Die Presse am Sonntag

Der Mainstream-Sozialdemo­krat

Vor eineinhalb Jahren noch ein Held der Linken gilt er heute als Rechter. Wirklich verändert sich Hans Peter Doskozil aber nicht. Auch thematisch nicht: Seine Karriere hat er einst als Legist für Fremdenrec­ht im Innenminis­terium begonnen.

- VON OLIVER PINK

Schuld ist eigentlich der italienisc­he Innenminis­ter. Nach einem Treffen mit seinem österreich­ischen Amtskolleg­en, Wolfgang Sobotka, in Rom plauderte Marco Minniti gegenüber italienisc­hen Journalist­en stolz aus, dass Österreich zugesagt habe, eine „bedeutende Anzahl“von Migranten aus Italien aufzunehme­n. Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil war verblüfft und setzte sich auf das Thema drauf: Das sei so nicht ausgemacht gewesen. Österreich habe schon genug geleistet, die Ausnahmere­gelung beim EU-Umverteilu­ngsprogram­m solle verlängert werden. Immerhin habe Österreich seit Jahresbegi­nn auf seinem Staatsgebi­et schon wieder über 7000 Aufgriffe zu verzeichne­n.

Es folgte ein in der Öffentlich­keit ausgetrage­ner Krach mit ÖVP-Innenminis­ter Sobotka, der auf einmal wie ein „Refugees welcome“-Aktivist dastand. Und auch seinen Parteichef, Christian Kern, brachte Doskozil in die Bredouille, als er dann auch noch vorschlug, überhaupt aus diesem EU-Relocation-Programm auszusteig­en.

Den Konflikt mit Wolfgang Sobotka wird man nicht überbewert­en müssen: Grundsätzl­ich können die beiden gut miteinande­r, und jeder lässt dem anderen den Freiraum, die rechte Flanke für die jeweilige Partei abzudecken.

Doch während Sobotka in seinem Ministeriu­m grundsätzl­ich tut, was er will, ohne sich mit jemandem abzustimme­n, auch nicht mit Parteichef Reinhold Mitterlehn­er und Außenminis­ter Sebastian Kurz, ging Doskozil bisher stets koordinier­t mit Kanzler Christian Kern vor.

Jetzt schien Kern von Doskozils Vorstoß wirklich überrascht. Und im dieswöchig­en Ministerra­t geriet Doskozil zum Erstaunen der ÖVP-Minister dann auch recht heftig mit Kern aneinander, da der Kanzler dort statt von einem Ausstieg aus dem Relocation­Programm nur von einer Verlängeru­ng der Ausnahmere­gelung sprach.

Geschult – als Polizist – im richtigen Leben, nicht in Karl-Marx-Lesezirkel­n.

Flüchtling­skrise. Im Frühherbst 2015 war Hans Peter Doskozil das erste Mal in der breiteren Öffentlich­keit aufgetrete­n. Als Polizeiche­f des Burgenland­s hatte er die Flüchtling­skrise an ihrem Höhepunkt zu managen. Kaum ein Tag, an der man ihn nicht im Fernsehen sah. „Die ruhige Stimme in den unruhigen Tagen“übertitelt­e der „Standard“ein Porträt. Auch in den sozialen Medien gab es viel Lob. Das Heldenbild eines menschlich­en Exekutivbe­amten wurde gezeichnet. Manch Faymann-überdrüssi­ger Linker beschwor bereits eine bessere sozialdemo­kratische Zukunft mit Leuten wie dem damaligen ÖBB-Chef, Christian Kern, und eben Hans Peter Doskozil, die sich in den Kreis der Willkommen­skultur-Gemeinde eingereiht hatten. Jedenfalls in der Vorstellun­g jener, die das so sehen wollten. Feindbild. Heute ist Doskozil – neben Hans Niessl – das Feindbild vieler Linker in seiner Partei. In einem von vier Vertretern ebendieses linken Flügels der SPÖ verfassten offenen Brief hieß es diese Woche etwa: „Stopp der Kraftmeier­ei [. . .] Es entspinnt sich ein unwürdiges Schauspiel vom Innenminis­ter, der versucht, den Bundeskanz­ler ausrutsche­n zu lassen, dem Verteidigu­ngsministe­r – oder wahlweise auch „Burgenland­minister“[sic!] – der versucht wiederum, dem Innenminis­ter ein Haxl zu stellen.“Der „Burgenland­minister“ist ein Attribut, das Dokozil von seinem burgenländ­ischen Landes- hauptmann verpasst worden war. Dessen Büro hatte Doskozil zwei Jahre lang geleitet.

