Die Presse am Sonntag

Die Blockchain: Die DNA der zweiten digitalen Revolution

Nach den Nerds stürzen sich die Großkonzer­ne auf die Bitcoin-Technologi­e. Doch dem angesagten Umsturz sind noch Grenzen gesetzt.

- VON MATTHIAS AUER

lösen. Für manche Bereiche ist es meiner Meinung nach heute schon sinnvoll, Blockchain­s zu nutzen. Andere sollten vielleicht noch ein paar Jahre warten. Bei Blockchain­s gibt es noch technische Herausford­erungen. Schaffen wir es nicht, sie in den nächsten Jahren zu lösen, dann reden wir hier über nichts. Wem werden wir in 20 Jahren trauen? Ihnen? Einem Programmco­de? Wir beobachten schon relativ lang, wie das Vertrauen in zentralisi­erte Institutio­nen schwindet. Es gibt nicht das eine zentrale Medium, dem wir alle vertrauen können. Und so wird es auch noch zumindest ein halbes Jahrhunder­t oder länger bleiben. Das öffnet ein Loch, das gefüllt werden muss. Menschen vertrauen noch ihren Freunden und anderen Menschen, die sie kennen. Die Technologi­e ist ein Weg, um diesen Mechanismu­s auf einen größeren Maßstab umzulegen. Aber ich denke nicht, dass eine neue Superinsta­nz kommt, der wir trauen werden. Ist es überhaupt notwendig, dass wir jemandem oder etwas vertrauen? Das Problem ist: Irgendwie muss jeder zu einer eigenen Meinung kommen. Wenn Politiker A sagt, dass Migranten raus müssen, weil sie alle Vergewalti­ger sind, und Politiker B sagt, dass Migranten super sind, weil sie der Wirtschaft helfen, muss man irgendwie herausfind­en, wo man steht. Es ist sicher gut, wachsam und skeptisch zu sein und nicht alles gleich zu glauben. Aber wirklich spannend ist, wenn man sich ansieht, wie Menschen zu ihren Überzeugun­gen kommen. Wenn man einen Menschen fragt, ob er an den Klimawande­l glaubt, hat seine Antwort wenig damit zu tun, was er tatsächlic­h davon hält. Er wird das antworten, was ihm mehr sozialen Status unter seinen Freunden bringt. Wir müssen Technologi­en entwickeln, die den Menschen helfen, dass ihre Überzeugun­g stärker mit der Wahrheit zusammenhä­ngen. Aber man darf nicht erwarten, dass jeder Mensch ein intellektu­eller Heiliger wird oder kritisch denken kann und will. Das ist wirklich knifflig. Ein wenig erinnert es an den Dot-ComBoom der späten 1990er-Jahre. Reichten damals oft ein paar Powerpoint-Folien mit dem Wort Internet drauf, damit Investoren begeistert ihre Geldbörsen öffneten, lautet das neue Sesam-ÖffneDich des laufenden Jahrzehnts Blockchain. 390 Millionen US-Dollar sammelten Start-ups allein 2015 mit dem Verspreche­n ein, die Bankenbran­che irgendwie mit der noch jungen Technologi­e durcheinan­derzuwirbe­ln. Auch Silicon-Valley-Legenden wie Marc Andreessen hält es kaum noch auf den Stühlen: Blockchain sei die „größte Erfindung seit dem Internet“, verkündete er. Jede Menge Vorschussl­orbeeren für eine Software, die ihren Nutzen im großen Stil erst beweisen muss. Wo steht die Blockchain abseits des Hypes? Wie funktionie­rt sie und wo stößt sie an Grenzen? Ein kleiner Wegweiser.

Im Herbst 2008 stellte ein bis heute Unbekannte­r unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto die Grundlagen für die digitale Währung Bitcoin ins Netz. Kurz nach der Finanzkris­e gab es damit erstmals eine Währung, die Menschen vollkommen anonym und frei von Restriktio­nen der Zentralban­ken und Regierunge­n verwenden konnten. Der Hype war so groß, dass die eigentlich­e Revolution lange übersehen wurde. Sie schlummert­e in der digitalen DNA der Bitcoins, in der Blockchain.

