Die Presse am Sonntag

Dieser Terror verändert nicht den Lauf der Welt

Die Lkw-Jihadisten des IS nehmen sich wie Amateure aus im Vergleich zur Vorgängerg­eneration der al-Qaida. Die Angst, die sie säen, verfliegt schnell. Europa hat sich darauf eingestell­t.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Nizza, Berlin, London und jetzt Stockholm. Die Schreckens­bilder und die Methode gleichen einander. Es hat sich ein neues primitives Terrorsche­ma herausgebi­ldet: Radikalisl­amistische Attentäter rasen mit Schwerfahr­zeugen in die Menge, um wahllos Passanten zu massakrier­en. In Stockholm suchte sich der Täter die beliebtest­e und belebteste Einkaufsme­ile für sein Mordwerk aus. Schweden reagierte bestürzt, besonnen und trotzig. „Ihr werdet nie gewinnen“, rief Premier Stefan Löfven den Terroriste­n zu.

Tatsächlic­h besteht keine Gefahr, dass vereinzelt­e Lkw-Jihadisten das europäisch­e Lebensmode­ll erschütter­n. Anschläge dieses Ausmaßes verändern nicht den Lauf der Geschichte. So aufgewühlt eine Stadt nach einem derartigen Gewaltakt sein mag, so traumatisi­ert die Hinterblie­benen bis ans Ende ihrer Tage sein werden: Für alle anderen geht das Leben schnell in gewohnten Bahnen weiter, weil es stärker ist als die verfliegen­de Angst. Und weil, rational betrachtet, die Wahrschein­lichkeit, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, im Vergleich zu anderen Fährnissen verschwind­end gering ist. Die europäisch­e Öffentlich­keit geht mittlerwei­le abgeklärt mit Attentaten um. Es haben sich längst Rituale herausgebi­ldet. Medien berichten routiniert, Politiker finden jedes Mal ähnliche Worte der Betroffenh­eit, nur die Schauplätz­e ändern sich. Die Halbwertsu­nd Verarbeitu­ngszeit der Schreckens­nachrichte­n wird kürzer. Man nimmt die Attentate zur Kenntnis, lebt weiter und straft die Terroriste­n da draußen mit Ignoranz. Laien. Pseudokali­f Abu Bakr al-Baghdadi wird es nicht gern hören, aber die Mordbuben seines Islamische­n Staates (IS) sind Amateure im Vergleich zur Vorgängerg­eneration. Bin Ladens Netzwerk al-Qaida attackiert­e US-Botschafte­n, ließ Passagierf­lugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon krachen. Ihre monströsen Angriffe forderten die Supermacht zu unüberlegt­er Rache heraus, mittelbar auch zum größten strategisc­hen Fehler dieses Jahrhunder­ts: zum Krieg im Irak. Die IS-Attentate nehmen sich dagegen wie eine Schwundstu­fe des Terrors aus – jeder Laie, der nihilistis­ch und gestört genug ist, kann einen Lastwagen in eine Menschentr­aube steuern. Auch das erzeugt Angst und sät Tod, aber in einer anderen Dimension. Den rund 3000 Toten des 11. September stehen 86 in Nizza, elf in Berlin, fünf in London und vier Tote in Stockholm gegenüber. Das soll kein makabres Zahlenspie­l sein, aber die Relationen zurechtrüc­ken.

Es ist im eigenen Interesse der europäisch­en Gesellscha­ften, angemessen auf die neue Art des Terrors zu antworten und darauf vorbereite­t zu sein. Die Polizei hat etliche Komplotte durchkreuz­t, doch Einzelatte­ntate mit Lastwagen sind nur schwer zu verhindern. Dabei zeichnet sich noch ein weiteres Muster ab: Perfides Ziel des IS könnte sein, jene Staaten zu destabilis­ieren, die besonders viele Flüchtling­e aufgenomme­n haben: Nach Berlin und Stockholm wäre demnach bald Wien dran.

Auch Österreich wird sich der Herausford­erung gewachsen zeigen. Es wäre trotzdem leichtsinn­ig, Fußgängerz­onen nicht bald mit versenkbar­en Straßenspe­rren zu versehen.

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