»Strolz wäre bei uns herzlich willkommen«
ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter über die schärfer werdenden Töne in der Koalition, die Rettung des ländlichen Raumes, die Notwendigkeit einer dritten Piste in Schwechat und eine EU-Verordnung für die Armleuchteralge.
Sie haben Kanzler Christian Kern diese Woche wortwörtlich einen „tourner le cou“, einen Wendehals, genannt. Warum? Andrä Rupprechter: Ich habe nur gesagt, wenn jemand von einem Tag auf den den anderen eine Wendung um 180 Grad macht – in der Flüchtlingspolitik –, dann würde man auf Französisch tourner le cou sagen. Ist das für einen Tiroler noch eine Steigerung, wenn man jemanden auf Französisch beschimpft? Ich habe niemanden beschimpft. Ich habe einen Vergleich gezogen. War die Kritik an Kern mit Ihrem Parteiobmann Reinhold Mitterlehner abgesprochen? Wir stimmen immer alles ab. Und in diesem konkreten Punkt war klarzumachen, dass wir Wolfgang Sobotka voll und ganz unterstützen. Sind Sie für einen Ausstieg aus dem EURelocation-Programm? Da möchte ich mich nicht einmischen, das ist nicht mein Kernthema. Aber Sie waren lang in Brüssel: Die derzeitige EU-Skepsis hat auch die ÖVP erfasst, namhafte Politiker sind dafür, dass man Kompetenzen von Brüssel wieder zurück in den nationalstaatlichen Bereich verlagert. Und Sie? Das halte ich für durchaus vernünftig, dort, wo die subsidiäre Ebene die Dinge beurteilen kann. Ein gutes Beispiel ist hier die Frage des Naturschutzes. Ich glaube nicht, dass ein belgischer Beamter in der EU-Kommission beurteilen kann, ob wir ein Schutzgebiet für die – wie heißt sie schnell? – Armleuchteralge brauchen. Das können die Bundesländer, die für Naturschutz zuständig sind, allein beurteilen. Sehr wohl mehr Europa brauchen wir in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wie fanden Sie die Kritik von Sebastian Kurz an den NGOs? Was er gesagt hat, hatte sicher Hand und Fuß: dass sich manche hier wirklich zu den Handlangern der Schlepper machen. Aber er hat ja keine grundlegende Kritik an der Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen geübt. Ich habe in meinem Bereich, im Umweltbereich, eine gute Zusammenarbeit mit den NGOs. Was sagen Sie zum Wechsel von Christoph Vavrik von den Neos zur ÖVP? Das ist Sache des Parlamentsklubs. Finden Sie das nun gut oder schlecht? Was soll ich Schlechtes daran finden? Gäbe es jemanden, von dem man sagt, den wollen wir bei uns nicht haben? Leo Steinbichler (Agrarsprecher des Team Stronach, Anm.). Er hat schon einmal angeklopft. Aber Matthias Strolz wäre bei uns auf jeden Fall herzlich willkommen – bevor sich die Neos jetzt ganz auflösen. Heinz-Christian Strache auch? Da müsste er sich politisch noch ein bisschen weiterentwickeln. SPÖ-Regierungskoordinator Thomas Drozda hat gemeint, dass sich die ÖVP entscheiden müsse, ob sie Neuwahlen haben wolle oder nicht. Die „destruktive Variante“, für die sich die ÖVP derzeit entschieden habe, sei nicht mehr akzeptabel. Die „Wadlbeißereien“hätten sich zu „Messerstechereien“ausgewachsen. Wie finden Sie das? Diese Befindlichkeiten möchte ich nicht weiter kommentieren. Wie lang gibt es diese Regierung noch? Ich glaube 18 Monate. Und das geht sich aus – auch inhaltlich? Dafür haben wir mit dem Arbeitsübereinkommen, das wir alle unterzeichnet haben, eine gute Grundlage geschaffen. Diese Woche wurde etwa das Integrationspaket beschlossen. Und ich habe als einen Schwerpunkt den Masterplan für die ländlichen Regionen in der Umsetzung. Damit soll Wirtschaften am Land wieder attraktiv werden, Breitband ausgebaut, das Ehrenamt gestärkt werden und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, da die Landflucht sehr stark weiblich ist. Wird man damit das Aussterben von Seitentälern verhindern können? Wir werden in manchen Regionen bis zum Jahr 2030 mehr als zehn Prozent der Bevölkerung verlieren. Im Tiroler Oberland etwa, im Kaunertal, Osttirol, Obersteiermark, Lungau, Oberkärnten, südliches Burgenland, Waldviertel – das sind die größten Problemgebiete. Da muss man als Regierung vielfältig ansetzen, weil hier die Basisinfrastruktur vielfach nicht mehr gegeben ist. Da werden aber auch die anderen Ministerien mitziehen müssen – für Polizeiposten, Ärztestellen etc. