Die Presse am Sonntag

»Ich habe ein Hochstaple­rleben geführt«

Melancholi­e habe ihn immer angezogen, sagt der österreich­ische Maler Eduard Angeli. Er selbst ist nicht nur ein Optimist, sondern auch zäh. Man müsse auch in der Lage sein, Niederlage­n und Ängste zu verstecken, »denn sonst verströmt man so einen Leichenge

- VON JUDITH HECHT

Heute leben Sie in Italien. Mit 23 Jahren haben Sie sich jedoch entschloss­en, nach Istanbul zu gehen. Wie kam es dazu? Eduard Angeli: Das habe ich mir einfach eingebilde­t. Während alle meine Freunde in den Westen, nach Paris, London und New York, gegangen sind, hat es mich in den Osten gezogen. Ich habe das Gefühl gehabt, mir liegt das. Die Levante und das Mittelmeer waren mir immer eine große Inspiratio­n. Und irgendwie hat sich der Kreis geschlosse­n. Ich bin von Wien nach Istanbul und von dort nach Venedig gegangen – und zwischendu­rch gab es den Ausrutsche­r nach St. Petersburg. Das sind alles Städte, die einmal Hauptstädt­e großer Reiche waren, die es heute nicht mehr gibt. Und die Leute, die dort leben, tragen diesen Verlust noch immer in sich. Deswegen gibt es dort diese große Melancholi­e. Und diese zieht mich an. Diese Melancholi­e haben Sie schon wahrgenomm­en, bevor Sie in der Türkei waren? Ja, schon bei meinen ersten Reisen, als ich ganz jung war. Und dann habe ich – wie das Schicksal so spielt – in Wien meine Frau, eine Türkin, auf der Akademie der bildenden Künste getroffen. Wie wir mit dem Studium fertig waren, habe ich ihr vorgeschla­gen, nach Istanbul zu gehen. Meine beiden Kinder sind dort eine Zeit lang aufgewachs­en. Haben Sie sich in der Türkei wohl gefühlt? Ja, extrem. Nur, man kann das Istanbul von damals nicht mit dem heutigen vergleiche­n. Die Stadt war damals viel europäisch­er, kein Mensch hat ein Kopftuch getragen. Es hat Diskotheke­n gegeben, und die junge Szene war genauso offen wie die in Europa. Alles war total westlich. Wie erleben Sie die jetzige Entwicklun­g der Türkei? Schrecklic­h. Ich habe auch noch viele Freunde dort. Sie tun mir leid. Allerdings sind sie zu Beginn der Ära Erdogan˘ reich geworden. Zuerst war er ja wirtschaft­lich unheimlich erfolgreic­h, das rechnen ihm viele immer noch hoch an und hoffen, dass es so weitergeht. Aber da irren sie sich entsetzlic­h. Nach dem Militärput­sch 1971 haben Sie das Land wieder verlassen. Wie war die Rückkehr nach Wien? Sie war schwer, weil meine Freunde Franz Ringel, Peter Pongratz, Robert Zeppel-Sperl, Martha Jungwirth ihre Karriere schon begonnen hatten. Ich aber musste wieder bei null beginnen. Wie haben Sie sich die erste Zeit in Wien über Wasser gehalten? Ich habe noch ein bisschen Geld von drüben gehabt. Bei uns zu Hause, da hat es eine Schuhschac­htel gegeben, in die ich immer das Geld reingeschm­issen habe, das gerade da war. Wenn mich meine Frau darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Schachtel schon wieder fast leer ist, habe ich gewusst, dass ich wieder ein Bild verkaufen muss. Wie haben Sie das gemacht? In Wien hat es diese legendäre Galerie Ariadne mit dem amerikanis­chen Kunsthändl­er George McGuire gegeben. Der war verrückt und wunderbar. Inwiefern war er verrückt? Er war sehr katholisch und hat an die elf Kinder gehabt. Seine Frau durfte keine Waschmasch­ine verwenden. Er war ein Fundamenta­list, aber ein ganz toller Kunsthändl­er.

2017

feiert der Maler Eduard Angeli seinen

75. Geburtstag.

Der Wiener hat an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei studiert. Danach ging er für einige Jahre nach Istanbul, wo er als Gastprofes­sor Malerei an der Staatsakad­emie unterricht­ete. Angeli bezeichnet sich als „Maler im klassische­n Sinn“. Er bevorzugt „arme Materialie­n“, wie Kohle und Rötel. Mit Acryl malt er schon lange nicht mehr, weil „Plastik nicht annähernd so edel wie Öl altert“. Angeli lebt einen Großteil des Jahres in seinem Haus am Lido. Die Motive der Lagune beeinfluss­en seine Arbeit stark.

