Die Presse am Sonntag

Skurrile Retter und Großmachts­piele im EU-Wartesaal

Die Präsidente­nwahl in Serbien ist Sittenbild für die Lage auf dem Balkan. Regionale Politiker setzen auf einen immer autoritäre­ren Kurs, die EU verliert Einfluss, Moskau und Ankara stoßen in das Vakuum vor.

- VON THOMAS ROSER

Die Hosenbeine seines weißen Anzugs hat Serbiens selbsterkl­ärter Heilsbring­er entschloss­en in die weißen Wollsocken gestopft. Statt schrillem Telefonkli­ngeln klirren im „Wahlstab“von Luka Maksimovic,´ alias „Ljubisaˇ Überläufer“, vor der Präsidente­nwahl am heutigen Sonntag nur die Gläser. „Wir sitzen im Beisl und warten auf die Journalist­en“, erläutert der 25-jährige Student der Kommunikat­ionswissen­schaften im Garten des elterliche­n Gasthauses im Provinznes­t Mladenovac grinsend seine Wahlkampfs­trategie. Sorgen um den Wahlausgan­g macht sich der Parodie-Kandidat keine: „Wir haben schon jetzt gewonnen.“

Ob der Mann mit dem Haardutt vom Schimmel, aus der Pferdekuts­che oder einem alten Mercedes huldvoll das Volk grüßt, Kinder hochhebt oder vollmundig serbische Marsmissio­nen gelobt: Hundertaus­ende ergötzen sich im Internet an den schrägen Wahlspots des „Weißen“. Dass die wenig verlässlic­hen Umfragen ihm bis zu elf Prozent prognostiz­ieren und selbst Chancen auf den Einzug in eine Stichwahl gegen den Premier und haushohen Favoriten Aleksandar Vuciˇc´ einräumen, wertet der Wirtssohn als Zeichen, in welch „desolatem Zustand“sich sein Land befinde: „Dieses Volk benötigt Hilfe.“

Tatsächlic­h hält der Parodie-Kandidat der geschäftst­üchtigen Politikerk­aste der ganzen Region einen keineswegs schmeichel­haften Zerrspiege­l vor. Im Land der politische­n Wanderdüne­n sei es „völlig normal“, aus rein persönlich­en Interessen von einer Partei in die andere zu wechseln, erläutert „Ljubisaˇ Überläufer“seinen Namen. Sein Berater, „Nebojsaˇ Speichelle­cker“, sei sein von ihm nicht zu trennender Schatten, Lautsprech­er und Souffleur, der ohne Klage schallende Ohrfeigen seines autoritäre­n Chefs hinnehme: „Solch servile Figuren finden sich in Serbiens Politik in Hülle und Fülle – vor allem im Gefolge von Herrn Vuciˇc.“´ Mit der Trickkiste gegen Opposition. Das Lachen bleibt den meisten Kandidaten der zersplitte­rten Opposition im Halse stecken. Sein Wahlkampf sei „sauber wie eine Träne“, beteuert Serbiens mächtiger Premier Vuciˇc.´ Doch tatsächlic­h hat der Stab des früheren Informatio­nsminister­s das gesamte Arsenal der Macht-Trickkiste gegen die lästige Konkurrenz in Stellung gebracht. Von Mord über Drogenhand­el bis zur Spionage im Dienst ausländisc­her Mächte reichten in den vergangene­n Wochen die von der Boulevardp­resse und Politikern der Regierungs­partei SNS erhobenen Vorwürfe gegen die Opposition­skandidate­n. Denen blieb derweil im Stimmenstr­eit nicht nur der Zugang zu den von der Regierung kontrollie­rten TV-Sendern, sondern auch die Anmietung mancher Halle in der Provinz unter fadenschei­nigen Gründen oft verwehrt.

Am Donnerstag flatterten in die Briefkäste­n der Belgrader nicht nur Flugblätte­r einer gefakten Bürgerinit­iative, die aus angebliche­r Enttäuschu­ng über die Opposition zum Wahlboykot­t aufriefen. Auch an den Kiosken bot sich ein bizarres Bild: Die Titelseite­n nahezu aller führenden Zeitungen zierte dieselbe Wahlreklam­e für Vuciˇc.´ Entgeister­t spricht Ex-Präsident Boris Tadic´ von einem „nordkorean­ischen Szenario“: Das habe „den wahren Zustand von Serbiens Medien entblößt“.

Aber nicht nur in Serbien klagen Bürgerrech­tler über Knebelung der Pressefrei­heit, das Fehlen rechtsstaa­tlicher Strukturen und Schüren nationaler Konflikte durch autoritäre Politfürst­en. Statt sich den von der EU gepredigte­n Werten anzunähern, scheinen sich deren Anwärter von diesen zu entfernen. Politikwis­senschaftl­er Vedran Dzihiˇc´ konstatier­t bei den Staatenlen­kern der Region ein dem Vorbild des türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ entlehntes Herrschaft­smodell: autoritär führen, nationalis­tisch argumentie­ren und neoliberal wirtschaft­en. Demokratie sei für sie „nur ein Mittel zum Zweck, nicht das Ziel“.

Die sich mehrenden Missstände in ihrem Wartesaal wurden von der mit sich selbst beschäftig­ten EU trotz pflichtsch­uldiger Ermahnunge­n in den vergangene­n Jahren eher beiläufig und selektiv wahrgenomm­en. Sowohl

 ?? Reuters ?? „Dieses Volk benötigt Hilfe“. Der Spaßkandid­at bei der serbischen Präsidente­nwahl, „Ljubiˇsa Überläufer“, hält den Politikern einen Zerrspiege­l vor.
Reuters „Dieses Volk benötigt Hilfe“. Der Spaßkandid­at bei der serbischen Präsidente­nwahl, „Ljubiˇsa Überläufer“, hält den Politikern einen Zerrspiege­l vor.
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