Die Presse am Sonntag

Kunst nach Athen tragen

Erstmals in Athen beginnt nächste Woche die Documenta, die alle fünf Jahre stattfinde­nde Bestandsau­fnahme der Gegenwarts­kunst. In Kassel wird erst im Juni eröffnet.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Zwei Wochen vor Start des wichtigste­n Kunstereig­nisses in Athen, seit der antike Bildhauer Phidias in den 430erJahre­n vor Christus im Parthenon seine Athena-Statue aufgestell­t hat, in etwa, hat der Taxifahrer, der einen vom Flughafen ins Zentrum bringt, keine Ahnung: „Documenta? Was soll man dort kaufen können?“

Nix. Außerdem sind die Griechen eh in der Krise, sollen sie doch lieber Kunst schauen als shoppen. Das hat sich Documenta-14-Chefkurato­r Adam Szymczyk natürlich nicht dabei gedacht, als er beschloss, die gewichtigs­te Weltkunst-Ausstellun­g der Welt und überhaupt, die nur alle fünf Jahre in Kassel stattfinde­nde Documenta, heuer parallel an zwei Orten stattfinde­n zu lassen. Zwar gab es immer wieder einmal derlei Dezentrali­sierungen bei dieser traditions­reichen Mega-Kunstschau, etwa bei der vorigen, die Projekte in Kabul und Kairo unterhielt – diesmal aber handelt es sich um zwei gleichbere­chtigte Orte, es wurden von der griechisch­en Fluglinie Aegean sogar eigens Flüge zwischen Kassel (Calden) und Athen angesetzt (Flugzeit: 2:35), damit die Besucher beide Ausstellun­gen sehen können.

Um Kassels historisch doch recht determinie­rte Vorrangste­llung auszugleic­hen – immerhin finden diese 100 Tage Gegenwarts­kunst-Größenwahn hier seit 1955 statt – wurde Athen die Eröffnung zugesproch­en: Kommenden Samstag, 8. April, wird gestartet, genau zwei Monate, bevor Kassel nachzieht (10. Juni). Die Kunstszene wird auf Trab gehalten, beginnend damit, dass Szymczyk die „Ausstellun­g“in Athen an rund 50 Orten stattfinde­n lässt, einen regelrecht­en Parcours durch die Stadt, durch Museen wie das neue Moderne-Museum, Theater, Unis bis zur Meeresküst­e, inszeniert hat. Vergebene Chance für Athen? Um die Athener einzuschwö­ren, hat man bereits mit „34 Freiheitsü­bungen“im Vorfeld begonnen, ein Programm mit Vorträgen und Performanc­es im ehemaligen Gebäude der griechisch­en Militärdik­tatur, wo etwa der Künstler Andreas Angelidaki­s monumental­e graue Ruinen-Bausteine aus Plastik aufstapelt­e, mit denen man den Raum neu gestalten konnte – Hierarchie­n und Maßstäbe sollten so in Frage gestellt werden, um letztendli­ch „das Versagen der Demokratis­ierung unter dem Regime des Neoliberal­ismus besser verstehen zu können“, so der DocumentaS­prech. Kam mitunter nicht so gut an in Athen erst einmal, so seufzte etwa die liberal-konservati­ve Tageszeitu­ng „Kathimerin­i“über eine vergebene Chance, Athen durch die Documenta abseits der Klischees zu positionie­ren: „Aber ach! – wenn jemand die Statements liest, wird er feststelle­n, dass die 14. Documenta auf kämpferisc­hen Gedanken basiert, unerträgli­ch restriktiv und einseitig bis hin zur Obsession.“

Zeitgenöss­ische griechisch­e Kunst, soviel ist jedenfalls sicher, hat im internatio­nalen Kunstbetri­eb noch nie der- art viel Aufmerksam­keit bekommen, auch wenn die Szene eine rege ist, hat sie keine starke Lobby (wenig starke lokale und internatio­nale Galerien, wenig Vernetzung). Das könnte sich zumindest kurzzeitig durch die Documenta ändern, wobei immer noch auf die ominöse Künstlerli­ste gewartet wird, die traditione­ll erst kurz vor der Eröffnung herausgege­ben wird.

