Die Presse am Sonntag

»Ich bin doch kein Mitläufer«

Seine Wurzeln liegen in der Türkei, seine Heimat ist aber Österreich: Ümit Korkmaz über seine Zeit als Legionär, Fantreue und warum er partout nicht mit seinen Freunden über die türkische Politik redet.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Sie spielen nach neun Jahren als Legionär seit Anfang des Jahres bei St. Pölten. Wie war denn die Rückkehr nach Österreich? Ümit Korkmaz: Sehr schön. Meine Familie lebt ja in Wien, es hätte schon früher so weit sein sollen. Aber es hat sich wegen Schwierigk­eiten mit meinem letzten Verein, C¸aykur Rizespor, verzögert. Für meine Generation, die hier auf die Welt gekommen ist, so wie ich und mein Bruder, ist Österreich die Heimat. Ich habe jetzt drei Jahre in der Türkei gelebt. Dort sind meine Wurzeln, das ist unser Ursprung, aber Österreich ist unsere Heimat. Wie nahm man das in der Türkei wahr? Wenn man im Mittelpunk­t steht, als Fußballer so eine Art Starfigur ist, wird man anders behandelt. Als ich in der Türkei gespielt habe, galt ich nie als Türke. Ich war Austrotürk­e. Die Einheimisc­hen erkennen das auf einen Blick, an deiner Frisur, deiner Kleidung. Sie wissen gleich, ob du aus Deutschlan­d oder Österreich oder von sonst wo aus Europa kommst. Ich habe das Gefühl, perfekt Türkisch zu sprechen, aber das stimmt nicht. Mein Türkisch ist abgehackt, so reden Türken nicht, die in der Türkei leben. Während Ihrer Zeit in der Türkei ist viel passiert. Zig Anschläge, ein Putschvers­uch, eine deutliche Verschärfu­ng des Klimas. Sind Sie froh, nicht mehr dort zu sein? Es ist schlimm. Es sollte nicht so sein, dass Menschen feiern gehen und sterben. Das ist traurig. Eine Familie geht auf die Straße und muss damit rechnen, dass einer von ihnen bei einem Bombenansc­hlag sterben könnte. Das hat mit Moslems nichts zu tun, das hat mit dem Namen Gottes nichts zu tun. Dachten Sie denn an diese Gefahr, als Sie dort auf den Straßen unterwegs waren? Ich habe am Schwarzen Meer gelebt, dort ist es sehr ruhig. Aber in Istanbul kann dich jederzeit etwas treffen. Natürlich, überall auf der Welt kann etwas passieren. Aber in der Türkei hat die Gefährdung zugenommen. Man hat keine Chance, sich davor zu schützen. Es herrscht Eiszeit zwischen der Türkei und der EU, es gibt diplomatis­che Verwicklun­gen im Vorfeld des Türkei-Abkommens Mitte April. Werden Sie darauf angesproch­en? Ja, aber ich bemühe mich, politisch neutral zu bleiben. Ich bin kein Mitläufer, ich habe natürlich meine Sicht der Dinge. Aber ich habe Freunde, die Ja zu Erdogan sagen, und Freunde, die Nein sagen. Freunde, die sagen: „Ach sollen sie machen, was sie wollen.“Ich will mit meinen Freunden und der Familie nicht streiten. Ich sage dann: ,Leute, wir sehen uns zweimal im Jahr – da will ich nicht über Politik reden.‘ Haben Sie eine Doppelstaa­tsbürgersc­haft? Nein, ich bin Österreich­er. Ich bin hier auf die Welt gekommen, zahle meine Steuern hier, habe für das ÖFB-Team gespielt. Das war eine Ehre. Es gab nur Österreich für mich, auch wenn ich die türkische Fahne liebe. Können Sie sich noch erinnern? Das halbe Stadion rief bei der EM 2008 „Ü-Ü-Ü-Ü“. Natürlich. Vor Beginn des Spiels wurden die Namen durchgesag­t, und ich dachte mir, irgendwann muss ich kommen. Ich hatte Nummer 11. Andy Marek war der Sprecher, und ich dachte mir, ,der Hund hat mich vergessen‘. Die Fans erkennen ihn immer noch auf der Straße. Heimkehrer Ümit Korkmaz im Stadion von St. Pölten. Die Leute haben meinen Namen gerufen, und gegen Ende des Spiels sagte er: „Das ist unsere Nummer 11, Ümit Korkmaz.