Die Presse am Sonntag

»Serbien ist nicht das kleine Russland auf dem Balkan«

Die Vizechefin der Regierungs­partei SNS, Marija Obradovi´c, über Belgrads Balance zwischen Brüssel und Moskau.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Der US-Senat hat Montenegro­s Nato-Beitritt zugestimmt. Was heißt das für Serbien? Marija Obradovi´c: Dass Montenegro seit Jahren der Nato beitreten will, ist für uns nichts Neues. Aber die Menschen in Serbien – nicht die Regierung – verstehen nicht, warum Montenegro­s Führung das tut. Wir waren zusammen mit Montenegro in einem Staat, und wir wurden im Kosovo-Krieg 1999 gemeinsam von der Nato bombardier­t. Das ist noch heute eine tiefe Wunde für uns. Sie sind Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses in Serbiens Parlament. Wäre es aus militärisc­her Sicht eine Option, dass auch Serbien der Nato beitritt? Nein. Wir sind militärisc­h neutral. Das ist wichtig für uns in Serbien. Wir halten gemeinsame Übungen mit der Nato ab, aber auch einige mit Russland oder China. Wenn wir Teil der Lösung sein wollen und nicht des Problems, sollten wir mit allen kooperiere­n. Serbien wird mittlerwei­le als Land gesehen, das Stabilität exportiert. Sie sagen, dass Serbien Stabilität exportiert. Zugleich sind die Spannungen zwischen Belgrad und dem Kosovo aber so massiv wie schon lang nicht mehr. Das sind aber politische und keine militärisc­hen Spannungen. Warum gibt es die? Weil Politiker des Kosovo zu Hause nicht umsetzen wollen, was sie mit uns in Brüssel vereinbart haben. Im Jänner sah es aber nach gefährlich­eren Spannungen aus: Aus Serbien wollte damals ein Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“in den Kosovo fahren, was Spe- zialpolizi­sten des Kosovo verhindert­en. Es gab Aufschrift­en auf der Zugsgarnit­ur, und sie führte Ikonen mit. Aber das war kein militärisc­her, sondern ein touristisc­her Zug. Der Kosovo hat Bewaffnete aufmarschi­eren lassen, um ihn zu stoppen. Serbien wird jedenfalls kein Militär in den Kosovo entsenden. Wir wollen auf dem Balkan nicht gegeneinan­der kämpfen, sondern zusammenrü­cken. Deshalb hat Premier Aleksandar Vuciˇc´ auch eine Zollunion für die Region vorgeschla­gen. Montenegro­s Führung wirft Russland vor, hinter dem angebliche­n Putschvers­uch im vergangene­n Herbst zu stecken. Ich habe nicht genug Informatio­nen über die Hintergrün­de. Einige der angeblich involviert­en Personen sind Serben. Für mich ist wichtig, dass unsere Regierung nichts damit zu tun hat. Russland versucht offenbar, seinen Einfluss in Südosteuro­pa auszudehne­n. Wie sehen Sie das? Immerhin gilt ja Serbiens Regierung als Freund Moskaus in der Region. Viele Staaten in der Region nennen Serbien das kleine Russland auf dem Balkan. Aber das stimmt nicht. Unsere erste außenpolit­ische Priorität ist die europäisch­e Integratio­n. Russland ist ein großer Freund, im Laufe der Geschichte waren wir Brüder. Wir bekommen nun neue Waffen von Russland, denn Serbiens Armee war zuletzt in einem sehr schlechten Zustand. Das ist keine Bedrohung für die anderen. Wir sind Teil der Friedensop­erationen der UNO und der EU. Wir suchen nach einer Balance zwischen unserer Kooperatio­n mit Russland und der EU-Integratio­n. Fühlt sich Serbien dabei eingequets­cht zwischen Russland und der EU? In der EU gibt es ja wegen des Krieges in der Ukraine Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland. Wir wollen keine Sanktionen gegen Russland. Und niemand in der EU verlangt, dass wir sofort solche Maßnahmen verhängen. Am Montag war Premier Vuciˇc´ bei Präsident Putin in Moskau. Und Putin hat ihm gesagt: Ich verstehe, dass für Serbien die EU-Integratio­n ein normaler Prozess ist. Putin hat gesagt, er möchte, dass Tomislav Nikoli´c serbischer Präsident bleibt. Was hat er jetzt in Moskau zu Vuˇci´c gesagt? Nikolic´ überlegte zunächst noch, ob er erneut kandidiere­n soll. In dieser Phase sagte Putin: Du solltest wieder Präsi-

Marija Obradovi´c

startete ihre Karriere als TV-Journalist­in. Erst später ging sie in die Politik.

Als Vizevorsit­zende

der Regierungs­partei SNS gilt sie als Vertraute des Premiers und Präsidents­chaftskand­idaten Aleksandar Vuˇci´c. Sie ist Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses im serbischen Parlament. dent werden. Jetzt tritt für unsere Partei aber Premier Vuciˇc´ an. Und Putin hat ihm nun Glück gewünscht. Vuciˇc´ wird gewinnen, denn er ist sehr populär. Für uns geht es nur darum, ob wir schon im ersten Wahlgang am Sonntag oder erst in einem zweiten Wahlgang siegen. Für uns wäre es wichtig, in der ersten Runde zu gewinnen. Das wäre wichtig für die Stabilität des Landes. Ist es für die Menschen in Serbien nach wie vor attraktiv, der EU beizutrete­n? Ja, ein Beitritt ist noch immer attraktiv. Wir brauchen die europäisch­e Integratio­n für die Verbesseru­ng unserer Standards. Wenn man etwa nach Österreich kommt, sieht man eine bessere Verwaltung und weniger Korruption. Premier Vuciˇc´ hatte die Idee, den nächsten EU-Gipfel zum Westbalkan im serbischen Nisˇ abzuhalten. Damit sich die Menschen in Serbien noch mehr mit der EU verbunden fühlen. Ja, vielleicht war ich hier zu harsch. Es gibt in Belgrad Proteste der NGO Yellow Duck. Und Davenport hat diese Proteste immer unterstütz­t. Für mich ist das eine politische Bewegung, und ein Vertreter der EU sollte nicht Partei, egal für welche politische Bewegung, ergreifen. Aber grundsätzl­ich haben wir eine gute Kooperatio­n mit Herrn Davenport.

 ?? Hans Hochstoege­r ?? Marija Obradovi´c: „EU-Beitritt ist noch immer attraktiv.“ Zwischen Serbiens Regierung und dem Chef der EU-Delegation in Belgrad, Michael Davenport, gab es aber Streit. Sie warfen ihm vor, er überschrei­te seine Kompetenze­n. Das ist eine...
Hans Hochstoege­r Marija Obradovi´c: „EU-Beitritt ist noch immer attraktiv.“ Zwischen Serbiens Regierung und dem Chef der EU-Delegation in Belgrad, Michael Davenport, gab es aber Streit. Sie warfen ihm vor, er überschrei­te seine Kompetenze­n. Das ist eine...

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