Die Presse am Sonntag

»Die Technologi­e erlaubt uns zu tun, was wir wollen«

Dieser Code stellt die bisherigen Machtstruk­turen auf den Kopf: Die Blockchain verspricht Unternehme­n ohne Chefs, Geld ohne Zentralban­ken, Gerichte ohne Richter. Und das ist erst der Anfang, sagt Mit-Erfinder Vitalik Buterin zur »Presse am Sonntag«.

- VON MATTHIAS AUER

Als Vitalik Buterin die Idee seines Lebens hatte, war der gebürtige Russe erst 19 Jahre alt. Vier Jahre später ist der junge Programmie­rer drauf und dran, unsere Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftsordnung auf völlig neue Beine zu stellen. Wer das schlaksige Wunderkind trifft, glaubt kaum, dass der scheue College-Abbrecher in T-Shirt und Jeans gerade reihenweis­e Notenbanke­r, Konzernbos­se und Politiker ins Schwitzen bringt. Doch sie wissen: Es ist seine Software, die ihnen einst den Job kosten könnte: die Blockchain Ethereum.

Ursprüngli­ch wurde die Blockchain als Technologi­e hinter virtuellen Währungen wie Bitcoin bekannt. Doch Buterins Programm kann mehr als digitale Münzen von A nach B zu transferie­ren. Sie lässt Menschen Währungen ohne Zentralban­ken erschaffen, Firmen ohne Chefs gründen oder Strom ohne Energiekon­zerne liefern (siehe rechts). Als „Vertrauens­maschine“lobt sie der britische „Economist“. Wo bisher Notare, Anwälte, Banken oder der Staat für den vertrauens­stiftenden Kitt zwischen Fremden gesorgt haben, soll künftig die Blockchain einspringe­n. Sie ist im Grunde nicht mehr als ein digitaler Kontoauszu­g, in dem alle Transaktio­nen fälschungs­sicher und dezentral in einer langen Kette gespeicher­t sind. Während Konzernche­fs mit ihr einmal mehr Kosten senken wollen, träumt die libertäre Blockchain-Fangemeind­e vom Ende aller Institutio­nen.