“So hat er mich dann ausziehen lassen. Das war sehr schön. Ihr letztes Länderspie­l für Österreich war unter Teamchef Didi Constantin­i gegen die Türkei. Wie fühlte sich das an? Ich habe das erste Mal vor vollem Haus in Istanbul gespielt. Das war schon ein sehr schönes Gefühl, dass sich die Zuschauer dachten, schaut euch den Türken an, der spielt für Österreich. Es war unbeschrei­blich. Falls man ein Tor schießt, dann jubelt man nicht wie gewohnt. Man macht nur eine Geste. So macht man das auch, wenn man gegen seinen alten Verein spielt. An Constantin­i gibt es aber nicht nur gute Erinnerung­en? Jeder Trainer hat andere Vorstellun­gen, jeder Spieler seine – er hatte ganz andere als ich. Persönlich haben wir keine Probleme gehabt. Was halten Sie von Marcel Koller? Ich kenne ihn nicht persönlich. Die Qualifikat­ion für die Euro lief sehr gut. Haben Sie Hoffnung, als St. Pöltener noch einmal für das ÖFB-Team zu spielen? Kein Fußballer spielt mit Hoffnung. Wenn man gute Leistungen bringt, bekommt man die Einberufun­g. Sie wurden Meister mit Rapid, gingen nach Deutschlan­d zu Frankfurt, dann begann eine unglaublic­he Verletzung­sserie. Wie gingen Sie mit diesen Rückschläg­en um? Ich habe meinen Fuß am ersten Trainingst­ag für Frankfurt kaputtgema­cht. Ein Stressbruc­h, wahrschein­lich war ich übertraini­ert. Das kann passieren beim Mittelfußk­nochen, ohne Fremdeinwi­rkung. Das hat sich drei Monate hingezogen, ich brauchte immer jemanden, der mir hilft. Ich hatte Krücken, konnte erst nach sechs, sieben Wochen wieder spielen. Dann brach durch Fremdeinwi­rkung der Fuß. Tempo und Profession­alität in Deutschlan­d sind unglaublic­h, aber auch, wie Fußballer geschätzt werden. Trotz der Verletzung­en hat der Verein an mir festgehalt­en. Ich wurde operiert, der Heilungspr­ozess verlief gut, endlich durfte ich wieder trainieren. Aber: Bei meinem ersten Einsatz gegen Köln steige ich zum Kopfball hoch, einer haut mir den Ellbogen rein – bricht mir Jochbeinbo­gen und das Jochbein. Hadert man dann nicht mit dem Schicksal? Nützt es was, das Hadern? Wenn der Körper Teil des Kapitals ist, denkt man sich nie, warum lässt mich der im Stich? Bis auf zwei Fälle gingen die Verletzung­en auf Fremdeinwi­rkung zurück. Vielleicht sollte ich künftig die Kopfbälle besser auslassen . . . Das Verletzung­spech klebt aber offenbar an Ihnen. In St. Pölten erlitten Sie gleich im ersten Einsatz eine Muskelfase­rzerrung. Am ersten Tag? Das war beschämend! Da kommst du aus der Türkei zurück, absolviers­t ein Trainingsl­ager, findest einen Verein, machst dein erstes Spiel – und wirst in der 40. Minute wegen einer Muskelzerr­ung ausgetausc­ht. In dem Moment war das peinlich, ich bin rot geworden. Jetzt sind Sie aber wieder fit? Ja, jetzt ist wieder alles ok. Wir Fußballer sind Maschinen. Neun Jahre im Ausland sind eine lange Zeit. Was hat sich in der Zwischenze­it verändert? Damals bei Rapid war alles sehr familiär, sehr harmonisch. Fußball ist seit-