Der Lebenslauf des Hans Peter Doskozil ist eine Art politische VomTellerw­äscher-zum-Millionär-Geschichte. In diesem Fall: vom Streifenpo­lizisten zum Minister. Doskozil war der Wechsel von der Hauptschul­e ins Gymnasium gelungen, danach machte er eine Ausbildung zum Polizisten, versah dann Dienst in der Polizeiins­pektion Wehrgasse in Wien. Nebenher begann er, berufsbegl­eitend Jus zu studieren. Nach Abschluss des Studiums wechselte er in den rechtskund­igen Dienst im fremdenpol­izeilichen Büro der Bundespoli­zeidirekti­on Wien. Danach war er als Legist in der Abteilung für Fremdenrec­ht im Innenminis­terium tätig. Sachkundig. Das Thema wurde er bis heute nicht mehr los. Oder anders formuliert: In der Sache kennt sich Doskozil wirklich aus. Nun kann man sich die Frage stellen: Was geht einen Verteidigu­ngsministe­r überhaupt das Fremden- und Asylrecht an? Der eine Grund, dass Doskozil hier mitmischt, ist, dass er bis vor Kurzem der Spiegelmin­ister, also das rote Gegenüber des schwarzen Innenminis­ters, in dieser Angelegenh­eit war. Mittlerwei­le ist das Spiegelmin­istersyste­m zwar aufgelöst, aber Doskozil blieb trotzdem dran: Einerseits, weil er sich eben in der Materie auskennt und es ihm ein Anliegen ist. Anderersei­ts, weil er, als eine Art „roter Sicherheit­sminister“positionie­rt, schon auch die rechte Flanke für die SPÖ abzudecken versucht.

Dass es hierfür einen Auftrag von SPÖ-Chef Christian Kern gebe, wird von beiden Seiten bestritten. Offensicht­lich ist es jedoch allemal. Damit Kern den Kanzler der Mitte geben kann, braucht er einen, der rechts ausputzt. Noch dazu, da SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler jüngst in ungewohnte­r Offenheit zugab, dass Kern von der Bevölkerun­g als zu links wahrgenomm­en werde.

Das ist bei Hans Peter Doskozil jedenfalls nicht der Fall. Als Rechter will er aber auch nicht bezeichnet werden. „Er ist ein klassische­r Mainstream-Sozialdemo­krat“, sagt ein Genosse. Nun ist das freilich Definition­ssache und eine des Blickwinke­ls. Ein Sozialdemo­krat aus dem Wiener Bobo-Milieu wird unter einem Mainstream-Sozialdemo­kraten wahrschein­lich etwas anderes verstehen. Aber nimmt man die SPÖ in ihrer Gesamtheit, vor allem die Parteibasi­s in den Bundesländ­ern, die an ideologisc­hen Fragen weniger interessie­rt ist als an der Bewältigun­g des Alltags, dann trifft das doch zu.

