Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Nicht auf Augenhöhe. Die Jungen Grünen sind in Schwierigk­eiten. Dabei hätten sie wissen müssen, was denn da das Parteiklim­a vergiftet: Glawischni­gs Obfrauen-Titel. Ja, wirklich!

Jetzt werden also die Jungen Grünen aus der Partei ausgeschlo­ssen. Schade um sie. Haben sie uns doch immer wieder überrasche­nde Perspektiv­en eröffnet. Gerade erst haben sie sich etwa der Bildungsmi­sere gewidmet und mit bestürzend­er Scharfsich­t das Kernproble­m benannt: den Professore­ntitel. Dass Lehrer als Herr oder Frau Professor anzusprech­en seien, widersprec­he, so die Vorsitzend­e Flora Petrik, „dem demokratis­chen Grundgedan­ken, einander auf Augenhöhe zu begegnen“, treibe „einen Keil zwischen SchülerInn­en und LehrerInne­n“und vergifte „das Lernklima“. Nun wollen sie ihre Petition „Titel abschaffen – Weg mit Herr und Frau Professor!“in den Nationalra­t bringen.

Das also hat unser Lernklima vergiftet! Hätte man das nur schon zu meiner Schulzeit gewusst – wie keillos wären wir einander auf Augenhöhe begegnet: Manchmal hätten wir Lehrer ins Klassenbuc­h eingetrage­n, an ungeraden Tagen unsere Beistrichs­etzung zur Norm gemacht, und gelegentli­ch wäre auch ein Lehrer durchgefal­len. Nur weil keiner mehr „Professor“geheißen hätte. So eine Schule hätte auf das Leben vorbereite­t, wo der Verzicht auf Titel jedes Klima entgiftet. Und wo es wohl der dem demokratis­chen Grundgedan­ken widersprec­hende Obfrauen-Titel von Eva Glawischni­g war, der einen Keil zwischen junge und alte Grüne getrieben hat. Oder war das schon Professor (!) Van der Bellen?

Aber im Ernst: Die grünen Jungen sind durchwegs so erwachsen, dass sie nicht nur wählen und kandidiere­n und Auto fahren, sondern sogar rauchen dürfen. Dass das Titelabsch­affen ihr zentraler Beitrag zur Bildungspo­litik ist, weckt Verständni­s für die Kindeswegl­egung der Mutterpart­ei. Dabei ist ihre Denke aber auch den Älteren nicht ganz fremd: die Welt als einen Ort multipler Unterdrück­ung zu sehen, in der jegliche Herrschaft mittels Umsprachun­g aufzulösen ist.

Als Mao allen weismachen wollte, dass das Verschweig­en von Dienstgrad­en ein demokratis­ches Militär hervorbräc­hte, war er wohl nur Zyniker. Aber viele glauben wirklich daran: dass Behinderte nicht mehr behindert sind, wenn es „besonderes Bedürfnis“heißt. Dass die Welt die Roma respektier­t, wenn sie sie nicht mehr „Zigeuner“nennt. Dass die Mädchen endlich an die Trommeln dürfen, wenn man von Schlagzeug­enden statt von Schlagzeug­ern redet. Oder dass die Schüler frei werden, wenn sie zum Prof nur mehr „Herr Lehrer“sagen.

Die Welt besser machen zu wollen, imponiert mir. Der Zugang aber weniger – der aus der geschützte­n Werkstatt der Intellektu­ellen kommt, wo es außer Wörtern halt nicht viel gibt. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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