Der Mainstream-Sozialdemokrat
Vor eineinhalb Jahren noch ein Held der Linken gilt er heute als Rechter. Wirklich verändert sich Hans Peter Doskozil aber nicht. Auch thematisch nicht: Seine Karriere hat er einst als Legist für Fremdenrecht im Innenministerium begonnen.
Schuld ist eigentlich der italienische Innenminister. Nach einem Treffen mit seinem österreichischen Amtskollegen, Wolfgang Sobotka, in Rom plauderte Marco Minniti gegenüber italienischen Journalisten stolz aus, dass Österreich zugesagt habe, eine „bedeutende Anzahl“von Migranten aus Italien aufzunehmen. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil war verblüfft und setzte sich auf das Thema drauf: Das sei so nicht ausgemacht gewesen. Österreich habe schon genug geleistet, die Ausnahmeregelung beim EU-Umverteilungsprogramm solle verlängert werden. Immerhin habe Österreich seit Jahresbeginn auf seinem Staatsgebiet schon wieder über 7000 Aufgriffe zu verzeichnen.
Es folgte ein in der Öffentlichkeit ausgetragener Krach mit ÖVP-Innenminister Sobotka, der auf einmal wie ein „Refugees welcome“-Aktivist dastand. Und auch seinen Parteichef, Christian Kern, brachte Doskozil in die Bredouille, als er dann auch noch vorschlug, überhaupt aus diesem EU-Relocation-Programm auszusteigen.
Den Konflikt mit Wolfgang Sobotka wird man nicht überbewerten müssen: Grundsätzlich können die beiden gut miteinander, und jeder lässt dem anderen den Freiraum, die rechte Flanke für die jeweilige Partei abzudecken.
Doch während Sobotka in seinem Ministerium grundsätzlich tut, was er will, ohne sich mit jemandem abzustimmen, auch nicht mit Parteichef Reinhold Mitterlehner und Außenminister Sebastian Kurz, ging Doskozil bisher stets koordiniert mit Kanzler Christian Kern vor.
Jetzt schien Kern von Doskozils Vorstoß wirklich überrascht. Und im dieswöchigen Ministerrat geriet Doskozil zum Erstaunen der ÖVP-Minister dann auch recht heftig mit Kern aneinander, da der Kanzler dort statt von einem Ausstieg aus dem RelocationProgramm nur von einer Verlängerung der Ausnahmeregelung sprach.
Geschult – als Polizist – im richtigen Leben, nicht in Karl-Marx-Lesezirkeln.
Flüchtlingskrise. Im Frühherbst 2015 war Hans Peter Doskozil das erste Mal in der breiteren Öffentlichkeit aufgetreten. Als Polizeichef des Burgenlands hatte er die Flüchtlingskrise an ihrem Höhepunkt zu managen. Kaum ein Tag, an der man ihn nicht im Fernsehen sah. „Die ruhige Stimme in den unruhigen Tagen“übertitelte der „Standard“ein Porträt. Auch in den sozialen Medien gab es viel Lob. Das Heldenbild eines menschlichen Exekutivbeamten wurde gezeichnet. Manch Faymann-überdrüssiger Linker beschwor bereits eine bessere sozialdemokratische Zukunft mit Leuten wie dem damaligen ÖBB-Chef, Christian Kern, und eben Hans Peter Doskozil, die sich in den Kreis der Willkommenskultur-Gemeinde eingereiht hatten. Jedenfalls in der Vorstellung jener, die das so sehen wollten. Feindbild. Heute ist Doskozil – neben Hans Niessl – das Feindbild vieler Linker in seiner Partei. In einem von vier Vertretern ebendieses linken Flügels der SPÖ verfassten offenen Brief hieß es diese Woche etwa: „Stopp der Kraftmeierei [. . .] Es entspinnt sich ein unwürdiges Schauspiel vom Innenminister, der versucht, den Bundeskanzler ausrutschen zu lassen, dem Verteidigungsminister – oder wahlweise auch „Burgenlandminister“[sic!] – der versucht wiederum, dem Innenminister ein Haxl zu stellen.“Der „Burgenlandminister“ist ein Attribut, das Dokozil von seinem burgenländischen Landes- hauptmann verpasst worden war. Dessen Büro hatte Doskozil zwei Jahre lang geleitet.
Der Lebenslauf des Hans Peter Doskozil ist eine Art politische VomTellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. In diesem Fall: vom Streifenpolizisten zum Minister. Doskozil war der Wechsel von der Hauptschule ins Gymnasium gelungen, danach machte er eine Ausbildung zum Polizisten, versah dann Dienst in der Polizeiinspektion Wehrgasse in Wien. Nebenher begann er, berufsbegleitend Jus zu studieren. Nach Abschluss des Studiums wechselte er in den rechtskundigen Dienst im fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien. Danach war er als Legist in der Abteilung für Fremdenrecht im Innenministerium tätig. Sachkundig. Das Thema wurde er bis heute nicht mehr los. Oder anders formuliert: In der Sache kennt sich Doskozil wirklich aus. Nun kann man sich die Frage stellen: Was geht einen Verteidigungsminister überhaupt das Fremden- und Asylrecht an? Der eine Grund, dass Doskozil hier mitmischt, ist, dass er bis vor Kurzem der Spiegelminister, also das rote Gegenüber des schwarzen Innenministers, in dieser Angelegenheit war. Mittlerweile ist das Spiegelministersystem zwar aufgelöst, aber Doskozil blieb trotzdem dran: Einerseits, weil er sich eben in der Materie auskennt und es ihm ein Anliegen ist. Andererseits, weil er, als eine Art „roter Sicherheitsminister“positioniert, schon auch die rechte Flanke für die SPÖ abzudecken versucht.
