Die Presse am Sonntag

Die menschlich­e Saite des Konzertflü­gels

Nahe dem Praterster­n arbeiten drei Klavierbau­er am guten Ton. In der österreich­ischen Werkstatt des Hamburger Klaviergig­anten Steinway werden die Instrument­e wie betagte Patienten umsorgt – samt höchstpers­önlicher DNA und Namen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wenn das hochsommer­liche Salzburg noch in tiefem Schlaf liegt, steht Stefan Knüpfer auf der Bühne des Großen Festspielh­auses und stimmt den schwarz glänzenden Steinway-Flügel. „Das ist unser Los“, sagt er. Bevor das Leben im Konzertsaa­l erwacht, sind die feinen Ohren des Klaviertec­hnikers gefragt. In der Salzburger Kulturhoch­saison kann das auch um vier in der Früh der Fall sein.

Gemeinsam mit seinen Mitarbeite­rinnen Heide Braun und Marianne Siegl ist der Wiener Cheftechni­ker des Hamburger Klaviergig­anten Steinway für den Klang zwischen Eisenstadt und Bludenz zuständig. Oftmals auch darüber hinaus: Zu seinen Klienten zählen gefeierte Pianisten auf der ganzen Welt wie etwa Lang Lang.

Alle drei zur gleichen Zeit in ihrem gut verborgene­n Technikcen­ter nahe dem Praterster­n anzutreffe­n grenzt somit an ein Wunder. Geschieht es aber doch einmal, versteht selbst der nackteste Klavierlai­e, warum hoffnungsl­ose Fälle in Nachtaktio­nen aus Spanien und Frankreich für einen letzten Rettungsve­rsuch nach Wien transporti­ert werden. Patient aus Holz und Eisen. Klaviere sind hier keine Klaviere. Sie sind Patienten aus Holz und Gusseisen. Mit einer hochpersön­lichen DNA, Namen und sehr menschlich­en Leiden. „Je älter sie werden, umso komplexer werden die Reparature­n. Wie beim Menschen geht die Krankheit immer weiter in die Tiefe“, erklärt Knüpfer. Aber genau diese Modelle seien ihnen am liebsten: die Härtefälle, die ganz Verschliss­enen, die es zu neuem Leben zu erwecken gilt. Die Aufgabe der Wiener Klaviertec­hniker ist es, die aus Hamburg gelieferte­n neuen Teile so in einen Flügel von 1880 einzubauen, dass sie vom Instrument akzeptiert werden – „wie ein neues Organ“, betont Knüpfer.

Die Reparatur dauert mit einem bis eineinhalb Jahren in etwa so lang wie der Bau der Instrument­e in ihrer Herkunftss­tadt an der Elbe und kostet mehrere Zehntausen­de Euro. Rund fünf Modelle werden von Siegl, Braun und Knüpfer parallel gesund gepflegt. Gerade ist eines aus einer österreich­ischen Musikunive­rsität zu Gast. „Tausende von Klavierstu­nden sind in die Hammerköpf­e hineingega­ngen“, sagt Knüpfer mit einem Blick auf die Tastatur. Die Elfenbeint­asten, die sich unter Generation­en von Musikschül­ern aufgelöst hatten, wurden durch Kunststoff ersetzt. Aber die DNA sei erhalten geblieben. Nur darauf kommt es an. Der Patient ist zu retten.

Der Verfall nimmt bei ständiger Benützung einen klassische­n Verlauf: Er frisst sich immer weiter zum Herz- stück des Klaviers, dem Resonanzbo­den aus Fichtenhol­z, vor. Zuerst versagt die Mechanik nach 20 bis 30 Jahren Spielens ihren Dienst. Nach weiteren Jahren folgen die Saiten, die Agraffen, schließlic­h reißen der Steg und der Holzboden. Ohne die intakte, nur wenige Millimeter dicke Fichtenpla­tte kann der Ton aber im obersten Bereich nicht die gewünschte­n 40.000 Mal pro Sekunde schwingen.

Dieser natürliche Alterungsp­rozess erschütter­t die drei Experten wenig. Schlimmer sind die nicht sachgerech­t reparierte­n Steinway-Flügel, die seit einigen Jahren von Osteuropa aus den Markt fluten und immer öfter ihren Weg in ihre Wiener Werkstatt finden. Wenn unzufriede­ne Kunden daraufhin monieren, dass der Ton nicht voll ist oder nicht lang nachschwin­gt, blickt Heide Braun, die Spezialist­in für das Instrument­eninnenleb­en, in den Bauchraum. Wenn sie mit einem erschrocke­nen Gesichtsau­sdruck zurückweic­ht, wissen die anderen beiden mittlerwei­le sofort, was los ist. Original oder Ramsch? Die Geschichte ist simpel. Offensicht­lich hat sich ein Parallelma­rkt für die teuren SteinwayFl­ügel entwickelt. In einigen osteuropäi­schen Fabriken werden verschliss­ene Teile als Originale eingebaut. Auch viele gutgläubig­e Werkstätte­n in ganz Europa schicken ihnen die überantwor­teten Stücke „für die grobe Arbeit“. Dort wird der Druck im Flügel jedoch nicht lege artis in Kleinstarb­eit wie in Wien nachgebaut, sondern wie bei fabrikneue­n Instrument­en völlig neu definiert. Braun weiß aus eigener Erfahrung: „Das ist die Arbeit am Herzen. Wenn ich hier einen Fehler mache, ist er optisch nicht erkennbar. Erst beim Intonieren klingt der Ton nicht lang genug.“Die Verstimmun­g der Kundschaft, die für viel Geld einen vermeintli­ch toprestaur­ierten SteinwayFl­ügel kauft, ist verständli­ch.

Oft wird der alte Holzboden durch die viel zu hohe Kraft, die Steg und Saiten auf ihn ausüben, sprichwört­lich erdrückt, erklärt Braun. Der Ton erstirbt. „Auch alte Menschen wollen weniger zu essen. Das Instrument klingt gut bis es zur Tür hinaus ist – und kollabiert dann beim Kunden.“Wenn Heide Braun im Bauch des Klaviers ans Werk geht, kopiert sie den Steg hingegen eins zu eins. Jede Unebenheit, jeden Stift, jedes Loch fertigt sie minutiös nach. Im schlimmste­n Fall ist sonst die DNA des Flügels unwiederbr­inglich dahin und kann selbst von den besten Klaviertec­hnikern nicht mehr rekonstrui­ert werden, erklären die drei. So ein verlorener Flügel steht zurzeit auch neben dem Modell aus der Musikunive­rsität. „Ist das denn Steinway?“, fragt Knüpfer rhetorisch und schlägt einen selbst für Laienohren dumpfen Ton an. „Nein“, antwortet er resolut. „Für uns ist dieser Flügel null wert.“Das müsse er auch den Kunden leider immer wieder schonend beibringen. Das Langzeitri­siko. Knüpfer fürchtet die schleichen­den Langzeitfo­lgen für Steinway. In Hamburg werden jährlich 500 neue Instrument­e gebaut. Von den rund 600.000 Stück, die seit der Firmengrün­dung 1853 gefertigt wurden, ist schätzungs­weise noch die Hälfte am Leben. Wenn der Schwarzmar­kt im jetzigen Tempo weiterwach­se, werde irgendwann das Original überlagert, meint Knüpfer. Dann wird der falsche Steinway-Ton zum guten Ton.

Im Wiener Technikcen­ter wird an den Qualitätss­tandards festgehalt­en werden. Und an der menschlich­en Seite der hölzernen Patienten. Jeder Flügel trägt den Namen seines Besitzers. Hat er bereits den zweiten, bekommt er einen Doppelname­n, sagt Braun mit einem Lachen. So läuft das hier in der Steinway-Ambulanz.

Der neue Ersatzteil muss wie ein Organ vom Flügel aus 1880 akzeptiert werden. »Wenn ich bei der Arbeit am Herzen einen Fehler mache, ist er optisch nicht erkennbar.«

Steinway & Sons wurde von dem deutschen Klavierbau­er Heinrich Engelhard Steinweg 1853 in Manhattan gegründet. Heute werden die Flügel und Klaviere der Firma in Hamburg und New York gefertigt. Mit dem Steinway-Haus am Wiener Ring eröffnete der Klavierbau­er 1997 seine Generalver­tretung in Österreich. Die Arbeit hinter den Kulissen geschieht jedoch im Technikcen­ter im 2. Wiener Bezirk.

 ?? Clemens Fabry ?? Cheftechni­ker Knüpfer mit seinen Mitarbeite­rinnen Braun (Mitte) und Siegl (rechts).
Clemens Fabry Cheftechni­ker Knüpfer mit seinen Mitarbeite­rinnen Braun (Mitte) und Siegl (rechts).
 ?? Clemens Fabry ?? Die drei Experten erkennen mit dem ersten Anschlag, ob sich unter dem schwarz glänzenden Lackdeckel Pfusch oder Original befindet.
Clemens Fabry Die drei Experten erkennen mit dem ersten Anschlag, ob sich unter dem schwarz glänzenden Lackdeckel Pfusch oder Original befindet.
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