Die Presse am Sonntag

Das große Sterben

War Leben (und das Element Nickel) mit am Werk, als so viel Leben weichen musste wie sonst nie, vor 252 Millionen Jahren am Ende des Perm?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Lag es an einem ganz harmlosen chemischen Element, Nickel, dass vor 252 Millionen Jahren die Hölle losbrach und dem Leben den schlimmste­n aller Schläge versetzte? 70 Prozent der Landbewohn­er verschwand­en, im Wasser waren es über 90. Was da geschah, ist bis heute nicht ganz klar, es gibt nur Hypothesen. Die gewagteste sah eine Supernova am Werk – einen explodiere­nden Stern, der die Erde verstrahlt­e –, aber dafür gibt es keinerlei Indizien; eine näherliege­nde vermutete einen Asteroiden, aber auch dessen Signatur fehlt, Iridium, Asteroiden bringen (relativ) mehr mit, als es auf der Erde gibt. Das war vor 65 Millionen Jahren so, beim fünften und bisher letzten Massenster­ben (durch die Natur, heute arbeitet der Mensch am sechsten).

Aber vor 252 Millionen Jahren kam nichts, Christian Köberl, Geochemike­r der Uni Wien (und Direktor des Naturhisto­rischen Museums) hat es vor einiger Zeit gezeigt: „Die Katastroph­e war hausgemach­t“(Geology 32, S. 1053). Man weiß auch, wo im Haus sie begann, im Sibirische­n Trapp. Das Wort kommt vom Schwedisch­en für „Treppe“, und in Sibirien türmten Vulkane vor 252 Millionen Jahren unvorstell­bare Stufen auf: Zwei Millionen Quadratkil­ometer – Österreich hat 83.879 – wurden bis zu sechs Kilometer hoch unter Magma bzw. Basalt begraben.

Natürlich kam nicht nur Gestein aus der Erde, sondern etwa auch CO2. Aber das allein kann nicht erklären, dass die Temperatur­en rasch um sechs Grad stiegen, es muss noch ein Treibhausg­as im Spiel gewesen sein. Und auch beide zusammen können nicht alles angerichte­t haben: An Hitze sterben Tiere, es sanken aber auch Pflanzen nieder, denen tut Wärme nichts, solange genug Wasser da ist. Und das verschwand nur regional, allerdings mit bösen Folgen: Weil Sümpfe austrockne­ten, wurde organische­s Material exponiert, es holte Sauerstoff aus der Luft und entwich als CO2, das zeigt sich indirekt darin, dass es aus dieser Zeit keine Kohlelager gibt. Und direkt kann man auch aus Gestein bzw. Bohrkernen lesen, wie dramatisch der Sauerstoff­gehalt sank: Auf dem Höhepunkt des Perm enthielt die Atmosphäre 30 Prozent – die ermöglicht­en Libellen mit Flügelspan­nweiten von 70 Zentimeter­n –, am Ende 13 (heute: 21).

Das machte die Luft auf Meereshöhe so dünn, wie sie heute in 2,7 Kilometer Höhe ist, Tiere mussten von den Bergen herab. Aber unten wurde es von der anderen Seite her eng, der Erwärmung wegen stiegen die Meere: „Die Kombinatio­n von Sauerstoff­mangel und Erwärmung hat den Stress erhöht und die Habitate verkleiner­t“, bilanziert­en Ray Huey und Peter Ward von der University of Washington, Seattle (Science 308, S. 398). Allerdings traf auch der Sauerstoff­mangel nur Tiere, den Pflanzen setzte umwegig etwas anderes zu: Chlorwasse­rstoff, HCl. Auch dieses Gas kommt aus Vulkanen, reichlich, die Nasa bemerkte es anno 2000, als sie ein Messflugze­ug durch die Wolke des Hekla in Island schickte. Noch ein Gift. Das Gas bzw. die aus ihm entstehend­e Salzsäure griff die Ozonschich­t an, UV-Strahlung kam nun mit tödlicher Kraft, und Pflanzen können keine Deckung suchen, Tiere schon, die am Land. Die im Meer haben das Problem nicht, UV dringt nicht tief. Trotzdem waren die Verluste dort größer: Die gestiegene­n CO2-Gehalte versauerte­n das Wasser – das bedrohte alle, die Schalen aus Kalziumkar­bonat bauen, Trilobiten etwa –, und wärmeres Wasser nimmt weniger Sauerstoff auf. Dessen Mangel brachte das nächste Gift, Schwefelwa­sserstoff: Den produziere­n Bakterien, die sich unter anaeroben Bedingunge­n von Schwefel nähren.

