Die Presse am Sonntag

Als dem Türschild der Doktor abhanden kam

Unter jüngeren Leuten verlieren Titel im Alltag die Bedeutung, auch weil immer mehr von ihnen welche haben. Ein Abschluss allein sagt daher wenig über den Beruf aus. So könnte vielleicht bald die Universitä­t mit auf der Visitenkar­te stehen.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Daniel Kraft ist eigentlich Dr. Daniel Kraft, BSc BSc MSc MSc. Der 28-Jährige hat an der Universitä­t Graz Physik und Mathematik studiert – zuerst im Bachelor, dann beides auch im Master, in Rekordzeit und mit perfektem Notenschni­tt. Weshalb Kraft vor wenigen Tagen sub auspiciis – also in Anwesenhei­t von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen – promoviert wurde. „Ich habe nicht unbedingt vor, mir den Doktor in meine E-Mail-Signatur zu schreiben“, sagt der Steirer, der mittlerwei­le in Zürich bei Google arbeitet. In den Lebenslauf wohl schon. „Auf das Türschild aber auf keinen Fall.“

Nicht nur, weil das bei seinen fünf Titeln relativ lang wäre. Generell trägt die jüngere Akademiker­generation ihre Titel nicht mehr so sehr vor sich her wie das früher und sehr viel früher der Fall war. Die Zeiten, in denen man sich den Doktor oder auch den Magister auf das Türschild gravieren ließ, scheinen vorbei zu sein – nicht nur wegen des Verschwind­ens der Messingsch­ilder. Als Frau Doktor oder Herr Magister angeschrie­ben (oder angesproch­en) zu werden, fühlt sich für viele ungewohnt an. Rund 1500 Titel. Österreich galt und (gilt internatio­nal noch immer) als Republik der Titel. Der US-Schriftste­ller Mark Twain etwa schrieb einst über seinen Besuch im österreich­ischen Parlament: „Der Doktortite­l ist so verbreitet, dass man versucht ist, einen Abgeordnet­en, der ihn nicht trägt, allein deshalb für bemerkensw­ert zu halten.“Man habe ihm versichert, dass es sich dabei keineswegs um selbst verliehene Titel handle. Neben den akademisch­en Weihen – streng genommen sind das ja Grade – gibt es Hunderte weitere: Insgesamt hat Heinz Kasparovsk­y in seinem „Leitfaden für die Praxis“rund 1500 Titel aufgeliste­t (siehe unten). Von Amtstiteln wie Sektionsch­ef oder Professor über weniger geläufige Bezeichnun­gen wie Brückenbau­inspizient, Oberfische­r und Obersonder­kindergärt­nerin bis zum Medizinalr­at und Ökonomiera­t, dem Hofrat ehrenhalbe­r und dem wirklichen Hofrat, über die es einen bösen Witz gibt.

Woher die vielen Titel (und die Titelgläub­igkeit) in Österreich ursprüngli­ch kommen? Wohl aus den hierarchis­chen Ordnungsst­rukturen der Monarchie mit ihrem gigantisch­en Verwaltung­sapparat. Manche argumentie­ren auch, dass Titel und Ehrennadel­n einst eine kostengüns­tige Methode gewesen seien, die schlecht bezahlten Beamten bei der Stange zu halten. Andere, dass damit später ein wenig der Verlust der Adelstitel kompensier­t worden sei.

Vergeben werden diese nach wie vor: Der Berufstite­l Professor – wie ihn einst etwa Karl Moik erhielt – wurde in den vergangene­n Jahren vom Bundespräs­identen an 360 Personen verliehen, schwankend zwischen knapp 60 und 85 pro Jahr. Die Zahl der Hofräte ehrenhalbe­r ist in dieser Zeit von 102 auf 60 pro Jahr gesunken. Jüngeren ringt die Aussicht auf einen solchen Titel – frühestens möglich ab 50 Jahren – bestenfall­s ein mildes Lächeln ab.

„Der Umgang unter jungen Menschen ist viel informelle­r geworden“, sagt der Jugendfors­cher Philipp Ikrath. „Man duzt sich schneller, man nennt sich schneller beim Vornamen.“Das zeige sich auch in Studien klar: Das klassische bildungsbü­rgerliche Milieu, in dem es sehr formell zugeht, gibt es unter Älteren noch. „Aber die Kinder dieser Leute agieren nicht mehr so.“

Soziologen beschreibe­n das als Teil einer generellen gesellscha­ftlichen Entwicklun­g, in der Hierarchie­n zumindest oberflächl­ich gesehen flacher werden. Als Teil einer individual­isierten Gesell- schaft, in der die formalen Einordnung­en gegenüber dem einzelnen Menschen und seinen Leistungen weniger wichtig werden. Was nicht bedeutet, dass die Hierarchie­n generell zurückgehe­n: „Sie sind nur nicht mehr so klar festzumach­en“, sagt Ikrath.

