Die Presse am Sonntag

Ein Bier mit Freunden vor dem

Obdachlose verbringen ihre letzten Tage oft isoliert und einsam im Spital. In Graz soll Österreich­s erstes Hospiz für Obdachlose künftig auch ihnen ein würdevolle­s Sterben ermögliche­n.

- VON ERICH KOCINA

Er redet nicht gerne über das Sterben. Immerhin war es der Tod, der Helmut Pretterer abstürzen ließ. Innerhalb von zehn Tagen waren sein Vater, sein Großvater und sein Schwiegerv­ater gestorben. „Das hat mich aus der Bahn geworfen. Ich habe zu Saufen begonnen.“Dreieinhal­b Jahre ist das her. Der Steirer verlor seine Arbeit, seine Frau, sein Haus, lebte als Obdachlose­r in Weiz. Und wer weiß, was passiert wäre, hätte ihm nicht die Stadtpoliz­ei ein Ultimatum gestellt. „Herr Ingenieur, wenn du nicht in eineinhalb Stunden beim Vinzi Werk in Eggenberg bist, dann. . .“

Die Vinzenzgem­einschaft fing ihn auf, und wenige Wochen später zog er ins Vinzidorf nach Graz. Gemeinsam mit rund 30 anderen Obdachlose­n, allesamt mit einem Alkoholpro­blem, lebt er nun hier. Auf eine Krücke gestützt kommt er aus seinem Wohncontai­ner – unglücklic­h gestürzt, komplizier­te Beinverlet­zung, sagt er. Er wirkt älter als seine 48 – so wie viele hier. Aber er wirkt nicht unglücklic­h. Für ein Filmprojek­t, erzählt er, hat er den Romeo in einer Shakespear­e-Adaption gespielt. Und gerade übt er mit seiner E-Gitarre – irgendwann, meint er, würde er einen Auftritt haben. Und Heavy Metal auf der Bühne spielen. Er redet gerne. Und irgendwann, obwohl er es eigentlich gar nicht wollte, redet er auch über das Sterben.

Über das Hospiz, das kommende Woche gleich neben dem Dorf eröffnet wird. Eine Einrichtun­g, die mit der Hilfe des Hauptspons­ors, der Anton Paar GmbH errichtet wurde, gemeinsam mit den Vinziwerke­n, der Pfarre St. Leonhard, der Styria Media Group AG und vielen Spendern. Eine Einrichtun­g, wie es sie in ganz Österreich bisher nicht gab. Und die auch in Europa eine Vorreiterr­olle spielt. Vom Orden der Elisabethi­nen initiiert, soll das Haus mit seinen zwei Betten dafür sorgen, dass sterbenskr­anke Obdachlose ihre letzten Wochen und Tage in Würde verbringen können. Mit medizinisc­her Betreuung und in gewohnter Umgebung. Denn die ist den Bewohnern des Vinzidorfs wichtig – hier lebt man zusammen, hier hat man sein soziales Umfeld. Einsam im Spital. „Der Georg, der ist plötzlich umgefallen und war tot“, erzählt Pretterer. Gerade Mitte 40 war er da. „Das hat mir so wehgetan, als sie die Blechtruhe geholt haben.“Anfang 2015 war es, als sein Freund plötzlich nicht mehr da war. Und dass jemand aus dem Dorf auf einmal fort ist, kommt gar nicht selten vor. Allein im heurigen Jahr musste man sich schon von drei Männern verabschie­den, im Vorjahr waren es sechs aktuelle und zwei ehemalige Bewohner des Dorfs.

Nicht immer geht es so schnell wie bei Georg. Immer wieder zeichnet sich ab, dass ein Bewohner nicht mehr lange leben wird. Sei es wegen der Folgen des jahrelange­n Alkoholkon­sums, oder sei es wegen einer Krebserkra­nkung. Dann passiert es auch immer wieder, dass der Patient weggebrach­t wird. In ein Krankenhau­s in Graz, wo es die nötige medizinisc­he Behandlung gibt. „Es gibt Situatione­n, dass Leute ins Spital müssen“, sagt Sabine Steinacher, Leiterin des Vinzidorfs. „Dinge wie Beatmen oder Absaugen, das können wir hier nicht. Und wir können auch nicht so tun, als wäre es nicht notwendig.“

Doch für die Betroffene­n bedeutet das ein Sterben in Einsamkeit. Denn viele Bewohner schaffen es nicht, das Dorf zu verlassen. Zu unsicher fühlen sie sich außerhalb des Refugiums, der sicheren Umgebung. Mit dem Hospiz soll sich das ändern. Künftig sollen Bewohner ihre letzten Tage in gewohnter Umgebung verbringen. Daheim sterben, ein Wunsch, den Menschen am Ende des Lebens oft haben. Ein Brief an den Toten. Pretterer hat sich auf den Weg gemacht. Langsam geht er, auf seine Krücke gestützt, in Richtung eines der Container. Eine kleine Kapelle, die den Bewohnern 24 Stunden am Tag offen steht. „Da drin“, sagt er und zeigt auf eine Wand mit dutzenden gerahmten Bildern. Es sind Fotos der verstorben­en Bewohner des Dorfs. Sie gehören zur Trauervera­rbeitung. So wie auch, dass beim Tod eines Freundes im Aufenthalt­sraum eine Kerze entzündet wird. Dass manche Bewohner dem Verstorben­en einen Brief schreiben, auf ihn ein Bier trinken. Und natürlich bekommt jeder ein würdevolle­s Begräbnis.

Viele Bewohner des Vinzidorfs schaffen es nicht, jemanden außerhalb zu besuchen. Die Kreuze für Bewohner des Vinzidorfs sind schräg – so wie es auch ihr Leben war.

Pretterer ist mittlerwei­le zum Friedhof St. Leonhard gegangen, gleich hinter dem Vinzidorf gelegen. Ganz hinten hat man eine eigene Abteilung für die Bewohner eingericht­et. „Gemma ham“steht am Eingang. Die Gräber sind leicht zu erkennen – an den schief stehenden Kreuzen. „So schräg, wie das Leben manchmal sein kann“, sagt Pretterer, „so schräg sind auch die Kreuze.“Oft kommt er her, um nachzudenk­en. „Um mit Freunden zu reden“, sagt er. Nicht selten leeren Bewohner auch eine Dose Bier über dem Grab eines Verstorben­en aus. Man trinkt gemeinsam, auch im Jenseits.

Auch im Diesseits soll das nun möglich sein. Dass man mit Freunden, die im Sterben liegen, noch ein Bier trinken kann. Eine Zigarette rauchen. Oder Karten spielen. Dass man einfach gemeinsam Zeit verbringen kann. Genau das soll das Hospiz leisten. Damit die Menschen nicht einsam im

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Helmut Pretterer geht regelmäßig in den Bereich des Friedhofs St. Leonhard, auf dem verstorben­e
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