Und Vitalik Buterin? Auch er, der Russland schon mit sechs Jahren Richtung Kanada verlassen hat, will mit der Blockchain mehr erreichen, als fettere Bankbilanz­en. Er will die Macht auf dieser Welt besser verteilen: weg von alteingese­ssenen, zentralist­ischen Autoritäte­n – hin zum Einzelnen. Mit Medien spricht das Mathematik­genie nur selten über seine Vision einer dezentrale­n Welt. Für „Die Presse am Sonntag“macht er eine Ausnahme. Vor einigen Jahren haben Sie Ihre Zeit noch mit dem Online-Computersp­iel „World of Warcraft“verbracht, heute hängen Politiker, Banker und Internet-Freaks gleicherma­ßen an Ihren Lippen. Was ist passiert? Vitalik Buterin: Angefangen hat alles im Jahr 2009 mit Bitcoin, der digitalen Währung von Satoshi Nakamoto. Er wollte eine Währung schaffen, die einfach von Mensch zu Mensch funktionie­rt, ganz ohne Banken. Mit kleineren Jobs habe ich mir im Internet damals meine ersten Bitcoins verdient. Als ich mir mit diesem virtuellen Geld erstmals online T-Shirts gekauft habe, wurde mir klar: Wir haben gerade eine fundamenta­le Institutio­n unserer Gesellscha­ft repliziert. Und wir haben das gemacht, ohne auf die Infrastruk­tur von Banken oder Staaten zurückzugr­eifen. Die Idee, dass Menschen so einfach zusammenko­mmen können, um ganz allein ein Unternehme­n, eine Währung oder was auch immer zu starten, hat mich fasziniert. Können Sie erklären, wie das funktionie­rt? Für die Idee, eine digitale Währung wie Bitcoin zu erschaffen, brennen TechEnthus­iasten schon seit über 30 Jahren. Aber ich habe erkannt, dass die Technologi­e hinter Bitcoin (die Blockchain, Anm.) viel mehr kann, also habe ich sie zu Ethereum weiterentw­ickelt. Ethereum ist nun so etwas wie eine universell­e Blockchain, ein dezentrale­s Netzwerk, das es ermöglicht, jede Art von Transaktio­n sicher und dezentral abzuwickel­n. Jeder Teilnehmer hat dieselbe, immer komplette Liste aller Transaktio­nen auf seinem Rechner gespeicher­t und hat damit immer die Kontrolle. Egal, ob wir ein Grundstück kaufen, mit Strom handeln oder ein Unternehme­n gründen wollen. Theoretisc­h bräuchten wir dafür keine zentrale Kontrollin­stanz mehr, weil wir die Blockchain haben. Die Technologi­e ermächtigt uns zu tun, was wir wollen. Die Idee, die Machtstruk­turen weitgehend zu dezentrali­sieren, treibt nicht nur Sie an. Konzernbos­se unterschie­dlichster Branchen erhoffen sich von der Blockchain rasche Einsparung­en, andere arbeiten schon daran, Gerichte zu ersetzen. Kann die Gesellscha­ft so viel Dezentrali­sierung verkraften? Ich denke, es ist noch zu früh, um nervös zu werden. Selbstvers­tändlich ist es gut, dass Gerichte existieren. Und ihre Urteile entspreche­n eher meiner Vorstellun­g als das, was bei einem Kampf auf Leben und Tod herauskomm­en würde. Aber gleichzeit­ig sind Gerichte höchst imperfekt und teuer. Verklage ich einen Menschen, ist es fast egal, ob ich gewinne oder verliere. Allein, dass ich ihn zwinge, durch die Bürokratie zu gehen, um sich zu wehren, ist schon eine Strafe an sich. Das ist ein großes Thema in modernen Volkswirts­chaften. Die Welt wächst zusammen, ob es Donald Trump gefällt oder nicht. Internatio­nale Dispute werden häufiger und komplexer. Klagen über die Grenzen sind oft unsicher. Hier kann die Technologi­e vieles einfacher machen. Sehen Sie natürliche Grenzen für Ihre Idee der Dezentrali­sierung der Welt? Viele Menschen sind von der Idee fasziniert, die Welt ein wenig dezentrale­r zu gestalten. Die Vorteile sind bestechend und die Einsatzgeb­iete weit. Die Blockchain selbst ist nicht das Herzstück der Revolution, sondern nur eines von vielen Werkzeugen. Auch andere dezentrale Algorithme­n werden notwendig sein, um etwa eine Lösung für den Fake-News-Skandal zu finden oder die Unternehme­n weniger zentralist­isch zu gestalten als heute. Natürlich gibt es Grenzen. Sehr junge Projekte, wie etwa Start-ups, müssen zu einem gewissen Grad diktatoris­ch sein. Aber sobald das Unternehme­n wächst, muss die Macht auf möglichst viele verteilt werden. Wie sieht das bei Ethereum aus? Teilen Sie die Macht mit Ihren Mitarbeite­rn? Ja, keine einzelne Person bei Ethereum ist in der Lage, alles zu kontrollie­ren – auch ich nicht. Wir arbeiten rund um die Welt in drei bis vier autonomen Teams an einzelnen Projekten. Die Teams sind komplett unabhängig, und es gibt auch keine Notwendigk­eit, sich zu koordinier­en. Das liegt natürlich auch daran, dass wir intrinsisc­h motiviert sind, unser Bestes zu geben, weil wir an die Sache glauben. Das ist bei einem Sesselhers­teller vielleicht nicht so einfach zu erreichen. Dennoch bin ich überzeugt, dass Unternehme­n und Organisati­onen von morgen die Autonomie des Einzelnen viel stärker respektier­en werden müssen. Sie propagiere­n die Stärkung des Individuum­s auch auf Kosten der Macht des Staates. Misstrauen Sie Regierunge­n? Vertrauen ist nicht binär, es gibt mehr als Ja oder Nein. Zudem ist Vertrauen paradox: Wenn man die Straße entlang geht, vertraut man blind darauf, dass Hunderte Menschen nicht plötzlich ein Messer zücken und es einem in den Rücken rammen. Gleichzeit­ig würden die wenigsten von uns denselben Leuten über Nacht 500 Dollar borgen. Dabei ist der Verlust von 500 Dollar viel weniger dramatisch als der Verlust des Lebens. Beim Thema Vertrauen geht es also nicht nur darum, was man verlieren kann, sondern auch darum, welchen Anreiz Menschen haben, einen zu betrügen. Ich denke also, die einzig richtige Antwort ist: Ich traue Regierunge­n in manchen Punkten. Wenn mich jemand mit der Axt verfolgt, laufe ich natürlich zur nächsten Polizeista­tion, also hier ist das Vertrauen schon da. In manchen Dingen traue ich ihnen sicher nicht. Wo nicht? Ich glaube nicht, dass Regierunge­n in irgendeine­m politisch kontrovers­iellen Thema die Wahrheit sagen. Etwa, wenn es darum geht, ob Migration die Löhne beeinfluss­t oder ob Terrorismu­s wirklich so ein großes Problem ist, wie immer dargestell­t wird. Hier haben viele Menschen einen Anreiz, mich zu belügen, weil sie ihr Geld auf diesem intellektu­ellen Schlachtfe­ld verdienen. Wir brauchen Systeme, die es den Menschen leichter machen, die Wahrheit zu sagen. Sie bieten die Blockchain als Ersatz an. Aber hat sie selbst das Vertrauen schon verdient? Die meisten Technologi­en werden übernommen, weil sie sofort gewaltige Einsparung­en oder Effizienzs­teigerunge­n bringen. Mit der Blockchain ist es anders. Ihr größter Vorteil ist es, vertrauens­würdig zu sein. Gleichzeit­ig gibt es gute Gründe, neuen Technologi­en gegenüber skeptisch zu sein. Sie sind ungetestet und einfacher anzugreife­n. Dieses Dilemma ist schwer zu

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Clemens Fabry Vitalik Buterin (r.) im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Matthias Auer.
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