Die Erweckung der alten Orgel
Seit mehr als 25 Jahren ist sie stumm. Nun soll die Riesenorgel im Stephansdom zum Leben erweckt werden – und bald wieder die größte aktive Kirchenorgel des Landes sein.
Dass sie Staub angesetzt hat, wäre untertrieben. Eine dicke Schicht durchzieht das Innenleben der Riesenorgel, auf jeder Pfeife klebt er, auf dem Holzboden, auf der wackeligen Leiter, die quasi auf das Dach des Instruments auf der Westempore des Stephansdoms führt. Dort oben marschiert Markus Landerer auf einer Holzlatte nach vorn, dort, wo der Blick hinunter in den Dom reicht. Und spricht über das Projekt, mit dem er die nächsten Monate beschäftigt sein wird. Die Orgel mit ihren rund 10.000 Pfeifen soll wieder zum Leben erweckt werden. Und bei ihm, dem Domkapellmeister, laufen alle Fäden zusammen.
„Würde sie noch funktionieren, wäre sie die größte Kirchenorgel Österreichs“, erzählt er. „Aber jetzt ist sie ein Wrack.“125 Register habe sie, schwärmt Landerer, und 10.000 Pfeifen. Die großen Prospektpfeifen, die man vom Kirchenschiff aus sieht, die viereckigen Basspfeifen ganz hinten an der Westwand, direkt über dem Riesentor, und die unzähligen kleinen, die im Inneren des Instruments dastehen wie Röhrenaale im Meeresboden – nur, dass sich die metallenen Pfeifen nicht zurückziehen, wenn jemand vorbeikommt. Und doch ist sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert stumm. 1991 war sie das letzte Mal in Betrieb, seither verstaubt sie und korrodiert vor sich hin. Nicht wenige der kleinen Pfeifen sind auch verbogen oder abgebrochen – bei diversen Arbeiten wurde keine Rücksicht auf das ohnehin nicht funktionstüchtige Instrument genommen. Versteckte Pfeifen. So wirklich glücklich, erzählt der Domkapellmeister, war man mit ihr ja ohnehin nicht. Der Wiener Orgelbauer Johann Kauffmann hatte sie in den 1950er-Jahren zusammengebaut – großteils aus Teilen, die man in Deutschland zusammengekauft hatte. Und er musste sich an einige Vorgaben halten – dass etwa auf der Empore für die Aufführungen der Dommusik Platz frei bleiben musste. So kam es auch dazu, dass einige der für den Klang wichtigsten Pfeifen hinter einem massiven Steinbogen stehen müssen. Und so den gotischen Dom, der wegen der vielen Säulen ohnehin eine heikle Akustik hat, nicht ausreichend kräftig erfüllen konnte.
Unter anderem das soll nach dem Umbau anders sein. Eine komplett neue Orgel, das wäre nicht möglich, immerhin ist die Kauffmann-Orgel denkmalgeschützt. Sie als Ruine zu erhalten, hätte keinen Sinn. Also wird sie technisch neu aufgesetzt. Von den vorhandenen Pfeifen sollen möglichst viele wiederverwendet werden. „Aber nach 25 Jahren“, sagt Landerer, „kann man sie nur putzen, Luft durchblasen und schauen, was passiert.“Nicht alle werden noch für den Einsatz taugen. Als Schutz vor Verschmutzung bekommt die Orgel ein vom Kirchenraum aus nicht sichtbares Gehäuse. Und die Pfeifen werden dank technischer Möglichkeiten, die man in den Fünfzigerjahren nicht hatte, nicht mehr direkt hinter dem massiven Pfeiler stehen müssen.
Am Ende soll der Stephansdom eine große und raumfüllende Kathedralorgel haben, die man eigentlich schon in den 1960er-Jahren haben Markus Landerer am 1960 fertiggestellten Spieltisch auf der Westempore. wollte. Eine Orgel, die einen ähnlich vollen Klang haben soll wie etwa die in der Pariser Notre-Dame. Sechs Orgelbaufirmen aus vier Ländern haben dafür Konzepte vorgelegt. Schließlich setzte sich Orgelbau Rieger durch – sie haben unter anderem schon Orgeln im Wiener Musikverein, der neuen Pariser Philharmonie und dem Regensburger Dom konzipiert und gebaut. Im November 2017 soll der Abbau beginnen. Die restaurierten und neuen Teile sollen ab Ende Februar 2019 eingebaut werden. Für die Intonation hat man sich die Zeit von Mai bis Oktober 2019 vorgenommen, ehe sie am 12. April 2020 eingeweiht werden soll.
»Nach 25 Jahren kann man die Pfeifen nur putzen, Luft durchblasen und abwarten.«
2,6 Millionen Euro. Das ist nicht nur der Ostersonntag, sondern auch der 75. Jahrestag des Dombrands, bei dem die alte Domorgel, die vorher auf der Westempore gestanden war, zerstört wurde. Insgesamt soll das Projekt 2,6 Mio. Euro kosten, finanziert durch private Spenden und Geld von Bund und Ländern – wie beim Wiederaufbau des Wiener Wahrzeichens nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Inneren soll das Instrument dann auf dem neuesten Stand der Technik sein – und Landerers Augen werden groß, wenn er davon erzählt, was dann alles möglich ist. Wenn dann nämlich auch die 1991 errichtete Chorogel im rechten Seitenschiff gemeinsam mit der Riesenorgel spielt. Von einem Spieltisch aus gesteuert, der an mehreren Stellen in der Kirche angeschlossen werden kann.
„Da sind dann Effekte möglich . . .“, meint Landerer. Und wirkt dabei wie ein kleiner Bub, der über sein Lieblingsspielzeug spricht. Ein Spielzeug, das der Domkapellmeister, der seit 2007 die Dommusik leitet, bisher nur als Ruine erlebt hat. Das aber, wenn es in Betrieb genommen wird, ein neues Musikgefühl in den Stephansdom bringen soll. „Jeden Sonntag um 10.15 Uhr ist das Hochamt“, meint er, „wo wir alle ziemlich üppig musizieren.“Mit der neuen Orgel dürfte es noch um einiges üppiger sein. Für den Staub dürfte es dann unbequem werden.