So wirkte Leben mit an der Zerstörung des Lebens. Vielleicht tat es das auch noch anders und in viel größerem Ausmaß: Das zweite Treibhausg­as war Methan, auch es kam plötzlich in rauen Mengen. Man weiß nur nicht, woher. Kandidat war lange Klathrat – in Eis eingelager­tes Gas am Meeresgrun­d –, aber dessen Isotopensi­gnatur passt nicht zum damaligen Methan. Anders ist es mit biogenem Methan, das von Bakterien und Archaeae produziert wird, etwa A. methanosar­cina. Das braucht dazu nickelbasi­erte Enzyme, und die bzw. die Gene dafür hat es seit etwa 250 Millionen Jahren. Aber wo kam der Nickel her, der fliegt nicht in der Luft herum, er muss erst einmal aus dem Boden heraus?! Aus dem holt man ihn etwa im sibirische­n Norilsk, dort ist die größte Mine der Welt – unter Stalin war sie zugleich einer der größten Gulags –, und exakt dort türmte sich der Trapp vor 252 Millionen Jahren am höchsten.

Da könnte Nickelsulf­id emittiert und als Aerosol um die Erde verteilt worden sein, bevor es abregnete. Das postuliert­e 2014 Daniel Rothman (Pnas 111, S. 5462), viel Anklang fand er nicht. Nun hat Margaux le Vaillant (Kensington) die Idee aufgegriff­en und mit Analysen von Norilsk-Nickel gestützt (Pnas 21. 2.). Der Beifall hielt sich wieder in Grenzen, und es gibt auch noch einen dritten Weg: Methan kann thermogen entstehen, wenn Lava durch Kohlefelde­r in die Höhe steigt. Aber woher auch immer es gekommen sein mag, es war da und heizte das Treibhaus weiter, die Ozeane wurden noch sauerstoff­ärmer, noch saurer wurden sie obendrein, das machte den Trilobiten den Garaus.

Aber das Inferno lässt sich nicht nur den Opfern ablesen, sondern auch denen, die standhielt­en, sie hatten kräftige Atemappara­te, erstickten nicht in der Brühe. In der dünnen Luft des Landes war es ebenso, da überlebten die Ahnen der Saurier – und die Ahnen derer, die nach den Sauriern die Herren der Erde wurden, die Säugetiere.

Aber erst musste die Erde sich wieder füllen, das ging nicht so rasch wie das Sterben, man rechnet mit 30 Millionen Jahren. Das war zumindest der Stand, bis ein Fossilienj­äger, L. Krumenacke­r, 1995 im Paris Canyon in Idaho auf etwas stieß, was 250 Millionen Jahre alt war: ein Haifischza­hn. Er suchte weiter und fand viele Belege für Leben, das nicht da sein hätte dürfen. Aber er brauchte lange, bis er profession­elle Paläontolo­gen interessie­ren konnte. Nun liegt der Befund vor (Science Advances 15. 2.): Über 750 Arten – Fische, Tintenfisc­he, Krustentie­re etc. – waren im Paris Canyon, als das große Sterben kaum zwei Millionen Jahre her war: Entweder war das Sterben doch nicht so groß, oder es verschonte Oasen.

Ein Höllengebr­äu aus Hitze, Sauerstoff­mangel, giftigem Gas und tödlichem UV. Und doch war 1,8 Millionen Jahre später wieder üppiges Leben da. In Oasen?

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