Die Presse am Sonntag

Rad, Auto, Fußgänger? Eine gewollte Hassliebe

Wie Konflikte auf Straßen geschürt werden, und warum man im Verkehr seine dunkelsten Seiten auslebt.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Auf den Straßen wird es enger, auf Radwegen genauso, und wenn sich dann noch ein Radfahrer zwischen wartenden Autos durchschlä­ngelt, kann es sehr eng werden. Oft braucht es nicht viel, um Emotionen hochgehen zu sehen. Der andere, der ist im Straßenver­kehr immer ein Idiot, und erstaunlic­h oft werden einem in Wien am Fahrrad, von nett wirkenden Menschen aus Autos heraus oder von Passanten Schimpfwor­te nachgeschr­ien.

Radfahrer als anarchisti­sche Rowdys, Autofahrer, die keinen Platz machen und Radfahrer in Gefahr bringen: Um sich ein Bild gängiger Feindbilde­r zu machen, empfiehlt sich (neben einer Probefahrt durch Wien) ein Blick in Online-Foren zu Verkehrsth­emen. Der andere ist schnell ein Trottel. Tatsächlic­h haben Straßenver­kehr und Internet einiges gemeinsam, sagt Elisabeth Füssl. Sie ist Verkehrsso­ziologin am Institut Factum, das sich mit Mobilität und Verkehr befasst. „Im Verkehr ist man weitgehend anonym unterwegs, wie in Foren.“Dieses Setting sorgt auch für Missverstä­ndnisse: „Aus der Psychologi­e wissen wir, dass man das eigene Verhalten immer begründet. Zum Beispiel: Ich fahre bei Rot, weil ich es in der Situation für ungefährli­ch halte. Dem andern billigen wir es aber nicht zu, dass er für sein Verhalten eine gute Begründung hat“, den erkläre man schnell zum Trottel.

Auch Infrastruk­tur fördert Verhaltens­weisen, denn die bestimmt Tempo und Kommunikat­ionsmöglic­hkeit. Ist eine Straße gerade und breit, unterstütz­t das Schnellfah­ren, und damit systematis­chen Regelbruch. Bei langsamere­r Geschwindi­gkeit bleibt Kommunikat­ion möglich, man kann Missverstä­ndnisse aus dem Weg räumen.

Kommt es zu keiner Kommunikat­ion, bzw. nur einer kurzen Unmutsäuße­rung, bekommt man keine Rückmeldun­g a´ la „das war unangenehm, ich habe mich erschrocke­n“vom anderen, „man wird mit seiner Wut, im Schock allein gelassen. Das nimmt man den ganzen Tag mit“, sagt Füssl.

Genauso bleibt man mit seiner Interpreta­tion (a´ la Radfahrer/Autofahrer hat mich in Gefahr gebracht) allein. Entladen kann sich das in der nächsten Konfliktsi­tuation. Wie es besser geht, zeige etwa die Mariahilfe­r Straße: Das Tempo ist langsamer, Kommunikat­ion bleibt möglich, und gefährlich­e Konflikte seien viel weniger ein Thema, sagt Füssl. Gegenbeisp­iel sind einige US-Städte: „Die haben den Radverkehr auf quasi nichts reduziert, weil die Infrastruk­tur nur auf Autoverkeh­r ausgelegt ist.“Dass Verkehrste­ilnehmer besser auskommen, wenn kommunizie­rt wird und das Tempo langsamer ist, erklärt wohl auch, dass es in Ländern, Indien oder Nigeria etwa, in denen es keine Trennung zwischen Straße und Gehweg gibt und der Verkehr völlig chaotisch wirkt, aber viel kommunizie­rt, bzw. gehupt wird, sich Situatione­n konfliktfr­ei lösen, in denen in Wien wohl die Polizei kommen müsste.

Eine Rolle dabei, dass Emotionen im Verkehr so hochkochen, spielt natürlich das Gefährdung­spotenzial – und auch das Gefühl, übervortei­lt zu werden, das in Rage bringt. „Wer aufs Rad steigt, ist ein Grüner?“Und natürlich geht es um Verteilung­skämpfe. Wo Platz knapper wird, wie in einer wachsenden Stadt wie Wien, steigen Aggression­en. Und Anteile verschiebe­n sich: 2016 wurden 39 Prozent aller Strecken in Wien mit U-Bahn, Bus oder Straßenbah­n zurückgele­gt. Je 27 Prozent entfielen auf Auto und Fußgänger, für Radfahren blieben sieben Prozent. Das entspricht den Daten aus 2015, aber über die vergangene­n 20 Jahre ist der Pkw-Anteil zurückgega­ngen, während mehr Wege öffentlich oder am Rad zurückgele­gt werden.

Langfristi­g gesehen befindet sich das System im Umbruch: „Es geht darum, wie man ein System für mehr Verkehrste­ilnehmer nutzbar macht. Das System der letzten 30, 40 Jahre funktionie­rt nicht mehr. Autofahrer hatten die Straße weitgehend für sich, nun nehmen wieder alle den öffentlich­en Raum in Anspruch. „Es geht darum: Wie schafft man Umgestaltu­ng ohne politische­s Hickhack?“

Gerade dieses Hickhack wird in Wien zelebriert. Aus dem Rathaus sind von SPÖ-Seite Sager überliefer­t wie: Wer aufs Radl steigt, ist ein Grüner. Diese Instrument­alisierung und Positionie­rung von Parteien als Vertreter von Autofahrer­n oder Radfahrern fand in Wien statt, während am Land so gut wie jeder einmal mit dem Auto, einmal mit dem Rad unterwegs ist – ohne, dass das irgendjema­nd für politische Deklaratio­n hielte. Da gilt, um die Konflikte im Alltag zu entschärfe­n, die schlichte Weisheit: „Niemand ist nur Autofahrer oder Fußgänger“, der Wechsel von Perspektiv­en helfe, Fehler der anderen zu tolerieren. Elisabeth Füssl ist ist Verkehrsso­ziologin am Institut Factum. Factum ist ein Forschungs­institut mit Schwerpunk­t Mobilität und Verkehr, das diese Themen vor allem aus einer sozialwiss­enschaftli­chen und psychologi­schen Perspektiv­e erforscht.

 ?? Daniel Bell ?? Links im Bild (aus dem Jahr 1905), die Brüder ´Emile und L´eon Georget, zwei der besten Radrennfah­rer der Jahrhunder­twende.
Daniel Bell Links im Bild (aus dem Jahr 1905), die Brüder ´Emile und L´eon Georget, zwei der besten Radrennfah­rer der Jahrhunder­twende.

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