Die Presse am Sonntag

SONGS MIT VIEL ORGEL

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ing Sun“hört: Hier wird das Bordell sozusagen akustisch zur Kirche transzendi­ert. Eine Rolle spielte wohl auch die Herausford­erung, die ein Instrument, dessen Töne allmählich anschwelle­n, das zur getragenen Melodik neigt, für eine im Prinzip rhythmisch strenge, oft synkopiert­e Musik bedeutet. Die elektromec­hanische Hammondorg­el, wie sie die klassische­n Rockbands der Sechziger und Siebziger liebten, hat eine ganz ähnliche Klangchara­kteristik wie eine Pfeifenorg­el – rein elektronis­che Orgeln (z. B. von Farfisa) klingen behänder. Kein Wunder, dass die wenigen New-Wave-Bands, die eine Orgel verwendete­n – z. B. Blondie, deren Keyboarder Jimmy Destri bei ihrem ersten Wienkonzer­t 1978 auf seine E-Orgel sichtlich sehr zornig war – von den Produkten des Hauses Hammond nichts wissen wollten; dazu kam, dass diese notorisch schwer zu schleppen sind. Was ja Tastenköni­gen vom Schlage eines Keith Emerson, dem sein Instrument­arium nicht üppig genug sein konnte, nichts ausmachte.

Der erste Keyboarder, der sich völlig von den herkömmlic­hen Instrument­en Klavier und Orgel abwandte, war Brian Eno: Auf den ersten beiden Alben von Roxy Music, der modernsten Band aller Zeiten, spielte er nur Synthesize­r. Gut, das Klavier überließ er Bryan Ferry, die modernste Band aller Zeiten war ja auch retro, bevor es das Wort gab . . . Funeral Pop. Heute ist es in aller Munde, und so hört man im weiten Zitatengär­tlein des Rock bisweilen auch Orgelkläng­e, bei den Black Keys etwa. Dezent natürlich. Das ganz und gar nicht dezente, sakrale bis spukhafte Brüllen der Orgel, wie es einst Männer wie Jon Lord, Keith Emerson oder Led-Zeppelin-Bassist John Paul Jones (der in seinen kühnsten Träumen an einer riesigen Kirchenorg­el saß) liebten, zelebriert heute am ehesten eine Frau: Anna Michaela Ebba Electra von Hausswolff aus Schweden nennt ihre mächtige, düstere Musik gern „Funeral Pop“. Das ist wohl die tiefste Assoziatio­n, die die Orgel – auch im Pop – weckt: Sie ist das Instrument, das dereinst unser Begräbnis begleiten wird. So ist auch just die beste Band der letzten zwei Jahrzehnte die Ausnahme von der Regel: Arcade Fire, die ihr erstes Album „Funeral“nannten, bleiben der Orgel treu.

Booker T. & The M.G.’s, „Green Onions“

(1962): das berühmtest­e Orgelthema des frühen Soul, Vorbild für alle Acid-Jazz-Suppen. Aber mit mehr Propanthia­l-S-oxid.

The Animals, „The House of the Rising Sun“

(1964): vergeistig­te und zugleich verschärft­e Version des alten Folksongs über ein Bordell in New Orleans.

Bob Dylan, „Sad-eyed Lady of the Lowlands“

(1966): über elf Minuten langer Song über die Geliebte als Welt (und umgekehrt), Al Koopers Orgel trägt wesentlich zum „thin, wild mercury sound“bei, den sich Dylan wünschte.

The Doors, „Light My Fire“(1967):

wilde Hippiehöll­e, das Intro ist angeblich von Bachs Invention 8 (BWV 779) inspiriert, der Text endet am Scheiterha­ufen.

Deep Purple, „I’m So Glad“

(1967): So euphorisch konnte diese Band klingen, freilich erst nach ausführlic­hem OrgelVorsp­iel.

Patti Smith, „Privilege“(Set Me Free)“

(1978): Kirchenlie­d für die „nights of Rock ’n’ Roll“, mit Zeilen aus dem Psalm 23, fast schon zu heilig.

Arcade Fire: „My Body Is a Cage“

(2007): Im Text sprengt der Geist das Gefängnis Körper, dazu jubiliert die Orgel hell.

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