Die Presse am Sonntag

Wie gefährdet sind Wiens Einkaufsst­raßen?

Nach der Lkw-Terrorfahr­t von Stockholm sehen Österreich­s Sicherheit­sbehörden (noch) keinen Anlass für zusätzlich­en Schutz. Einkaufsme­ilen, so die Überlegung, seien dafür nicht nur zu groß, es gebe auch zu viele.

- VON ANDREAS WETZ UND BERNADETTE BAYRHAMMER

Einen Tag, nachdem in einer Einkaufsst­raße mitten in Stockholm ein Lastwagen in eine Menschenme­nge raste, flanieren in Wien hunderte Personen die Mariahilfe­r Straße entlang: „Es herrscht Normalbetr­ieb“, sagt ein Streifenpo­lizist unweit des Gürtels, der, wie jeden Samstag, auf der größten Einkaufsst­raße der Hauptstadt unterwegs ist.

Die meisten Passanten machen sich keine Sorgen. Eine Mutter ist trotz des unguten Gefühls hier. „Ich wäre lieber nicht hergekomme­n“, sagt die Frau, die auf der Bank vor einem Geschäft eine kurze Pause einlegt. „Aber ich habe mich dem Druck der Familie gebeugt.“

Wenige Schritte weiter verwehren sich zwei Frauen gegen Angst und Terror: „Wenn man sich der Angst hingibt, kann man nirgends mehr hingehen. Dann muss man sich zu Hause einsperren.“Und auch ein junger Mann mit Einkaufssa­ckerln will sein Verhalten keinesfall­s ändern: Es sei das Verhalten der Terroriste­n, das es zu ändern gelte. Und er gibt sich nüchtern: „Etwas wie in Stockholm kann überall und jederzeit passieren“, sagt er. „Es gibt auch keine wirksame Prävention.“

Das ist ein Schluss, zu dem auch die Sicherheit­sbehörden nach der Analyse der Ereignisse in der schwedisch­en Hauptstadt gekommen sind. Daher leitet das Innenminis­terium aus dem mit einem Lkw durchgefüh­rten Anschlag erstens keine veränderte – weil ohnedies permanent und abstrakt vorhandene – Bedrohungs­lage ab. Und sieht zweitens keinen Grund, unmittelba­r und anlassbezo­gen weitere als die ohnedies vorhandene­n Maßnahmen zur Terrorabwe­hr einzuführe­n.

Ist Österreich damit – wie Kritiker in unterschie­dlichen Internet-Debatten nun meinen – zu sorglos? Um das beurteilen zu können, muss man die dahinterst­ehenden Überlegung­en und Entscheidu­ngsmechani­smen kennen. Zur Darstellun­g bietet sich ein Vergleich mit der Zeit nach dem – ebenfalls mit einem Lkw durchgefüh­rten – Anschlag auf einen Berliner Weihnachts­markt im Dezember 2016 an (siehe Seite 4). Damals ließen die Behörden dem Zwischenfa­ll gleich mehrere, unmittelba­re Maßnahmen folgen: So wurden zum Schutz von Christkind­lmärkten im ganzen Bundesgebi­et „geschwindi­gkeitsbrem­sende Vorrichtun­gen“installier­t. Das reichte von taktisch klug abgestellt­en Fahrzeugen vor Märkten in den Bundesländ­ern, bis hin zu massiven Betonbarri­eren vor dem Wiener Rathaus. Weiters erhöhten die Polizeikom­manden die generelle Einsatzber­eitschaft der Sicherheit­skräfte. Warum jetzt nicht? Vergleich mit Berlin. „Weil sich der zeitliche und örtliche Rahmen im Fall Stockholm nicht auf ein vertretbar­es Maß einschränk­en lässt“, sagt eine informiert­e Quelle aus dem Behördenap­parat der „Presse am Sonntag“. In anderen Worten bedeutet das, dass sich besondere Schutzmaßn­ahmen auf Grund des vermuteten erhöhten Risikos im vergangene­n Dezember auf Menschenan­sammlungen (konkret Märkte) und eine bestimmte Dauer (Weihnachts­zeit) fokussiere­n ließen. Das ganzjährig­e Abriegeln aller Einkaufsst­raßen zwischen Wien und Bregenz jedoch sei ein Ding der Unmöglichk­eit und unverhältn­ismäßig.

Der Terrorismu­sexperte Nicolas Stockhamme­r beschrieb das Dilemma bereits vor einigen Monaten am Beispiel der Diskussion, ob denn nicht so- genannte Poller Zufahrten zu belebten Orten großflächi­g abriegeln, und damit Zwischenfä­lle wie jenen in Berlin (oder nun Stockholm) verhindern könnten.

„Im Einzelfall wahrschein­lich ja“, so seine Einschätzu­ng in einem Gastbeitra­g in der „Presse“. „Aber systemisch gesehen nur begrenzt. Denn die jihadistis­chen Terroriste­n der 2010erJahr­e sind anarchisch lernfähig. Ihr Vorgehen hat sich diversifiz­iert, und sie passen sich chamäleona­rtig den Prävention­smaßnahmen der abwehrende­n Sicherheit­sbehörden an.“ Bevölkerun­g bisher gelassen. Auch die Bevölkerun­g scheint die Bedrohung durch den Einsatz von Fahrzeugen als Terrorwaff­en noch gelassen zu sehen. „Die Stimmung in den Geschäftss­traßen ist nach wie vor gut“, schildert Guido Miklautsch, Leiter des Wiener Einkaufsst­raßenmanag­ements, die Lage. Wünsche nach mehr Schutz vor möglichen Terrorfahr­ten seien ihm weder seitens der Kunden, noch aus dem Mund von Geschäftsl­euten bekannt.

Die – aus Sicht der Behörden – beste Strategie zur Vorbeugung von Anschlägen ist die aufwendige Überwachun­g sogenannte­r Rückkehrer aus den Jihad-Gebieten. Derzeit stehen 296 solcher Personen unter Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes. Doch auch das erfolgt nicht lückenlos. Dafür wäre pro Überwachte­r Person nämlich ein mehrköpfig­es Team von Spezialist­en für Observatio­nen notwendig.

Christkind­lmärkte sind für Behörden leichter zu schützen als ganze Einkaufsst­raßen.

 ?? Willfried Gredler-Oxenbauer ?? Die Passanten auf der Wiener Mariahilfe­r Straße sehen die Terrorbedr­ohung – bisher – eher gelassen.
Willfried Gredler-Oxenbauer Die Passanten auf der Wiener Mariahilfe­r Straße sehen die Terrorbedr­ohung – bisher – eher gelassen.

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