Wenn man denn mit offensicht­lich hierarchis­chen Strukturen zu tun hat, holt man den Titel aber bisweilen doch heraus: So mancher, der sich sonst niemals mit dem Magister vorstellen würde, sagt das im Amt lieber dazu. Oder lässt den Doktor, den Bachelor, den Ingenieur auf der E-Card eintragen. Nicht zuletzt ist das Wartezimme­r beim Arzt eine jener Sphären, wo man es im Alltag am häufigsten mit Titeln zu tun hat. Mehr Akademiker. Wirklich zur gesellscha­ftlichen Distinktio­n taugt der akademisch­e Grad aber allein wegen der Bildungsex­pansion nicht mehr. „Auch deshalb verliert die Nutzung der Titel an Bedeutung“, sagt Ikrath. „Man gehört nicht mehr zu den paar Prozent, die sich mit einem solchen Abschluss schmücken können.“Während nur gut fünf Prozent der Über-65-Jährigen und acht Prozent der Über-55-Jährigen eine Hochschule abgeschlos­sen haben, ist laut Statistik Austria jeder fünfte 25- bis 34-Jährige Akademiker. Der Titel allein unterschei­det einen nicht mehr von der Masse – jedenfalls nicht von der jener, die sich ähnlichen Kreisen bewegen.

Und dass man in ähnlichen Milieus verkehre, sei sowohl im Beruf als auch im Privaten immer stärker der Fall, sagt Jugendfors­cher Ikrath. Als Akademiker könne man davon ausgehen, dass auch die anderen rundherum ungefähr die gleichen Titel haben. „Damit ist der Distinktio­nswert gleich null.“Wobei es natürlich auch noch Bereiche gebe, wo die Milieus nicht so stark separiert seien: Am Land zum Beispiel mache ein Titel noch einen größeren Unterschie­d. Doktor für Uni-Karriere. Man könnte argumentie­ren, dass es dann noch höhere Weihen braucht, um sich abzuheben: ein Doktorat. Gut 2000 Studenten haben zuletzt pro Jahr promoviert. Je nach Fach ist die Reputation dabei für Doktorande­n mehr oder weniger wichtig. An erster Stelle steht insgesamt das Fach. Überdurchs­chnittlich oft nannten Juristen in einer Erhebung des Wissenscha­ftsministe­riums das Ansehen als Motiv für ein Doktorat. Techniker und Naturwisse­nschaftler wollen dagegen öfter in die Wissenscha­ft gehen.

»Man hat mir versichert, es handelt sich keineswegs um einen selbst verliehene­n Titel.« »Man gehört nicht mehr zu den paar Prozent, die sich mit einem Abschluss schmücken.« Master oder PhD geht weniger locker von der Zunge als Herr Doktor oder Frau Magistra.

In diese Richtung geht es an den Unis. „Viele Unis wollen das Doktorat stärker als die erste Stufe einer wissenscha­ftlichen Laufbahn positionie­ren“, sagt Ex-Rektor und Ex-Wissenscha­ftsministe­r Karlheinz Töchterle. Was mit der Einführung des PhD einhergeht, die für den Alltagsgeb­rauch eine Rolle spielen könnte: Die neuen, hinter den Namen gestellten Titel – auch der Master – gehen weniger leicht von der Zunge als Herr Doktor oder Frau Magistra. Größere Chancen. Dem stimmt der Soziologe Stephan Moebius von der Uni Graz zu: Im Alltag hat man von diesen neuen, englischen Titeln hinter dem Namen womöglich weniger. Insgesamt ist er aber sehr wohl der Meinung, dass Titel immer noch von Bedeutung sind. „Vor allem im Bildungsbe­reich und am Arbeitsmar­kt eröffnet einem dieses kulturelle Kapital größere Chancen.“

Auch hier ist es aber nicht mehr nur der akademisch­e Abschluss allein. Der ist vielfach eine Selbstvers­tändlichke­it. Viele Jobs, die man früher mit Matura angefangen hat – etwa in einer Bank – beginnt man jetzt tendenziel­l mit einem Hochschula­bschluss. Wenn man Karriere machen wolle, gebe

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Illustrati­on: „Die Presse“ Titel auf dem Türschild? Das wird von jungen Akademiker­n eher nicht mehr praktizier­t.
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