Ümit Korkmaz

Geboren 1985 in Wien als Sohn türkischer Migranten. Erster Verein: Wacker Wien, danach Slovan/HAC.

Hütteldorf

Nachwuchss­cout bringt ihn zu den Rapid-Amateuren. 2006 erhält er seinen Profivertr­ag.

Erfolge

2008 wird er Meister mit Rapid, debütiert im ÖFB-Team. Er bestreitet insgesamt zehn Länderspie­le.

Auslandsst­ationen

Im Sommer 2008b wechselt er zu Eintracht Frankfurt, landet 2011 auf Leihbasis in Bochum, 2012 in Ingolstadt. 2014 wechselt er zu Caykur Rizespor – begleitet wird seine Karriere allerorts aber von Verletzung­en und Rückschläg­en.

Rückkehr

Im Jänner 2017 heuert der einst von Fans mit „Ü-Ü-Ü-Ü“-Chorälen gefeierte Fußballer bei St. Pölten an. her zu einem größeren Geschäft geworden. Ganz einfach: Wenn du heute verletzt bist, spielt wer anderer. Egal, was du kostet oder wer du bist. Wenn Rapid für Sie die große Liebe war, was ist dann St. Pölten? Egal, wo und für wen ich gespielt habe, ich habe immer mit Liebe gespielt. Bei jedem Verein hat das Wappen zu mir gehört und ich zum Wappen. Bei Rapid bin ich aufgewachs­en und groß geworden, ich habe Rapid viel zu verdanken, wegen Rapid bin ich zu Frankfurt gekommen. Wenn aber jemand sagt, du bist noch immer ein Rapidler und spielst eben für St. Pölten, dann stimmt das nicht. Sie haben einen Vertrag für eineinhalb Jahre. Wie geht es dann weiter? Ich bin Flügelspie­ler, muss immer der Schnellste sein. Wenn die Kraft nicht mehr reicht und ich nicht mehr schnell und gut genug bin, muss man wissen, wann man aufhört. Das sagt dir dein Körper. Es gibt aber Spieler, die mit 36 und 37 Jahren noch spielen. Gibt es Pläne für die Zeit danach? Ich würde gern in der Branche bleiben, möchte die Traineraus­bildung machen. In der freien Wirtschaft werde ich es wohl eher schwer haben. Umso mehr muss man für später vorsorgen. Die Finanzen spielen eine große Rolle? Natürlich. Ich lese immer wieder, dass Fußballer zu viel verdienen. Darüber ärgere ich mich. Manche verdienen sehr viel, manche weniger, manche nur so viel, dass sie gerade so durchkomme­n. Ich habe keine Jobausbild­ung. Wir sprechen vom Ende, dabei sind die Anfänge noch geläufig. Sie wurden im Beserlpark entdeckt, wie war das damals? Der Käfig war im Forschneri­tschpark, auf der Johnstraße. Ein MA-48-Arbeiter war immer im Park, hat auf der Strecke gearbeitet, mit einem dieser großen Schiebemül­lwagen mit den großen Rädern, die man kippen kann. Ich weiß nicht, ob es die noch gibt. Wir haben oft geplaudert. Er hat mich zu Slovan gebracht, da war ich zehn Jahre alt. Kann so etwas heute noch passieren, entdeckt zu werden im Käfig? Nein, ich fürchte nicht. Ich sehe das bei meinem eigenen Neffen, er darf nicht mehr in den Park. Die Situation in Wien hat sich geändert. Man bekommt Schwierigk­eiten, wird angepöbelt, es kann sein, dass einem etwas passiert. Es gehen viel weniger Kinder auf die Straße, um Fußball zu spielen. Haben Sie noch einen besonderen Freund von damals? Veli Kavlak. Noch immer. Wir haben bei Rapid um dieselbe Position gekämpft, entweder hat dann er gespielt oder ich. Ich muss ihm sehr großen Respekt zollen, er hat mir nie etwas vorgehalte­n und ich ihm auch nicht. Zum Schluss hatte ich bessere Karten, er war an zweiter Stelle. Aber unsere Freundscha­ft hat sich keinen Millimeter verändert. Wir treffen uns regelmäßig, gehen essen. Er hätte früher von Rapid weggehen sollen, aber dann habe doch ich diesen Schritt zuerst gesetzt. Dafür hat er einen sehr großen Sprung gemacht, zu Besikta¸s¸ Istanbul. Ich habe mich sehr für ihn gefreut. Eines muss ich noch fragen: Was hat es mit Fußballern und ihren Frisuren auf sich? Eigentlich sind wir ganz liebe und nette Menschen, aber die Aufmerksam­keit von Zuschauern und Medien kann einen arrogant machen. Man verändert sich. Menschen, die dich früher nie angeschaut haben, laufen plötzlich hinter dir her. Die Frisur ist ein Markenzeic­hen. Bei Rapid hatte ich zwei Striche einrasiert, meine Eltern haben gesagt: „Ümit, was ist das da auf deinem Kopf, mach das normal!“Ich sagte: ,Warum, das schaut doch cool aus.‘ Jetzt sehe ich die Jungen mit zwanzig einrasiert­en Strichen herumlaufe­n, das ist offenbar wieder modern.

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Clemens Fabry

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