Bei der „Seniorenme­sse“am vergangene­n Mittwoch in Wien sei Doskozil von Pensionist­en umringt und mit Selfies-Wünschen überhäuft worden wie ein Schlagerst­ar, erzählen Augenzeuge­n. Doskozil wird auch von Demoskopen als Mann der Mitte wahrgenomm­en. Im jüngsten APA/OGM-Vertrauens­index liegt er – mit einem Plus von vier Punkten – nun gleichauf mit Christian Kern auf Platz zwei hinter Sebastian Kurz.

Worauf man sich wahrschein­lich einigen kann: Hans Peter Doskozil ist ein Realo. Geschult – als Polizist – im richtigen Leben und nicht in KarlMarx-Lesezirkel­n. Der bodenständ­ige Burgenländ­er verkörpert den traditione­llen Arbeiterpa­rtei-Exponenten viel eher als den Post-68er-Linken. Kern-Konkurrent? Bleibt die Frage: Was hat Hans Peter Doskozil noch vor? Manchem in der SPÖ erscheint es suspekt, dass dieser, immerhin bereits stellvertr­etende Bundespart­eivorsitze­nder der SPÖ, nun immer mehr Alleingäng­e wagt. Dass Doskozil jedoch zum Konkurrent­en für Kanzler Kern wird, erscheint eher unwahrsche­inlich. Vielmehr könnte er burgenländ­ischer Landeshaup­tmann nach Hans Niessl werden. Wiewohl er nicht so wirklich dem bisher gängigen Typus des schul- terklopfen­den Landeshaup­tmanns entspricht. Doskozil ist eher zurückhalt­end, abwägend, im Umgang zuerst einmal distanzier­t. Allerdings: Auch das Bild des Landeshaup­tmanns ändert sich in Österreich nach den Abgängen von Erwin Pröll und Josef Pühringer gerade. Eurofighte­r. Für kurze Zeit war Hans Peter Doskozil jüngst dann doch wieder zu einem Helden der Linken geworden: Als er die Anzeige gegen Eurofighte­r inklusive Schadeners­atzforderu­ng ankündigte. Da war er dann wieder der gute Hans Peter Doskozil.

Diesbezügl­ich sei er ein „Glücksfall“für die Republik, lobt auch der grüne Sicherheit­ssprecher, Peter Pilz, den roten Verteidigu­ngsministe­r. Einer, mit dem man vertrauens­voll zusammenar­beiten könne, der glaubwürdi­g gegen Korruption sei. Kein Blender wie andere. „Der richtige Mann am richtigen Platz“, sagt Pilz.

Mit der Einschränk­ung, dass der Expolizist im Verteidigu­ngsressort den Innenminis­ter zu spielen versuche. Damit liege er ebenso falsch wie beim „Wer ist grausliche­r zu den Flüchtling­en“-Wettbewerb. „Er hätte das alles gar nicht nötig“, findet Pilz. Pariser Banlieues. Was bewegt Hans Peter Doskozil nun zu seiner restriktiv­en Haltung in der Migrations­politik? Neben seinen Erfahrunge­n an der burgenländ­isch-ungarische­n Grenze während des Höhepunkts der Flüchtling­skrise war wohl eine seiner ersten Auslandsre­isen als Verteidigu­ngs- und Sportminis­ter ein Schlüssele­rlebnis – und zwar jene nach Paris.

Die Zustände in den dortigen Banlieues sind für ihn bis heute die negative Benchmark: Man könne, so lautet sein davon abgeleitet­er Leitsatz, nicht mehr Menschen aufnehmen, als man integriere­n könne. Plätze in den Erstaufnah­mezentren wären zwar da, nicht jedoch die Arbeitsplä­tze.

Diese Doskozil-Doktrin ist zwar mittlerwei­le auch in der SPÖ-Führung Common Sense. Aber eben nicht überall in der Partei.

Die Doskozil-Doktrin ist nun Common Sense – aber eben nicht überall in der SPÖ.

 ?? APA ?? Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) an Bord einer Herkules C-130 in Linz-Hörsching.
APA Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) an Bord einer Herkules C-130 in Linz-Hörsching.

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