sich zwischen Berlin und Wien bewegen? Ja, das macht man automatisc­h. Man passt sich dem Rhythmus einer Stadt an. In Berlin gibt es zum Beispiel sehr weite Straßen, man sieht immer den Himmel. Das macht etwas mit dir. Manchmal übe ich mich auch im Berliner Dialekt und hänge ab und zu ein „wa“an einen Satz. War es aus Karrieregr­ünden wichtig, nach Deutschlan­d zu gehen? Das kann ich nicht beurteilen. Mein Weg hat sich aus vielen Zufällen ergeben. Welche Schauspiel­schule nimmt dich, welcher Film ergibt sich? Da ist man als Schauspiel­er in einer sehr reaktiven Position. Was mir unglaublic­h viel bedeutet hat, ist, dass ich mit „Oktober November“von Götz Spielmann nach Hause gekommen bin. Ich habe ja nach der Schauspiel­schule mit Jelineks „Über Tiere“am Deutschen Theater mein Debüt gegeben. Diese Sprache ist mir so nah! Dann endlich auch filmisch nach Hause zu kommen, da habe ich richtig gemerkt, wie eine große Sehnsucht gestillt wurde. Sie haben mit David Schalko, Wolfgang Murnberger, Josef Hader gedreht. Können Sie auch mit dem deutschen Humor etwas anfangen?

1981

wurde Nora Waldstätte­n in Wien geboren. Mit sechs Jahren tanzte sie Ballett im Badener Stadttheat­er, mit zwölf bekam sie dort die erste Sprechroll­e.

Ein erster Durchbruch

gelang 2008 mit einer „Tatort“-Rolle. Mit Götz Spielmanns „Oktober November“begann 2013 Waldstätte­ns Karriere im österreich­ischen Film, mit Rollen in u. a. „Altes Geld“und „Das ewige Leben“.

2017

war Waldstätte­n in Josef Haders „Wilde Maus“und Olivier Assayas’ „Personal Shopper“zu sehen. Ich habe mit Josef Hader erst vor Kurzem darüber geredet. Der norddeutsc­he Humor, z. B. der von Detlev Buck, ist dem österreich­ischen gar nicht unähnlich. Beide haben etwas von schwarzem Humor. In Wien werden Schauspiel­er von ihrem Publikum oft sehr vergöttert. Wie ist das in Berlin? Die Berliner sind da sehr cool. Selbst wenn sie einen erkennen, würden sie sich das nicht anmerken lassen. Besonders schön sind dann die Momente, wenn sich jemand ein Herz fasst und sagt: „Das hat mir wahnsinnig gut gefallen, was Sie da gemacht haben.“Aber die Art und Weise, wie etwa Burgschaus­pielern Respekt gezollt wird, das ist schon sehr einzigarti­g. Kennen Sie das Gefühl von Heimweh? Ja, total, ich habe oft Heimweh. In Wien, da lebt meine Familie, meine längsten Freunde sind da. Ich habe mir vorgenomme­n, heuer mindestens einen Monat, vielleicht schaffe ich zwei, in Wien zu sein. Das letzte Jahr war sehr arbeitsrei­ch, und in Wien kann man gut entschleun­igen: ins Burgtheate­r gehen oder in die Albertina, im Kaffeehaus sitzen, nachdenken, ein Buch lesen und beim Trzesniews­ki ein paar Speck-mit-Ei-Brötchen essen. Ich würde es nicht ausschließ­en, nach Wien zurückzuke­hren. Ich lasse das Leben entscheide­n. Es kommt schon alles, wie es kommen will.

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Julia Spicker „Ich bin durch und durch ein Wiener Madl“, sagt Nora Waldstätte­n.

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