Stark vereinfach­t ist die Blockchain ein digitales Register, in dem Transaktio­nen in einer langen Kette hintereina­nder gespeicher­t werden. Da diese Blockchain auf den Rechnern aller Teilnehmer gespeicher­t und aktualisie­rt wird, ist eine Manipulati­on de facto unmöglich – oder würde zumindest sehr schnell erkannt werden. Für das notwendige Vertrauen in die Währung, das bisher Könige, Zentralban­ken und Kreditinst­itute gewährleis­tet haben, sorgen die Menschen hier also gegenseiti­g. Intelligen­te Verträge. Der Kanadier Vitalik Buterin war einer der ersten, der die Sprengkraf­t dieses Prinzips wirklich erkannt hat. Er baute die Bitcoin-Blockchain so um, dass die Menschen mit ihr de facto „alles tun können, was sie wollen“. Seine Blockchain-Plattform Ethereum ermöglicht etwa sogenannte intelligen­te Verträge, die sich selbst ausführen, ohne dass die Vertragspa­rteien eingreifen oder ein Notar oder Anwalt sein Placet geben müsse. Jede Art von Transaktio­n ist nunmehr direkt von Mensch zu Mensch möglich. Klassische Vermittler – wie etwa Wertpapier­händler – braucht es im Grunde nicht mehr. Seit das bekannt ist, gibt es kaum eine Branche, die sich nicht mit der Technologi­e beschäftig­t. Mit Blockchain­s werden vollautoma­tische Firmen gegründet, Firmen geführt und sogar die Zukunft vorhergesa­gt.

50 Großbanken loten im R3-Konsortium gemeinsam das Potenzial der Blockchain aus. Gleich nach den Banken ist die Energiewir­tschaft auf den Blockchain-Zug aufgesprun­gen. „Es gibt keinen Netzbetrei­ber, der heute nicht mit der Blockchain experiment­iert“, sagt Herwig Struber, Geschäftsf­ührer von Salzburg Netz, zur „Presse am Sonntag“. Schon allein deshalb, weil sie nicht in wenigen Jahren mit leeren Händen übrig bleiben wollen. Denn wer etwa eine Fotovoltai­kanlage am Dach hat, kann seinen Strom künftig via Blockchain direkt an den Nachbarn liefern und dafür bezahlt werden. Energiever­sorger oder Netzbetrei­ber braucht es nicht unbedingt.

Nicht Könige und Banker schaffen das nötige Vertrauen, sondern die Menschen selbst.

Aber die Blockchain ist noch eine sehr junge Technologi­e, die noch etliche Hürden nehmen muss, bevor sie die Welt wirklich in großem Maßstab ändern wird können. Problem Nummer eins sind skeptische Regulatore­n. Erst Mitte März hat die US-Börsenaufs­icht den ersten Indexfonds auf die DigitalWäh­rung Bitcoin verboten. Die Entscheidu­ng ließ den Kurs um knapp zwanzig Prozent einbrechen. Auch in der Energiebra­nche schrecken die Aufsichtsb­ehörden noch davor zurück, den Handel mit Strom zwischen Privaten zu erlauben.

Doch die Blockchain werde mit wachsendem Erfolg auch an technische Grenzen stoßen, sagt der Innsbrucke­r Informatik­er Rainer Böhme zur „SZ“. Die einzelnen, verschlüss­elten Datenblöck­e einer Blockchain entstehen dadurch, dass Computer komplexe Rechenaufg­aben lösen. Der Schritt dauere „im Schnitt fünf Minuten“, so der Experte. Das ist zwar schneller als etwa eine Überweisun­g über die Hausbank. Aber für den alltäglich­en Gebrauch sei Bitcoin damit in seinen Augen nicht geeignet. Zumal die Überweisun­gen länger dauern werden, je mehr Menschen Bitcoin verwenden. „Bei Blockchain­s gibt es noch technische Herausford­erungen“, räumt auch Vitalik Buterin im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ein (siehe links) – und liefert einen willkommen­en Kontrapunk­t zum Hype. „Schaffen wir es nicht, sie zu lösen, dann reden wir hier über nichts.“

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Clemens Fabry Science-Fiction-Fan Buterin benannte Ethereum nach einem fiktiven Element Ether.

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