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat mich etwa darüber informiert, dass er in Waidhofen an der Ybbs ein geschlossenes Bezirksgericht wieder aufsperren will und dieses mit der Gemeinde zu einem Bürgerzentrum zu machen, in dem man Rechtsberatung bekommt. Zudem wollen wir zehn Prozent der Bundeseinrichtungen von Wien in die Länder verlegen. In Bayern ist etwa das Gesundheitsministerium in Nürnberg. Und ich sehe zum Beispiel keinen großen Sinn darin, dass die Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Wien sein muss. Wird man sich nicht damit abfinden müssen, dass in manchen Regionen einfach keine Menschen mehr leben werden? Nein, damit werde ich mich nicht abfinden. Im Osten Deutschlands hat man gewisse Regionen aufgegeben und gesagt, dort investieren wir nicht mehr, dort fördern wir den Abzug. Das möchte ich nicht. Ich möchte die ländlichen Regionen erhalten, ich will Chancengleichheit für das Land. Und ich will auch nicht, dass unsere Kulturlandschaft zuwächst. Kommen wir kurz zur dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat: Offenbar nimmt das Bundesverwaltungsgericht, das den Bau aus Klimaschutzgründen abgelehnt hat, die Umweltziele der Regierung ernster, als es die Regierung tut. Ich sehe das so nicht. Das Gericht hat die öffentlichen Interessen abgewogen und ein Urteil gefällt. Das ist zur Kenntnis zu nehmen. Sie als Umweltminister müssten sich darüber ja freuen. Es geht wirklich nicht darum, ob ich eine Freude mit einem Urteil habe oder nicht. Ich habe eine private Meinung zum Urteil, aber als Minister nehme ich es zur Kenntnis. Freut sich die Privatperson Rupprechter über das Verbot einer dritten Piste, oder ärgert sie sich? Mir ist wichtig, dass hier kein künstlicher Gegensatz zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum konstruiert wird. Beides ist wichtig, und beides sollte miteinander harmonieren. Aber man sollte überlegen, Gesetze zu machen, die Infrastrukturprojekten den Vorrang geben, wenn sie für ein Gebiet lebensnotwendig sind. Ist die dritte Piste in Schwechat lebensnotwendig? Ich glaube schon, dass der Flugverkehr für den Standort Wien beziehungsweise für den Standort Österreich eine wichtige Rolle spielt. Aber das ist ein Zusammenspiel. Es nützt nichts, wenn man alles dem Wirtschaftswachstum unterordnet und der Standort dann nicht mehr lebenswert ist wie in Peking. Andererseits wird man in der saubersten Umwelt keine Zukunft haben, wenn man keine Möglichkeit hat, zu wirtschaften und zu arbeiten. Sie haben mit der Idee, die Steuervorteile von Diesel abzuschaffen, für heftige Diskussionen gesorgt. Bereuen Sie den Vorschlag? Ich habe wiederholt gesagt, dass es nicht um Einzelmaßnahmen geht. Die ÖVP hat die Linie, dass es keine neuen Steuern in dieser Legislaturperiode gibt, und dabei bleibt es. Aber wenn wir eine ökosoziale Steuerreform machen, dann muss man berücksichtigen,
31. 5. 1961
Andrä Rupprechter wird als elftes Kind einer Tiroler Bauernfamilie geboren. Er studiert Agrarökonomie an der Universität für Bodenkultur in Wien.
1989
Rupprechter arbeitet im Büro des damaligen Landwirtschaftsministers Franz Fischler als Experte für Landwirtschaft und internationale Angelegenheiten. Später wird er Sektionschef, 2007 wechselt er zur EU nach Brüssel.
2013
Der damalige ÖVPChef, Michael Spindelegger, holt Rupprechter als Landwirtschafts- und Umweltminister in die Regierung. wer die Umwelt mehr belastet und wer weniger. Einige deutsche Städte haben Fahrverbote für ältere Dieselautos ab einer bestimmten Luftbelastung erlassen. Würden Sie das auch in Österreich befürworten? Also die Dieseldebatte will ich jetzt nicht wieder befeuern. Außerdem habe ich in der Frage keine Kompetenzen, das sind Entscheidungen, die die Städte treffen müssen. Wie oft nützen Sie eigentlich das Elektroauto Ihres Hauses? Wir haben ein reines Elektroauto, das ich im Stadtverkehr nütze. Für Überlandstrecken hat sich ein Hybridfahrzeug bewährt (ein BMW 740e iPerformance, in dem ein Elektroantrieb mit einem Vierzylinder-Ottomotor kombiniert ist, Anm.). Mittlerweile steigen auch schon einige meiner Ministerkollegen auf die Hybridversion um. Als Thomas Drozda vor Kurzem vorschlug, den Heldenplatz umzubenennen, sprach sich die ÖVP vehement dagegen aus. Sie wollten einmal das Feldmarschall-Radetzky-Denkmal vor Ihrem Ministerium, dem früheren k. u. k. Kriegsministerium, wenn nicht schleifen, dann zumindest mit einem Friedenssymbol behängen. Wie weit ist das gediehen? Nicht sehr weit. Da habe ich mir die Zähne ausgebissen. Aber es war auch nicht wirklich eine ernsthafte Debatte. Ich halte nicht viel davon, Denkmäler zu schleifen oder zu verschieben. Aber Andreas Hofer würde sich doch gut machen auf dem Platz. Nein, der ist auf dem Bergisel sehr gut aufgehoben.