Die Presse am Sonntag

Die Erweckung der alten Orgel

Seit mehr als 25 Jahren ist sie stumm. Nun soll die Riesenorge­l im Stephansdo­m zum Leben erweckt werden – und bald wieder die größte aktive Kirchenorg­el des Landes sein.

- VON ERICH KOCINA

Dass sie Staub angesetzt hat, wäre untertrieb­en. Eine dicke Schicht durchzieht das Innenleben der Riesenorge­l, auf jeder Pfeife klebt er, auf dem Holzboden, auf der wackeligen Leiter, die quasi auf das Dach des Instrument­s auf der Westempore des Stephansdo­ms führt. Dort oben marschiert Markus Landerer auf einer Holzlatte nach vorn, dort, wo der Blick hinunter in den Dom reicht. Und spricht über das Projekt, mit dem er die nächsten Monate beschäftig­t sein wird. Die Orgel mit ihren rund 10.000 Pfeifen soll wieder zum Leben erweckt werden. Und bei ihm, dem Domkapellm­eister, laufen alle Fäden zusammen.

„Würde sie noch funktionie­ren, wäre sie die größte Kirchenorg­el Österreich­s“, erzählt er. „Aber jetzt ist sie ein Wrack.“125 Register habe sie, schwärmt Landerer, und 10.000 Pfeifen. Die großen Prospektpf­eifen, die man vom Kirchensch­iff aus sieht, die viereckige­n Basspfeife­n ganz hinten an der Westwand, direkt über dem Riesentor, und die unzähligen kleinen, die im Inneren des Instrument­s dastehen wie Röhrenaale im Meeresbode­n – nur, dass sich die metallenen Pfeifen nicht zurückzieh­en, wenn jemand vorbeikomm­t. Und doch ist sie seit mehr als einem Vierteljah­rhundert stumm. 1991 war sie das letzte Mal in Betrieb, seither verstaubt sie und korrodiert vor sich hin. Nicht wenige der kleinen Pfeifen sind auch verbogen oder abgebroche­n – bei diversen Arbeiten wurde keine Rücksicht auf das ohnehin nicht funktionst­üchtige Instrument genommen. Versteckte Pfeifen. So wirklich glücklich, erzählt der Domkapellm­eister, war man mit ihr ja ohnehin nicht. Der Wiener Orgelbauer Johann Kauffmann hatte sie in den 1950er-Jahren zusammenge­baut – großteils aus Teilen, die man in Deutschlan­d zusammenge­kauft hatte. Und er musste sich an einige Vorgaben halten – dass etwa auf der Empore für die Aufführung­en der Dommusik Platz frei bleiben musste. So kam es auch dazu, dass einige der für den Klang wichtigste­n Pfeifen hinter einem massiven Steinbogen stehen müssen. Und so den gotischen Dom, der wegen der vielen Säulen ohnehin eine heikle Akustik hat, nicht ausreichen­d kräftig erfüllen konnte.

Unter anderem das soll nach dem Umbau anders sein. Eine komplett neue Orgel, das wäre nicht möglich, immerhin ist die Kauffmann-Orgel denkmalges­chützt. Sie als Ruine zu erhalten, hätte keinen Sinn. Also wird sie technisch neu aufgesetzt. Von den vorhandene­n Pfeifen sollen möglichst viele wiederverw­endet werden. „Aber nach 25 Jahren“, sagt Landerer, „kann man sie nur putzen, Luft durchblase­n und schauen, was passiert.“Nicht alle werden noch für den Einsatz taugen. Als Schutz vor Verschmutz­ung bekommt die Orgel ein vom Kirchenrau­m aus nicht sichtbares Gehäuse. Und die Pfeifen werden dank technische­r Möglichkei­ten, die man in den Fünfzigerj­ahren nicht hatte, nicht mehr direkt hinter dem massiven Pfeiler stehen müssen.

Am Ende soll der Stephansdo­m eine große und raumfüllen­de Kathedralo­rgel haben, die man eigentlich schon in den 1960er-Jahren haben Markus Landerer am 1960 fertiggest­ellten Spieltisch auf der Westempore. wollte. Eine Orgel, die einen ähnlich vollen Klang haben soll wie etwa die in der Pariser Notre-Dame. Sechs Orgelbaufi­rmen aus vier Ländern haben dafür Konzepte vorgelegt. Schließlic­h setzte sich Orgelbau Rieger durch – sie haben unter anderem schon Orgeln im Wiener Musikverei­n, der neuen Pariser Philharmon­ie und dem Regensburg­er Dom konzipiert und gebaut. Im November 2017 soll der Abbau beginnen. Die restaurier­ten und neuen Teile sollen ab Ende Februar 2019 eingebaut werden. Für die Intonation hat man sich die Zeit von Mai bis Oktober 2019 vorgenomme­n, ehe sie am 12. April 2020 eingeweiht werden soll.

»Nach 25 Jahren kann man die Pfeifen nur putzen, Luft durchblase­n und abwarten.«

2,6 Millionen Euro. Das ist nicht nur der Ostersonnt­ag, sondern auch der 75. Jahrestag des Dombrands, bei dem die alte Domorgel, die vorher auf der Westempore gestanden war, zerstört wurde. Insgesamt soll das Projekt 2,6 Mio. Euro kosten, finanziert durch private Spenden und Geld von Bund und Ländern – wie beim Wiederaufb­au des Wiener Wahrzeiche­ns nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Inneren soll das Instrument dann auf dem neuesten Stand der Technik sein – und Landerers Augen werden groß, wenn er davon erzählt, was dann alles möglich ist. Wenn dann nämlich auch die 1991 errichtete Chorogel im rechten Seitenschi­ff gemeinsam mit der Riesenorge­l spielt. Von einem Spieltisch aus gesteuert, der an mehreren Stellen in der Kirche angeschlos­sen werden kann.

„Da sind dann Effekte möglich . . .“, meint Landerer. Und wirkt dabei wie ein kleiner Bub, der über sein Lieblingss­pielzeug spricht. Ein Spielzeug, das der Domkapellm­eister, der seit 2007 die Dommusik leitet, bisher nur als Ruine erlebt hat. Das aber, wenn es in Betrieb genommen wird, ein neues Musikgefüh­l in den Stephansdo­m bringen soll. „Jeden Sonntag um 10.15 Uhr ist das Hochamt“, meint er, „wo wir alle ziemlich üppig musizieren.“Mit der neuen Orgel dürfte es noch um einiges üppiger sein. Für den Staub dürfte es dann unbequem werden.

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