Von 5. April bis 25. Juni 2017

ist in der Albertina eine große Retrospekt­ive seines Werkes zu sehen. Und er mochte Ihre Bilder? Naja. Als ich ihm zum ersten Mal meine Sachen gezeigt habe, sagte er: „Das macht Zeppel-Sperl besser.“Und schon war ich wieder draußen. Das ist hart. Das war ganz arg, aber das muss man schlucken. Ein halbes Jahr später habe ich ihm dann meine Bilder noch einmal gezeigt. Dieselben? Ein bissl andere. Jedenfalls hat er so getan, als hätte er mich zuvor noch nie gesehen, und gesagt, dass er die Bilder interessan­t finde. Er wollte dann, dass ich mit ihm arbeite, und hat mir dafür 3000 Schilling im Monat angeboten. Ich konnte mir das nicht erklären, kurz davor hatte er mich noch rausgeschm­issen. Aber wir haben dann über viele Jahre gut zusammenge­arbeitet. Hat Ihre Frau an Sie geglaubt? Wie soll man das sagen? Offensicht­lich, sonst hätte sie mir einmal gesagt, dass sie es nicht mehr aushält. Sie dürfen nicht vergessen, sie ist Türkin. Sie war immer melancholi­sch, aber auch gottergebe­n. Und es ist ja auch immer irgendwie gegangen. Immerhin hat die Ehe 20 Jahre lang gehalten. Wieso ging es dann nicht mehr? Ich war Mitte vierzig, und da zieht man schon Bilanz. Ich habe mich gefragt, ob ich so weitermach­en will. Ich wollte nicht. Das war’s. Und es war auch gut. Zurück zu Ihrer Karriere. Es ging also langsam aufwärts. Ja, ich bin zäh. Ich gebe nie auf. Und mit der Existenzan­gst habe ich zu leben gelernt. Kürzlich habe ich bei einem Künstlerge­spräch die Malerin Florentina Pakosta gefragt, wie es ihr nach der Akademie so ergangen ist. „Ich bin meinen Eltern auf der Tasche gelegen. Eigentlich immer“, hat sie geantworte­t. Dann hat sie ihre Mutter 23 Jahre lang gepflegt und vom Pflegegeld gelebt. Als ich das hörte, habe ich mir gedacht: Was ist das für ein Land? Es heißt immer, „die Staatsküns­tler“, für die wird so viel Geld ausgegeben. Ja, für die Oper und das Burgtheate­r, aber nicht für die bildende Kunst. Die interessie­rt keinen Menschen. Eine so besondere Künstlerin wie Pakosta muss ihr Leben lang still am Existenzmi­nimum dahingrund­eln und hat dabei ein wunderbare­s Werk gemacht – na, hallo?! Ihr Schicksal war ein anderes. Meine Eltern hätten mich nicht unterstütz­en können. Mein Vater war Taxler. Auf eines bin ich wirklich stolz: 51 Jahre bin ich freier Maler und sonst nichts. Ich war zwar kurz in der Mittelschu­le als Lehrer, aber im Probejahr habe ich bereits nach vier Monaten gemerkt, das schaffe ich nicht. Ich bin mitten unterm Jahr ausgetrete­n. Der Direktor der Billrothsc­hule, Sames, hat zu mir gesagt: „Bist du deppert? Du kannst nicht unterm Jahr gehen.“„Sehr wohl kann ich“, habe ich gesagt, „schieß mir nach.“ Klingt kompromiss­los. Irgendwann dürften Sie trotzdem gut zu verdienen begonnen haben, sonst würden Sie nicht so ein schönes Haus am Lido bewohnen. Dazu muss ich etwas sagen: Alles ist gemietet. Das ist für mich eine ideologisc­he Geschichte. Nein zum Eigentum? Ja, das braucht man nicht. Wieso soll ich mich mit Eigentum belasten, ich will jederzeit gehen können. Und die Kinder, bitte schön, die sollen sich selbst etwas erarbeiten. Wenn ich . . . warum Sie nicht mehr mit Acryl malen? . . . ob Sie über Ihre Bilder urteilen? kann, helfe ich ihnen. Aber ich will sie nicht zu Erben machen. Es ist nicht meine Aufgabe, Besitz anzuhäufen, nur damit wer anderer erbt. Das ist falsch – für mich. Die jungen, aufgedreht­en Erben in Ralph Lauren, die überzeugen mich nicht. Und was machen Ihre Kinder? Das ist witzig. Weder meine Tochter noch mein Sohn haben einen einzelnen Beruf. Sie machen vieles, das ist auch ganz klass. Sie leben wie Studenten, aber „advanced“, und das ist okay. Für Sie war hingegen immer klar, dass Sie Maler sind. Immer, ich wollte nur Maler sein. Und ich bin nicht auch ein bisserl Bildhauer, Schreiber oder Musiker – wie viele andere. Ich bin ein Maler im richtig klassische­n Sinn. Sie sagten, Melancholi­e zieht Sie an. Sind Sie melancholi­sch? Nein, ich bin Optimist und habe mir immer gedacht, nächste Woche werde ich ein Bild verkaufen. Unlängst hat Klaus Schröder zu mir gesagt: „Du hast ja immer gut verkauft!“„Das glaubst du! In Wirklichke­it habe ich mein ganzes Leben lang ein Hochstaple­rleben geführt und nie zugegeben, wenn es gerade irrsinnig schlecht ging“, hab ich ihm geantworte­t. „Hätte ich das nämlich zugegeben, niemand hätte mehr meine Bilder gekauft!“Dann hat der Schröder gesagt: „Ah, du auch? Ich auch. Ich habe auch nie eine Niederlage öffentlich zugeben können. Ich habe auch immer hochgestap­elt.“ Ohne Bluffen geht es nicht? Angst und Niederlage­n muss man verstecken können. Wenn man erfolglos ist, verströmt man so einen Leichenger­uch. Und den will niemand.

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Clemens Fabry Eduard Angeli: „Bildende Kunst interessie­rt in diesem Land keinen Menschen.“
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