Dass es hierfür einen Auftrag von SPÖ-Chef Christian Kern gebe, wird von beiden Seiten bestritten. Offensichtlich ist es jedoch allemal. Damit Kern den Kanzler der Mitte geben kann, braucht er einen, der rechts ausputzt. Noch dazu, da SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler jüngst in ungewohnter Offenheit zugab, dass Kern von der Bevölkerung als zu links wahrgenommen werde.
Das ist bei Hans Peter Doskozil jedenfalls nicht der Fall. Als Rechter will er aber auch nicht bezeichnet werden. „Er ist ein klassischer Mainstream-Sozialdemokrat“, sagt ein Genosse. Nun ist das freilich Definitionssache und eine des Blickwinkels. Ein Sozialdemokrat aus dem Wiener Bobo-Milieu wird unter einem Mainstream-Sozialdemokraten wahrscheinlich etwas anderes verstehen. Aber nimmt man die SPÖ in ihrer Gesamtheit, vor allem die Parteibasis in den Bundesländern, die an ideologischen Fragen weniger interessiert ist als an der Bewältigung des Alltags, dann trifft das doch zu.
Bei der „Seniorenmesse“am vergangenen Mittwoch in Wien sei Doskozil von Pensionisten umringt und mit Selfies-Wünschen überhäuft worden wie ein Schlagerstar, erzählen Augenzeugen. Doskozil wird auch von Demoskopen als Mann der Mitte wahrgenommen. Im jüngsten APA/OGM-Vertrauensindex liegt er – mit einem Plus von vier Punkten – nun gleichauf mit Christian Kern auf Platz zwei hinter Sebastian Kurz.
Worauf man sich wahrscheinlich einigen kann: Hans Peter Doskozil ist ein Realo. Geschult – als Polizist – im richtigen Leben und nicht in KarlMarx-Lesezirkeln. Der bodenständige Burgenländer verkörpert den traditionellen Arbeiterpartei-Exponenten viel eher als den Post-68er-Linken. Kern-Konkurrent? Bleibt die Frage: Was hat Hans Peter Doskozil noch vor? Manchem in der SPÖ erscheint es suspekt, dass dieser, immerhin bereits stellvertretende Bundesparteivorsitzender der SPÖ, nun immer mehr Alleingänge wagt. Dass Doskozil jedoch zum Konkurrenten für Kanzler Kern wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Vielmehr könnte er burgenländischer Landeshauptmann nach Hans Niessl werden. Wiewohl er nicht so wirklich dem bisher gängigen Typus des schul- terklopfenden Landeshauptmanns entspricht. Doskozil ist eher zurückhaltend, abwägend, im Umgang zuerst einmal distanziert. Allerdings: Auch das Bild des Landeshauptmanns ändert sich in Österreich nach den Abgängen von Erwin Pröll und Josef Pühringer gerade. Eurofighter. Für kurze Zeit war Hans Peter Doskozil jüngst dann doch wieder zu einem Helden der Linken geworden: Als er die Anzeige gegen Eurofighter inklusive Schadenersatzforderung ankündigte. Da war er dann wieder der gute Hans Peter Doskozil.
Diesbezüglich sei er ein „Glücksfall“für die Republik, lobt auch der grüne Sicherheitssprecher, Peter Pilz, den roten Verteidigungsminister. Einer, mit dem man vertrauensvoll zusammenarbeiten könne, der glaubwürdig gegen Korruption sei. Kein Blender wie andere. „Der richtige Mann am richtigen Platz“, sagt Pilz.
Mit der Einschränkung, dass der Expolizist im Verteidigungsressort den Innenminister zu spielen versuche. Damit liege er ebenso falsch wie beim „Wer ist grauslicher zu den Flüchtlingen“-Wettbewerb. „Er hätte das alles gar nicht nötig“, findet Pilz. Pariser Banlieues. Was bewegt Hans Peter Doskozil nun zu seiner restriktiven Haltung in der Migrationspolitik? Neben seinen Erfahrungen an der burgenländisch-ungarischen Grenze während des Höhepunkts der Flüchtlingskrise war wohl eine seiner ersten Auslandsreisen als Verteidigungs- und Sportminister ein Schlüsselerlebnis – und zwar jene nach Paris.
Die Zustände in den dortigen Banlieues sind für ihn bis heute die negative Benchmark: Man könne, so lautet sein davon abgeleiteter Leitsatz, nicht mehr Menschen aufnehmen, als man integrieren könne. Plätze in den Erstaufnahmezentren wären zwar da, nicht jedoch die Arbeitsplätze.
Diese Doskozil-Doktrin ist zwar mittlerweile auch in der SPÖ-Führung Common Sense. Aber eben nicht überall in der Partei.
Die Doskozil-Doktrin ist nun Common Sense – aber eben nicht überall in der SPÖ.