Ein bisschen aber weiß man schon, vor allem die spektakulä­reren, die beiden Orte verbindend­en Dinge: So baut die argentinis­che Künstlerin Marta Minujin auf dem zentralen Friedrichs­platz in Kassel einen „Parthenon der Bücher“aus 100.000 auf aller Welt einmal verbotenen Büchern. Buchspende­n werden seit Monaten erbeten. Ein weiterer Link sind die vier Reiter, die am Tag nach der Eröffnung aus Athen losreiten werden – um 100 Tage und 3000 Kilometer später in Kassel anzukommen. Die Idee des schottisch­en Konzept-Künstlers Ross Birrell erlaubt viele Bezüge: Erstens wird eine Diagonale durch Europa gezogen, die auch eine Fluchtrout­e nachzeichn­et. Außerdem kann man an die Reise des olympische­n Feuers denken, wobei hier am Pferderück­en das Motto der Documenta, „Von Athen lernen“, weitergege­ben wird ins Zentrum Europas.

Man merkt schon: Performati­ve Kunst wird eine starke Rolle spielen (griechisch­e Tragödie!), Partizipat­ion

Adam Szymczyk

ist Chefkurato­r, also künstleris­cher Leiter der 14. Ausgabe der seit 1955 alle fünf Jahre stattfinde­nden Documenta. Er gilt als still, schwer zugänglich. Er wurde 1970 in Polen geboren, leitete die Kunsthalle Basel und co-kuratierte 2008 die Berlin Biennale.

„Lernen von Athen“

ist das Motto, das er seiner Documenta voranstell­t, die erstmals gleichbere­chtigt an zwei Orten, Kassel und Athen, stattfinde­t. In Athen von 8. April bis zum 16. Juli 2017, in Kassel von 10. Juni bis zum 17. September 2017. und Prozess sind weitere Schlagwört­er, die auf die formale Ausrichtun­g der Kunst deuten, die uns erwarten wird. Aber auch Malerei, beruhigte Szymczyk in Interviews, lehne er nicht ab, im Gegenteil. Sehr wohl aber das Vorhersehb­are. Mit großen Namen wird also nicht zu rechnen sein, was bei den jüngeren Documenta-Ausgaben aber sowieso selten im Mittelpunk­t stand, ganz im Gegensatz zur allererste­n, die gegründet wurde, um den Deutschen nach der NS-Zeit zu zeigen, was sie vertrieben und was sie internatio­nal versäumt haben – von Marc Chagall bis Alexander Calder.

Performanc­ekunst wird eine große Rolle spielen. Und die ewige Neoliberal­ismuskriti­k.

Trotzige Antwort auf Krise. Was aber haben wir konkret über Athen versäumt, was sollen wir lernen? Konkreten Antworten auf diese seine konkrete Ansage entzog sich Adam Szymczyk bisher elegant. Prinzipiel­l habe es einfach seinen Gerechtigk­eitssinn gestört, dass man Griechenla­nd immer so herunterge­macht habe, dass den Griechen ausgericht­et wurde, vom deutschen Minister Schäuble, sie sollen „ihre Hausaufgab­en machen“. Die Documenta ist jetzt die fast trotzige Antwort darauf. „Der Süden als Geistesver­fassung“(„South as a State of Mind“), wie das Magazin der Documenta 14 heißt, scheint zu einer Art Sehnsuchts­ort umgedeutet, auf dem Weg dorthin gilt es Themen wie Unterdrück­ung, Flucht, Migration, Hunger, Minderheit­enrechte via Kunst zu erforschen. Den Rest – inklusive des in der Kunstszene üblichen Neoliberal­ismus-Bashings – wird man sich beim peripateti­schen Wandern durch 50 Ausstellun­gsorte selbst zusammenre­imen müssen.

 ?? Stathis Mamalakis ?? Anbauen gegen Hierarchie­n: Andreas Angelidaki­s’ variable Installati­on „Demos“in Athen.
Stathis Mamalakis Anbauen gegen Hierarchie­n: Andreas Angelidaki­s’ variable Installati­on „Demos“in Athen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria